26 - Wenn dein Leben ein Lüge ist

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„Nun rede schon!", drang ich meine Mutter, als sie schweigend ein Loch in die Luft starrte.

Sie seufzte, sah mich aber noch immer nicht mich an.

„Es ist eine lange Geschichte."

„Dann fang an", knurrte ich immer ungeduldiger.

Sie nickte mit abwesendem Blick. Sie wirkte vollkommen in ihren Erinnerungen gefangen.

„Ich war noch ziemlich jung. Ein bisschen älter als du, aber trotzdem sehr jung", begann sie und sah mich für einen Bruchteil einer Sekunde an. „Ich hatte gerade meinen Schulabschluss in der Tasche und wollte eine Ausbildung als Köchin beginnen. Es war eine verrückte Zeit. Ich war viel tanzen und feiern. Viel Alkohol und Zigaretten." Verwundert sah ich meine Mutter an. Diese Seite kannte ich nicht von ihr. Für mich war sie immer eine Langweilerin gewesen. Eigentlich sogar eine richtige Couchpotato und ich hatte nie gewusst, dass sie mal geraucht hatte. „Da staunst du, was?", schien Mama mir meinen Gedanken vom Gesicht abzulesen. „Auch deine alte Mutter war mal jung und hatte Spaß. Damals war ich aber auch durchaus ansehnlicher. Alles war noch straff und von Falten keine Spur. Ich hatte richtig schöne, kräftige Haare und meine Brüste hingen noch nicht."
„Komm zum Punkt, Mama! Ich habe verstanden, dass du ein heißer Feger warst, aber jetzt erzähl bitte die Geschichte!"

Ihr Blick wurde wieder ernster.

„Da war dieser Junge. Also eigentlich war er schon ein junger Mann. Er sah gut aus. Groß und athletisch, blonde Haare und ein süßes Lächeln. Ich habe ihn das erste Mal beim Stadtfest gesehen und war hin und weg von ihm. Er saß an der Bar und wirkte so selbstbewusst dabei. Das hat mir wirklich gut gefallen. Also bin ich zu ihm hin und habe ihn angesprochen. Als ich ihn das erste Mal sprechen hörte, war es um mich geschehen. Ich war Hals über Kopf verliebt. Wir haben den ganzen Abend geredet und naja, sind uns näher gekommen. Es war der Wahnsinn! Wir haben uns so gut verstanden. Und das ging über Wochen so weiter. Wir haben uns fast jeden Tag gesehen und wir waren glücklich. Er war meine erste große Liebe."

„Er war von Schloss Straußberg. Habe ich Recht?", unterbrach ich sie.

Mama nickte.

„Ja, das war und ich fand es damals großartig. Er war klug und musste sich um Geld keine Sorgen machen. Er konnte mir viel bieten und wir haben viel unternommen, aber das war wirklich nicht der Grund, warum ich ihn so mochte. Es war lediglich ein praktischer Nebeneffekt. Ich war verliebt in seinen Humor und seine Intelligenz. Ich habe ihn richtig angehimmelt."

„Aber was ist dann passiert?", gierte ich nach mehr Informationen.

Mama atmete tief aus.

„Es kam so unerwartet und hat mein Leben komplett auf den Kopf gestellt." Ihre Augen wurden wässrig. „Ich wurde schwanger." Meine Augen wurden prompt größer. Doch ich eh etwas sagen konnte, fuhr Mama fort. „Es war ein Schock. Ich hatte gerade erst meine Ausbildung begonnen und wir waren noch so jung. Ich habe es Christian gesagt. Natürlich habe ich nicht damit gerechnet, dass er Jubelsprünge machen würde, doch die Reaktion, die er dann gezeigt hat, hat mich zutiefst geschockt." Ich konnte den Schmerz in den Augen meiner Mutter sehen. „Er wollte, dass ich abtreibe. Das kam für mich aber nicht in Frage. Doch er wollte unbedingt das Baby loswerden und nichts damit zu tun haben. Er mir Geld angeboten, damit ich es wegmachen lassen. Sehr viel Geld. Doch ich habe mich geweigert. Ich konnte und wollte das einfach nicht. Er wurde deshalb sehr sauer. Er hat Schluss gemacht und mich als dummes Ding dargestellt, das keine Ahnung hat, worauf es sich einlässt. Er wurde richtig fies und tat plötzlich so, als wäre ich Abschaum. Sein Kind war ihm komplett egal. Und dann war er eines Tages einfach weg. Man hat mir erzählt, dass er die Stadt und sogar das Land verlassen hat." Mama hielt inne. Mir steckte ein Kloß im Hals, weshalb ich kein Wort herausbekam. „Deshalb kann ich die Leute nicht leiden. Er hat mich einfach schwanger sitzen lassen und all seine Freunde haben mich danach wie Dreck behandelt und das nur, weil ich mich für das Kind entschieden habe. Alle waren auf seiner Seite und haben mir das Leben zur Hölle gemacht. Sie haben Eier an mein Haus geschmissen und mit roter Farbe ‚Schlampe' an den Briefkasten geschrieben. Sie wollten mir das Leben zur Hölle machen und mich bestrafen, weil ich das Kind nicht abgetrieben hatte."

