3. " Ich bin bei dir."

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Hallo ihr Lieben, ich schreib einfach mal weiter...

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"Wer war das denn?", will meine Mutter wissen. Ich zucke mit den Schultern. "Keine Ahnung. Ist doch auch nicht wichtig, oder?" Sie schweigt. Wir trinken unseren Kaffee, sie isst ein Stück Kuchen. Danach sehen wir uns noch die Stadt an. Es gibt schönere, aber es ist nicht Berlin, die Stadt, in der mich jede Ecke an Josie erinnert. Allein diese Tatsache reicht, dass ich mich tatsächlich dazu entschließe, hier zu bleiben. Bei meiner Mutter. Sie freut sich unheimlich über diese Nachricht, sie hat mich sehr vermisst die letzten zwei Jahre, seit sie nach Dortmund gezogen ist. Ich habe sie dort nie besucht. Ich weiß nicht einmal wieso. In ihrem Haus packe ich meine Tasche aus und ziehe verwundert einen weißen Umschlag aus der Tasche, welcher ganz unten gelegen hatte. Beim Packen hatte ich ihn nicht bemerkt. Ängstlich öffne ich ihn, ich habe Josies Handschrift auf der Rückseite des Briefumschlags erkannt.

"Liebste Summer,

du wirst immer meine beste Freundin bleiben, egal wo ich bin. Ich kann den Moment nicht vergessen, wie ich mit ansehen musste, als dein Herz brach als ich dir von meiner Krankheit erzählt habe. Du hast mich begleitet und wirst es bis zum Ende tun, das weiß ich. Ich kann kaum in Worte fassen, wie viel du mir bedeutest! Du bist nicht nur meine beste Freundin seit über 20 Jahren, du bist der Mensch, dem ich mein Leben anvertrauen würde. Auch wenn das nicht geht. Du bist der Mensch, der mich perfekt macht, dem ich bedingungslos vertrauen kann.

Ich will dich nicht zurücklassen, doch du weißt, dass es so kommen wird. Ich möchte, dass du weißt, dass ich einer der glücklichsten Menschen auf Erden bin - weil du an meiner Seite warst und es immer noch bist! Mit dir habe ich so viele fantastische Momente erlebt! Jeden Liebeskummer konntest du verschwinden lassen! Deine Kraft, deine Perfektion - ich habe immer zu dir aufgesehen. Du warst in so vielen Situationen mein Vorbild. Du warst immer so vernünftig, wenn es um den Ernst des Lebens ging. Und im nächsten Augenblick konntest du total ausflippen und warst so verrückt. Ich liebe dich dafür. Dafür, dass du so bist. Verliere das bitte nie!

Ich weiß, dass dich mein Tod quälen wird, dass du fast zerbrechen wirst an dem Schmerz. Wahrscheinlich wirst du dumme Dinge tun, um zu vergessen, um es nicht zu spüren. Doch ich bitte dich von ganzem Herzen- tu das nicht! Zerstöre nicht dein Leben, weil ich nicht mehr bei dir bin. Ich bin immer bei dir. Ich werde über dich wachen. Summer, bitte lebe dein Leben weiter! Unternimm all die Sachen, die wir nicht mehr machen konnten! Reise um die Welt, geh feiern, lerne neue Leute kennen und vor allem eins - das wünsche ich mir ganz besonders für dich: Verliebe dich! Verliebe dich mit Herz und Seele in einen Mann, denn da draußen gibt es den EINEN, der dich verdient hat! Gib dich mit allem was du hast dieser Liebe hin! Ich wünsche mir so sehr, dass du IHN endlich triffst! Er wird irgendwann auftauchen. Nur bitte, sieh hin!

Meine liebste Summer, ich möchte dir danken für all die wundervollen Jahre, für dein Herz, deine Seele, welche du mir anvertraut hast. Dich zu verlieren ist das Schlimmste für mich. Ich werde sterben, doch die Tatsache, dass wir dadurch auseinander gerissen werden, schmerzt mich so sehr. Ich habe es akzeptiert. Ich werde den Krebs nicht besiegen können, ich hatte nie eine Chance. Das ist mein Schicksal, es wird etwas leichter ,das zu verstehen. Obwohl ich mich dennoch immer wieder frage, warum ausgerechnet ich? Welchem Plan soll das dienen? Ich kann dir das nicht beantworten, mein Herz.

Darling, wir bleiben für immer zusammen. Ich warte auf dich. Lebe weiter, liebe, lache! Bleib so fantastisch wie du bist! Du bist mein bester Teil gewesen, mein Herz. Ich danke dir und möchte, dass es dich nicht zerbricht. Bitte. Lass das nicht zu. Ich umarme dich.

Wir bleiben für immer beste Freundinnen, vergiss das nicht. Ich liebe dich, mehr als es ein normaler Mensch für möglich halten würde. Du, meine Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft. Lebe für uns beide weiter. Ich bin bei dir.

