Liebes Tagebuch...

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15.August.1523

Aisha

Es war Sonntag. Wie jede Woche besuchten wir um Punkt 10 Uhr die Kirche. Das Beten gehörte in unserer Familie wie das Essen und Trinken zum Alltag. Wir sollten mit Gott im reinen sein. Erst recht jetzt, wo seit einer halben Ewigkeit halb London im Besitz der Klöster und den anderen geistlichen Institutionen war. Die meisten, die zur oberen Schicht gehörten, waren Protestanten. Als Protestant galt man, sofern die christliche Konfession dein Leben bestimmte. Der Glauben lehrte uns, dass Unheil erst dann von Gott vergeben werden würde, wenn wir um Gnade beten.

Wir gehörten zu dieser Schicht. Meine Schwestern und ich wurden in diesen Glauben hineingeboren. Wir kannten es gar nicht anders. Wir sollten auch keinen anderen Glauben kennen. Die Kirche hatte uns schließlich viel gegeben.

Am meisten vor 4 Jahren. Es war der 8. März. 1519. Ich war gerade einmal 13, als Agnes plötzlich krank wurde. Sie bekam hohes Fieber und Halsschmerzen. Von Tag zu Tag wurde sie immer schwächer. Die Diagnose: Lungenentzündung. Nur wenig später wachte sie nicht mehr auf. Sie war gestorben. Meine Schwestern, Paulus und ich weinten viel. Nur tat ich es im Stillen. Täglich besuchte ich die Kirche. Bat Gott uns von dem Schmerz und Leid zu erlösen, der uns quälte. Ein Jahr lang trugen wir lediglich schwarze Kleidung. Als Zeichen, dass wir einen geliebten Menschen verloren haben.

Nur eineinhalb Jahre später lernte Katherina ihren jetzigen Verlobten kennen. Alexander Wales. Ein wirklich vorzeigbarer Mann, der ihr wieder ein Lächeln ins Gesicht zauberte. An dem Tag verlor ich auch meine Schwester ein klein wenig. Diesen Verlust nahm ich jedoch hin, da sie endlich wieder Freude empfand. Ich hingegen konnte das nicht. Nach dem Tod von Agnes quälte mich immer wieder eine Frage: Wer war meine leibliche Mutter? Wer waren meine leiblichen Eltern?

Paulus verschwieg ich meinen Gedanken. Es wäre nur ein Schlag ins Gesicht für ihn gewesen.

Während die Kirchenglocken läuteten, erhoben sich alle. Nach und nach leerten sich die Reihen, bis auch wir an der Reihe waren. Vor der Kirche wartete bereits Alexander auf Katherina, denn er saß immer bei seiner Familie.

»Wir wollten noch in die Stadt. Dort etwas essen.«, erklärte sie uns, Alexanders Arm um ihre Schultern geschlungen.

»Macht das. Heute Abend gibt es übrigens einen deftigen Braten. Schließlich haben wir eure Verlobung noch nicht richtig gefeiert.«, erwiderte mein Vater.

»Das müssen Sie doch nicht!«, widersprach Alexander, wobei er sich erinnerlich sichtlich freute.

Meinem Vater konnte er vielleicht etwas vormachen, doch ich erkannte wie sehr dieses Angebot ihn in den Fingern juckte.

»Er gibt eh keine Ruhe. Also, Sie haben keine Wahl.«, mischte ich mich lächeln ein.

Alexander nickte. »Wohlmöglich wahr. Wir werden rechtzeitig zurück sein.« Dann verschwanden sie.

»Und wir gehen jetzt zurück nach Hause und kümmern uns um den Mittag?«, wand Paulus sich an Alba und mich.

»Das heißt wohl eher, ICH kümmere mich um den Mittag!«, warf ich ein.

Alba zuckte unschuldig mit ihren Schultern. »Bei dir schmeckt es eben besser als das verbrannte bei mir!«

»Echt, du solltest dringend Kochen lernen!«

Seit dem Tod von Agnes war ich alleine für den Haushalt zuständig. Meine Schwestern sollten mir helfen, doch Katherina war mit Alexander unterwegs und Alba... keine Ahnung wo sie sich immer herumtrieb. Eine Haushaltshilfe wollte ich nicht von Paulus einstellenlassen. Er arbeitete genug für sein Geld. Dann sollte dieses auch mit anderen Dingen eingetauscht werden.