Sie schniefte, weshalb ich tröstend ihre Hand nahm. Ich wollte mir gar nicht vorstellen, wie es wohl gewesen sein musste, in ihrer Haut zu stecken.

„Was ist mit dem Kind passiert? Hast du es behalten und zur Adoption freigegeben?", stellte ich mit belegter Stimme die Frage, die mir am meisten auf der Zunge brannte.

Mamas Blick war auf mich gerichtet und ich wusste ihn nicht richtig zu interpretieren. Dann strich sie mit ihren Fingern liebevoll durch meine Haare.

„Ich habe das Kind behalten, Johanna und ich habe es nicht zur Adoption freigegeben. Wie hätte ich so ein süßes Kind wie dich denn weggeben können?"

Mein gesamter Körper erstarrte.

Ich war das Kind? Das war auch meine Geschichte?

Ungläubig schüttelte ich den Kopf.

Mein Vater war kein reicher Schnösel! Mein Vater war zwar auch ein Arschloch, aber er war nie auf Schloss Straußberg gewesen.

Nein, ich konnte dieses Kind nicht sein!

Unmöglich!

„Ich weiß, dass ich dir das schon früher hätte sagen sollen, aber ich dachte immer, dass so alles besser ist. Du hattest schließlich einen Vater und du hattest eine wundervolle Kindheit mit ihm. Warum hätte ich das zerstören sollen? Glaube mir, ich wollte nur, dass du glücklich bist."

„MOMENT", rief ich nun dazwischen und fand meine Stimme wieder. „Ich bin nicht Papas Kind?" Sie schüttelte den Kopf. „Ich bin das Kind von irgendeinem Fremden, den ich nicht einmal kenne?" Wieder bewegte sich ihr Kopf auf und ab. „Ist das dein Ernst? Du hast nicht nur mich die ganze Zeit belogen und mir meinen Vater verschwiegen, sondern Papa auch noch ein Kind untergejubelt? Deshalb ist er abgehauen, oder? Er hat es herausgefunden? Kein Wunder, dass er nichts mehr mit mir zu tun haben möchte. Jetzt macht das alles Sinn!"

Wut begann sich schlagartig in mir aufzustauen.

„Nein", warf Mama ein. „So war es nicht. Ich war schon im siebten Monat schwanger, als ich deinen Papa kennengelernt habe. Er hat also immer gewusst, dass du nicht sein Kind bist, doch es war ihm egal. Er hat dich immer wie deine Geschwister behandelt und dich sogar adoptiert, als du noch klein warst. Dass er uns verlassen hat, hat damit nichts zu tun."

Meine Kehle schnürte zu. Das war zu viel für mich.

„Johanna, es tut mir wirklich leid", schob Mama noch nach.

Ich versuchte nahende Tränen zu unterdrücken. Ich wusste gar nicht, was ich denken sollte. Sollte ich traurig sein, weil mein Papa nicht mein Papa war? Oder sauer sein, weil mein Erzeuger nichts mit mir zu tun haben wollte? Oder dankbar, weil meine Mutter mich nicht abgetrieben hatte?
Ich wusste gar nichts mehr.

„Wenn du irgendeine Frage hast, dann nur raus damit. Ich werde versuchen sie zu beantworten."

Ich hatte viel zu viele Fragen, doch es war nur eine, die es tatsächlich über meine Lippen schaffte.

„Sein Name!"

„Was?"

„SEIN NAME!"

Mit der Frage oder besser gesagt Aufforderung hatte sie offensichtlich nicht gerechnet.

„Johanna, ist das wirklich so wichtig für dich?"

„SONST WÜRDE ICH DOCH NICHT FRAGE! Ich will seinen Namen!", zischte ich.

Ich konnte meiner Mutter ansehen, wie sie mit sich selber rang.

„Christian von Epphofen", brachte sie nur mit Mühe hervor.

Es war ein seltsamer Name, den ich so nicht erwartet hatte. Doch genau das war der Name meines Vaters.

„Such nicht nach ihm, Johanna! Vertraue mir, was das betrifft. Er wollte dich abtreiben und nichts mit dir zu tun haben! Er ist kein guter Mensch."

Ich erhob mich vom Bett, nichtwissend, was ich mit dieser Information wirklich anfangen würde.

„Das ist immer noch meine Entscheidung."

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