21 - Oder ich rufe die Polizei

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Ich starrte meinen Bruder mit verschlossenem Mund an. Was tat er hier? Warum saß er nicht wie immer vor seinem Computer und stopfte Chips in sich hinein?

„Was darf es bei Ihnen sein, junge Dame?", fragte er mich in einem Tonfall, den ich bei ihm noch nie gehört hatte.

„Ähm." Hektisch sah ich wieder auf die Karte. Ganz offensichtlich wollte mein Bruder nicht aufdecken, dass wie Zwei verwandt waren. Ich blätterte durch die Seiten der Getrnkekarte, ohne wahrzunehmen, was dort stand. „Einen Kakao", sagte ich mit piepsiger Stimme.

Ich sah wie Hendriks Augenbraue nach oben schnellte.

„Eine heiße Schokolade oder eine Eisschokolade?", fragte er höflich, doch ich kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass er genervt war. Er hatte sich schon immer darüber aufgeregt, dass ich zu jedem schokoladenhaltigen Getränk Kakao sagte.

„Heiße Schokolade."

Er kritzelte auf einem Notizblock herum, während meine Beine unter dem Tisch nervös auf- und abwippten.

„Ich nehmen einen Chai Latte", meldete sich Andrea zu Wort. Diese Frau war so grazil. Sie saß auffallend aufrecht auf ihrem Stuhl. Ich vermutete, dass sie mal Ballett getanzt hatte. Das war definitiv die Haltung einer Tänzerin.

„Sehr gerne", lächelte Hendrik gekünstelt. „Und die Herren?"

„Ich nehme eine Cola", entschied sich Nils und wurde sofort von einem prüfenden Blick getroffen. Hendrik versuchte es zwar unauffällig zu machen, aber ich sah ihm an, wie er meinen Freund genau unter die Lupe nahm.

„Ich schließe mich meinem Sohn an und wenn es geht mit einem Schuss Zitrone bitte", schloss Michael unsere Bestellung ab und klappte die Getränkekarte zu.

„Sehr gerne", sagte Hendrik wieder und sah mich dabei an. „Meine Kollegin bringt ihnen gleich die Speisekarte. Sonst noch einen Wunsch?"

Nils' Mutter sah in die Runde und wandte sich dann wieder meinem Bruder zu.

„Das wäre erst einmal alles. Vielen Dank."
„Falls noch etwas sein sollte, lassen Sie es mich wissen."

So ein Schleimer! Ich hatte meinen Bruder noch nie so scheißfreundlich gesehen. Der war doch nur auf Trinkgeld aus. Er grinste mich noch einmal an, ehe er sich anderen Gästen widmete.
„Der sah aber noch sehr jung aus", stellte Nils' Vater fest und lehnte sich entspannt in seinem Stuhl zurück.

„Er verdient sich bestimmt etwas zum Taschengeld dazu", spekulierte Andrea. Nichtahnend, dass dieser Junge nicht einmal Taschengeld bekam.

Ich konnte diesen Caféaufenthalt von nun an nicht mehr genießen. Ich hatte ständig das Gefühl, dass ich von meinem Bruder beobachtet wurde. Und das ausgerechnet bei dem ersten Aufeinandertreffen mit Nils' Eltern. Ich konnte mich im Moment definitiv nicht von meiner Schokoladenseite zeigen, denn dazu war ich viel zu verkrampft. Es wurden mir viele Fragen gestellt, die ich so gut es eben ging beantwortete, aber ich war nicht gerade in Plauderlaune.

Als mein Bruder mir meine heiße Schokolade vor die Nase stellte, grinste er mich dumm an. Ich hätte ihm die braune Suppe am liebsten ins Gesicht geschüttet.

Während sich Andrea an der Präsenz der Sonne erfreute, schaffte ich es kaum mich in das Gespräch einzubringen. Selten hatte ich mich in meinem Leben so unwohl in einer Situation gefühlt. Ich wollte nur noch weg.

„Entschuldigt mich kurz. Ich muss mal für kleine Mädchen", versuchte ich irgendwie vornehm auszudrücken, dass ich pinkeln musste, scheiterte aber kläglich.

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