ɤ ɤ ɤ

Bis zum Mittag verbrachte ich beinahe 3 Stunden in der Küche. Für uns gab es gerade einmal eine Suppe. Heute Abend würden wir schon voll genug werden. Wenigstens Paulus bedankte sich für die köstliche Suppe. Alba schlank sie mal wieder nur in sich hinein und war danach sofort wieder verschwunden. Vermutlich traf sie sich mit Jonathan. Seit Wochen sah man sie zusammen. Offiziell zusammen waren sie allerdings nicht. Ich war mir nicht einmal sicher, ob sie es mit ihm ernst meinte. Konnte mir auch egal sein. Solange sie sich benahm und unschuldig blieb.

Nach dem Essen kümmerte ich mich noch um den Abwasch. Paulus setzte sich wieder in sein Arbeitszimmer. Welche Fälle er genau bearbeitete blieb ein Geheimnis, bis der Gericht sich traf und es offiziell machte. Ich hatte gelernt nicht neugierig zu sein.

Nachdem auch der Abwasch nach einer Stunde erledigt war, trug ich die fertige Wäsche hinauf. Ich eilte von Zimmer zu Zimmer, um die Klamotten einzusortieren. Irgendwie genoss ich es im Haushalt zu arbeiten. Ich kam auf andere Gedanken und kam mir wichtig vor. Nicht wie ein Schatten.

Im Gegenteil zu meinen Schwestern hatte ich einfach keinen Draht zu Männern. Ich hatte auch nur eine einzige Freundin, die ich zwei Mal die Woche traf. Die restliche Zeit musste ich mit anderen Dingen herumkriegen.

Albas Zimmer sah mal wieder aus als wäre hier drin seit Tagen nicht aufgeräumt worden. Sie erhoffte sich immer, dass ich es bereinigen würde. Langsam hatte ich allerdings die Schnauze voll mich von ihr wie ein Dienstmädchen behandeln zulassen. Aus diesem Grund legte ich lediglich ihre Klamotten aufs Bett.

Gerade als ich mit dafür freien Platz schaffen wollte, fiel ein kleines Büchlein auf den Boden. Es fiel geöffnet auf den offenen Seiten. Kopfschüttelnd hob ich es auf. Eigentlich wollte ich es zurücklegen, doch das Datum war gerade einmal auf heute datiert. Normalerweise schreib Alba abends in ihr Tagebuch. Warum also hat sie es bereits heute Morgen getan?

Sonntag, 15. August 1523

Liebes Tagebuch,

Schon komisch wie das Leben manchmal spielt. Mir ist bewusst, dass Vater es nicht gutheißen würde, wenn er erfuhr wo ich war. Doch Jonathan hatte recht; Aisha gehört einfach nicht zu uns. Klar, sie war bei uns aufgewachsen. Vater und Mutter hatten einfach Erbarmen mit ihr. Trotzdem. Wer weiß, woher sie kommt. Wer ihre Eltern sind. Warum sie überhaupt ausgesetzt wurde. Einen Grund muss es ja geben. Und wenn dieser nicht gut war? Wenn ihre Eltern vielleicht illegales betrieben haben? Vielleicht war sie die Tochter einer Hexe?

Spekulationen über Spekulationen. Mehr habe ich nicht. Nur finde ich, wird es an der Zeit ihr wahres Blut zu finden. Und genau das werden Jonathan und ich tun; Herausfinden wer sie ist. In der Hoffnung, nichts Schlimmes zu finden. Denn das würde auf unsere ganze Familie zurückfallen.

Und heute würden wir einen Schritt näher an die Wahrheit kommen. Hoffentlich bekam Aisha nichts davon mit. Sie würde mir den Kopf abschlagen.

Ich ließ mich neben dem Bett auf den Boden sinken. Alba suchte mein Blut? Warum? Hielt sie mich wirklich für einen schlechten Menschen, der den Ruf meiner Familie, ihrer Familie, zerstören würde? Ich konnte es einfach nicht glauben. Alba hakte ja bereits seit Jahren auf mir herum, doch mich zu vertreiben hätte ich nie von ihr erwartet. Wir waren doch quasi Schwestern. Klar, wollte ich die Wahrheit ebenso herausfinden. Allerdings aus einem anderen Grund. Dieser schmerzte sehr. War ich all die Jahre nie wirklich willkommen gewesen? Dachte Katherina wohlmöglich genauso über mich?

»Was machst du hier?« Alba stand mit verschränkten Armen in der Tür. Ihr Blick fiel auf das Tagebuch in meinen Händen.

»Ich glaub wir sollten reden.«, erwiderte ich und klappte das Buch zu.

Alba schluckte. »Ich weiß nichts.«, beteuerte sie. Ihre Stimme verriet jedoch etwas anderes.

»Es wird Zeit, dass du auspackst. Also, Alba, was weißt du über meine leibliche Familie?«

Behind the MaskWo Geschichten leben. Entdecke jetzt