1 - Von der Tellerwäscherin zur...?

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Jedes Mal, wenn ich mit dem Schulbus nach Hause fuhr, sah ich sie.

Die Kinder, mit ihren Uniformen.

Die Kinder, bei denen jede Haarsträhne ganz genau weiß, wo ihr Platz ist und diesen den gesamten Tag über nicht verlässt.

Die Kinder, die aus dem gesamten Land hierher kommen, um in einem Schloss zu wohnen.

Die Kinder, die denken, sie wären etwas Besseres.

Mama sagt immer, dass ich nicht neidisch sein soll. Die haben vielleicht Geld, aber dafür habe ich ein Herz und ein ordentliches Benehmen. Davon konnte ich mir jedoch leider nichts kaufen. Insbesondere nicht die Klassenfahrt nach Berlin, die Frau Kaminski heute angepriesen hatte.

Ich spürte einen Ellenbogen meinen Rippen.

„Nun guck nicht so dramatisch aus dem Fenster, als wäre das hier der dramatische Höhepunkt einer Romanze. Du wirst deine Mutter schon überzeugen können", sprach Steffi mich an.

Ich seufzte und ließ meinen Schultern hängen.

„Ich habe wenig Hoffnung. Seit Dad weg ist, kommen wir kaum über die Runden."

„Ich finde, sie muss dir das bezahlen", mischte sich nun auch Wiebke ein. „Du arbeitest so oft bei euch im Laden und kriegst nicht einen Cent dafür. Diese Klassenfahrt ist sie dir schuldig!"

Wenn es nur so einfach wäre.

„Sie macht gerade harte Zeiten durch", verteidigte ich Mama, obwohl ich nur zu gerne einmal im Leben in einer Großstadt sein würde.

Auch wenn alle immer von der frischen Landluft schwärmten, so wollte ich lieber Stadtsmog einatmen und den Geruch von muffigen U-Bahnhöfe aufsaugen. Ich wollte auch mal einen Starbucksbecher in der Hand halten und in ein Shopping Center gehen, das drei Etagen hat.

Der Bus hielt an. Wir Drei stiegen als einzige aus. Unser Dorf war klein und so waren es aus Henseberg nur drei Schüler, die die Oberstufe besuchten: Steffi, Wiebke und ich. Während sich andere Mädchen darüber beschwerten, dass sie nur hässliche Jungs in der Nachbarschaft hatten, mussten wir darüber klagen, dass wir gar kein männliches Wesen in unserem Alter hatten. 

Die Bushaltestelle war direkt vor dem Haus, in dem ich mit meiner Mutter, meinen vier Brüdern und meiner Schwester wohnte. Es war ein großes Bauernhaus. Jedoch nicht die Sorte, bei der auf jeder Fensterbank Blumenkästen standen und wo die Wände im frischen Weiß glänzten. Nein, unser Bauernhaus war nicht wie aus einer ARD-Vorabendsserie, sondern eins, in dem sich hunderte Spinnen einnisten und die Hauswand von grünen Flechten zerfressen wird. Die Türen knarrten und die Luft war modrig. Obwohl die Sonne schien und am blauen Himmel nicht eine Wolke zu sehen war, wirkte unser Haus düster.

Steffi gab mir zum Abschied einen Kuss auf die Wange.

„Du schaffst das schon. Erklär ihr einfach, wie viel dir diese Klassenfahrt bedeutet!"

Wiebke zog mich in eine Umarmung, wobei ihre schwarzen Locken an meinem Ohr kitzelten. 

„Schreib uns, wenn die Entscheidung gefallen ist", waren ihre letzten Worte, ehe sie die Straße in Richtung liefen.

„Mach ich", rief ich ihnen noch hinterher.

Ich warf ihnen ein aufmunterndes Lächeln zu, auch wenn ich kein gutes Gefühl hatte.

Papa war weg. Seit vier Wochen. Es war eine Person von Acht gewesen, die aus dem Haus gegangen war. Man könnte meinen, dass es kaum auffiel, wenn einer fehlte, doch die Wahrheit war, dass sich das Haus seitdem leer anfühlte. Keiner von uns Kindern wusste, warum er von heute auf morgen verschwunden war. Natürlich hatten wir gemerkt, wie sich unsere Eltern immer öfter angeschrien hatten, doch nie im Leben hätten wir gedacht, dass er einfach so verschwand. Er hatte sich nicht einmal verabschiedet. Wir waren morgens aufgewacht und seine Sachen waren alle verschwunden gewesen.

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