13 | Confrontation.

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LIAM
LONDON  -  05.06.2018
*


Der Morgen war eiskalt, als ich das Haus verließ. Es war so kalt, dass ich meinen Atem an der kalten Luft sehen konnte, Fröstelnd schlang ich meine Arm um mich und beschleunigte meine Schritte um schneller zum Wagen zu gelangen, der zu meinem Bedauern genauso eiskalt war wie alles andere auch. Es dauerte ein paar Minuten, ehe er angenehm warm war und ich mich nicht mehr wie ein lebendiger Eisklotz fühlte.

Mein Weg führte mich zu Niall, den ich zum Flughafen fahren würde. Er wartete bereits vor seiner Auffahrt, vermummt in Mütze, Schal und dicker Jacke. Neben ihm lag auf dem Boden seine Sporttasche, die er gestern gepackt hatte. Wortlos setzte er sich in den Wagen und zog sich die Mütze vom Kopf.

Ich musste ihn nur ansehen und erkannte sofort, wie beschissen es ihm wirklich ging. Tiefe Augenringe hatten sich gebildet und seine sonst so blauen Augen waren matt und strahlten pure Müdigkeit aus. Ich konnte mir durchaus vorstellen, dass Niall nach dem gestrigen Anruf kein Auge mehr zubekommen hat.

„Er wird wieder, Niall", sprach ich, wenig überzeugend.

Niall drehte den Kopf in meine Richtung: „Glaubst du wirklich, Liam?" Sein Ton triefte vor Skepsis. „Man musste ihm in die Schädeldecke bohren, tut mir leid, wenn ich da wenig Hoffnung habe." Er wendete wieder den Blick nach draußen. Damit war das Gespräch wohl beendet.

Ich seufzte in mich hinein und startete den Motor.

Die Fahrt zum Flughafen verlief schweigend. Man hörte nur den Radioreporter, der über die neuesten Wetterlagen redete und mit einem anderen Report darüber diskutierte, wieso wir im Juni Schnee hatten, obwohl wir gar keinen Winter, sondern eigentlich Sommer hatten.

Diese Frage konnte ich ihm auch nicht beantworten, denn ich fand das alles genauso suspekt wie die beiden.

Ich stellte das Radio absichtlich lauter, um keine Unterhaltung zu starten, die den Eindruck erwecken könnte, dass alles gut wäre. Aber das war es nicht und ich hasste es, wenn ich nicht helfen konnte. Aber da musste Niall alleine durch, schließlich war es sein Bruder. Ich konnte nur für ihn da sein, wenn es zum Schlimmsten kam. Was wir alle natürlich nicht hofften. Doch Niall schien ihn schon für tot zu halten, was mir doch ein wenig Angst machte.

Der Verkehr staute sich am Flughafen. Viele Schulen hatten wegen des Schneefalls geschlossen, weshalb sich wohl die meisten Familien dachten, diese Chance auszunutzen und dem eiskalten Wetter hier in London zu entfliehen. Ich würde das genauso machen, nur ohne Familie.

Der Gedanke daran, dass Sophia mir Jahre lang verheimlicht hat, dass ich eine Tochter hatte, stimmte mich zugleich wütend und traurig, aber ich konnte sie verstehen. Irgendwie. Ich hatte mir noch gar nicht überlegt, wie ich das alles meiner Familie und besonders meiner Mutter beibringen sollte. Sie war mit Sophia noch nie wirklich warm geworden. Erst einmal war es jedoch meine Aufgabe, es hinzukriegen, dass ich Ashley regelmäßig sehen konnte.

Ich wette, sie wusste nicht einmal, wer ich war.

Das war wirklich traurig.

Aber auch meine Schuld. Irgendwie.

Ich schnappte einem anderen Autofahrer den Parkplatz vor der Nase weg und riskierte beinahe eine Schramme und wüste Beschimpfungen des anderen Autofahrers, die ich gekonnt ignorierte.

„Danke, dass du mich gefahren hast." Damit stieg er aus und schlug hinter sich die Tür zu. Bevor er jedoch ganz im Getümmel verschwand, kurbelte ich das Fenster runter und rief seinen Namen. Er drehte sich noch einmal um und sah zu mir. „Ruf' an, wenn du genaueres weißt", sprach ich lediglich. „Und gute Reise."

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