Rabennacht | Prolog

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31. Juli. 1511.

02:34 Uhr.

Paulus Gottlob. Seit vielen Stunden saß er an seinem Schreibtisch. Vor ihm lagen dutzende beschriebene Pergamente, auf denen er bereits die ganze Nacht lang schrieb. Er musste sie unbedingt für den morgigen Gerichtstag beenden, denn dann stände ein wichtiger Prozess an. Seine Töchter schliefen bereits in ihren Betten.

Als der nächste Rabe gegen die Scheibe flog, zuckte Paulus zusammen. Diese Viecher flogen schon die seit der Abenddämmerung durch die Stadt, was ihn mehr als störte. Dennoch schrieb er unbeschwert weiter. Seine Augenlieder flatterten bereits vor Müdigkeit, trotzdem konnte er es sich nicht erlauben seine Augen zu schließen. Paulus wusste, dass er in dem Moment einschlafen würde.

Jeden Abend saß er vor einem Berg Pergamenten. Mal waren es mehr und mal weniger. Je nachdem wie viele Fälle bearbeiten werden müssen. Er war Richter, ein Beruf, welchen er mit Ehre erfüllte. Seitdem die Monarchie eingeführt worden war, gab es drei Schichten. Paulus gehörte zur zweiten. Er und seine Familie besaßen mehr Geld, als sie ausgaben. Dafür mussten seine Kinder zurückstecken. Dennoch ging es ihnen gut. Solange er arbeitete, kümmerte sich seine Frau Agnes um seine beiden Töchter. Alba und Katherina waren sein ein und alles.

Der nächste Rabe knallte gegen die Fensterscheibe. Sie rutschte herunter und fiel zu Boden. Diese Nacht flogen ungewöhnlich viele Raben durch London. Viele Menschen behaupteten, dass Raben ein Indiz für ein schreckliches Ereignis seien. Sie flogen nur dann durch die Stadt, wenn etwas Tragisches in diesem Ort geschah. Nur gut, dass Paulus so etwas nicht glaubte. Er handelte mit Fakten, nicht mit Märchen.

Dennoch ließen die Raben ihm langsam keine Ruhe mehr.  Sie lenkten ihn einfach nur noch von seiner Arbeit ab, was ihn wütend machte. Am liebsten würde er diesen Viechern den Hals umdrehen, damit sie es verstanden. Doch das wäre wiederum Tierquälerei.

Also versuchte er sie weiterhin so gut es ging zu ignorieren. Es gelang ihm auch, bis Schreie von draußen zu ihm hereindrangen. Ein Blick aus dem Fenster verriet ihm, dass eine Horde Bürger mit Fackeln durch die Straßen liefen. Was sie riefen konnte er nicht verstehen. Er nahm an, dass sie versuchten die Rabe zu verscheuchen.

Dass es einen ganz anderen Hintergrund hatte, konnte er ja nicht ahnen.

Der Gestank von Blut drang in sein Haus. Bei dem Geruch musste er die Nase kraus ziehen. Was ging hier nur ab? fragte er sich. Nun war es mit seiner Arbeit endgültig vorbei. Bei all den Lärm und dem Gestank war es unmöglich sich weiter darauf zu konzentrieren. Aus diesem Grund legte er die Pergamente ins Buch und schloss dieses, ehe er es ins Fach seines Schreibtisches legte.

Auf einmal klopfte es an der Tür. Paulus erwartete um diese Stunde keine Besucher mehr. Deshalb nahm er sich sein Klappmesser zur Hand. Mit langsamen Schritten näherte er sich der Tür, welche er kräftig aufriss.

Doch niemand war da. Die Straße war leer, Stille kehrte ein. Dann sah er ein kleines braunhaariges Mädchen neben dem Türrahmen stehen. Sichtlich verängstigt stand sie dort und sah ihm in die Augen.

»Na nu, wer bist denn du?«, wandt er sich vorsichtig an das scheue Mädchen.

Sie deutete auf einen kleinen Zettel, welcher an ihrer Kleidung klebte. Aisha, las Paulus den Namen ab. »Was machst du hier so alleine und wo sind deine Eltern?«, fragte er weiter.

Das Mädchen zuckte mit ihren Schultern. »Weg.«

»Weg? Das kann doch nicht sein! Sicher, dass du dich nicht verlaufen hast?«

Sie schüttelte mit ihrem Kopf. »Wir waren auf dem Rückweg, da... Sie waren plötzlich... weg...« Ihre Unterlippe bebte, ihre Augen wurden glasig.

Paulus konnte das nicht länger mit ansehen. Er bat das Mädchen herein und machte ihr erst einmal einen warmen Tee. Während sie genüßlich an diesen nippte, eilte Paulus nach oben zu seiner Frau. Er erzählte ihr, dass unten ein verwaistes Mädchen saß, woraufhin sie mit nach unten geeilt kam.

»Wir können sie nicht einfach auf der Straße lassen.«, meinte Paulus zu seiner Frau Agnes.

Diese stimmte ihm zu. »Wir sollten sie erst einmal hier schlafen lassen. Morgen sehen wir weiter.«

Niemand von beiden ahnte zu der Zeit, dass Aisha von nun an ein Teil ihrer Familie werden würde. So kam es, dass sie sorgenfrei bei ihnen aufwuchs. Weder Paulus, noch seine Frau Agnes, verschwiegen ihr, dass sie nicht ihre leiblichen Eltern waren. Aisha fragte nicht weiter nach ihren Eltern, doch beiden war sicher, dass dies eines Tages kommen würde.

Eines Tages würde sie wissen wollen was geschehen war. Wer ihre Eltern waren und was geschehen war. Nur wussten die beiden keine Antwort darauf.

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Nächstes Kapitel: 20.03.2016

Behind the MaskWo Geschichten leben. Entdecke jetzt