„Warum warst du vorhin so zu Papa?", fragte mich Hendrik, als er sich zu mir ins Zimmer schlich.
Unser Vater war längst wieder abgereist und meine Mutter war von einem Besuch bei Edith zurückgekommen. Die Zwei waren sich nicht über den Weg gelaufen und es lag auf der Hand, dass es geplant gewesen war.
„Er ist einfach abgehauen", brummte ich und versuchte meine Kopfhörer zu entknoten.
„Ja, aber er war uns heute besuchen. Er hat uns nicht vergessen."
Ich lachte bitter auf. War das sein Ernst? Auch wenn Hendrik zwei Jahre jünger war, erwartete ich von ihm etwas mehr Reife.
„Er hat sich wochenlang nicht gemeldet. Das verzeih ich ihm nicht so schnell."
Hendrik ließ sich auf sein Bett fallen. Er lag da und starrte nachdenklich an die Decke.
„Du weißt, warum er gegangen ist, oder?", kam es nach einer kurzen Bedenkzeit seinerseits.
Fordernd sah er mich an.
„Keine Ahnung", log ich und sah nicht von meinen Kopfhörern auf. „Ist mir auch egal. Er hätte nicht einfach so gehen dürfen. Das verzeihe ich ihm nie!"
„Aber er ist doch unser Vater", sprach Hendrik sensibel und brachte mich dazu, aufzusehen. Mein Bruder wirkte geknickt. „Ich meine, man hat doch nur einen."
„Deshalb hat er nicht automatisch einen Freifahrtschein und kann sich alles erlauben. Ich meine, wenn du ihm das verzeihst, ist es ja okay, aber ich kann und will das nicht. Das sollte jeder von uns für sich selbst entscheiden."
„Aber du machst die Familie kaputt, wenn du nicht verzeihst!", protestierte er mit herausforderndem Blick.
Entsetzt starrte ich meinen ältesten Bruder an.
„Ich mach die Familie kaputt?", wiederholte ich ungläubig seine Worte. „Ist dir vielleicht aufgefallen, dass Mama und Papa sich nicht einmal mehr in der Nähe ertragen? Die Familie ist schon längst kaputt und Papa kommt auch nicht mehr zu uns zurück. Er wird hier nicht mehr wohnen. Ich bin ganz bestimmt nicht diejenige, die die Familie kaputt macht!" Wütend erhob ich mich von meinem Bett. „Du spinnst doch!"„Man, jetzt raste doch nicht gleich so aus", gab Hendrik genervt von sich und verdrehte die Augen. „Du bist so eine Zicke."
Manchmal würde ich meinem Bruder am liebsten eine scheuern. Rechts und Links und mit Brennnesselzweigen.
„Das sagt der Richtige! Im Gegensatz zu dir habe ich wenigstens Freunde und sitze nicht den ganzen Tag vor dem Computer!", feuerte ich in seine Richtung und wusste, dass ich ihn damit verletzte. Hendrik war ein Außenseiter und das belastete ihn sehr. Es war nicht fair von mir diese Karte auszuspielen, doch auf der anderen Seite hatte er sich auch nicht gerade durch Fairplay ausgezeichnet.
„DU DUMME KUH!"
Da war wohl das Zeichen, dass ich das Zimmer besser verließ, ehe hier noch der dritte Weltkrieg ausbrach. Ich schnappte mir meine Tasche und lief die Treppen nach unten.
„Wo willst du hin?", hörte ich Mama rufen.
„In die Stadt."
„Allein?"
„Ja", antwortete ich ehrlich. Ausnahmsweise brauchte ich mal Zeit für mich.
„Sicher? Oder belügst du mich wieder und triffst dich mit deinem heimlichen Freund."
Heute war wirklich nicht mein Tag. Meine Nerven wurden mit jeder Minute dünner.
„Nein, ich lüge nicht! Ich will wirklich einfach nur in die Stadt. Ob du es mir nun glaubst oder nicht!", brummte ich genervt.
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Secret Love
Roman pour AdolescentsDie Vernunft sucht, aber das Herz findet. Es wäre vernünftig gewesen, ihn einfach abzuservieren. Doch das Herz hatte ganz andere Pläne gehabt. Johanna lebt in dem kleinen Ort Henseberg, in dem sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen und der Hahn am Mor...