In Liebe, deine Josie."

Große, heiße Tränen laufen meine Wangen hinab. Josie... Mein Herz schlägt mir bis zum Hals. Diese Zeilen erinnern mich an sie. An ihre Warmherzigkeit, ihre Großzügigkeit. Sie wollte, dass ich weitermache. Doch es ist so unfassbar schwer. Hat sie das auch gewusst? Ich glaube nicht. Doch sie wusste, wie sehr ich mich nach ihr sehnen würde, wie sehr ihr Tod mein eigenes Leben ins Straucheln bringen wird.

Ich sitze neben meiner Tasche und halte den Brief immer noch in den Händen. Ich lese ihn immer und immer wieder. Jedes Wort verinnerliche ich. Als meine Beine beinahe eingeschlafen sind, stehe ich auf und gehe zu meiner Mutter. "Mam, ich geh noch mal vor die Tür. Ich brauche frische Luft!" "Ist alles in Ordnung, Summer?", wil sie skeptisch wissen. Vermutlich sind meine Augen rot vom Weinen. Ich nicke dennoch, ich muss hier raus.

Die Sonne geht langsam unter, ich gehe an den See. Dort setze ich mich auf einen großen Stein und starre auf das glühende Orange der Sonne, welches sich im Wasser spiegelt. Ich schluchze leise, ich vermisse meine beste Freundin so sehr. Hinter mir knackt ein Ast, ich drehe mich um. Dort steht Marco.

* * *
Marcos POV

"Entschuldigung, ich wollte nicht stören", murmle ich sofort. Ich schiebe meine Cap hoch und sehe sie an. "Summer? Was machst du denn hier?" "Hi. Ich wollte nur noch mal raus", erwidert sie heiser. Ich freue mich sie wiederzusehen. "Na das ist ja ein Zufall, dass ich dich heute gleich zwei Mal treffe." Ich setze mich neben sie und beobachte den See. Hat sie geweint? Ihre Stimme klingt kratzig, rau. Ihre Wangen sind gerötet, die untergehende Sonne lässt sie glänzen, sie sind nass von den Tränen. Sie schnieft und wischt sich mit dem Handrücken über die Nase. "Alles klar?" "Ich will nicht drüber reden", antwortet sie traurig. Ich weiß nicht , was ich sagen soll. Sie ist scheinbar sehr niedergeschlagen, ich würde gern wissen weshalb und ob ich sie aufheitern kann. Das würde ich gern tun. Bereits vorhin im Café wirkte sie so distanziert, in sich gekehrt. Dennoch konnte ich ihr Lächeln den ganzen Tag lang nicht vergessen. " Wohnst du hier irgendwo?", lenke ich das Gespräch in eine andere Richtung. "Ja. Seit heute irgendwie." "Irgendwie?", schmunzle ich. "Ist kompliziert." Ich nicke und frage nicht weiter. Sie wischt sich die Wangen trocken und starrt weiter aufs Wasser. Ich betrachte ihr Profil. Sie ist sehr hübsch. Ihre langen braunen Haare haben einen roten Schimmer, sie glänzen in der Sonne und fallen perfekt auf ihre Schultern. Ihre Augenbrauen sind perfekt gezupft, ihre Wimpern lang und stark getuscht. Sie beißt sich auf ihre volle Unterlippe und sieht mich an. "Was ist?", meint sie irritiert. Ich glaube ihre Augen sind blau, ich bin mir nicht sicher. "Nichts." Ich fühle mich ertappt.

Gern würde ich sie wiedersehen, doch will sie das? Sie wirkt nicht sehr begeistert, dass ich hier bin. Da steht sie plötzlich auf und will gehen."Summer, kann ich dich vielleicht irgendwie wiedersehen und dich auf andere Gedanken bringen?", sprudelt es auf einmal aus mir heraus, obwohl ich gar nicht weiß, ob ich das wirklich sagen will. Ihr Gesichtsausdruck ist gleichgültig, sie zuckt ebenso gleichgültig mit den Schultern. "Morgen Abend vielleicht? Ich gehe mit Freunden in einen Club. Oder danach?", hake ich nach. "Keine Ahnung. Vielleicht", nuschelt sie vor sich hin, weicht meinem Blick wieder aus. Irgendwie will ich nicht gleich aufgeben, nur weil sie nicht gleich Ja schreit. "Ich geb dir einfach meine Nummer. Ruf mich halt an. Keine Ahnung wie es morgen aussieht. Sag ich dir dann", meint sie nun und ich freue mich darüber, versuche es mir aber nicht anmerken zu lassen. Langsam kramt sie in ihrer Jackentasche und zieht einen Kugelschreiber heraus. Sie nimmt mein Handgelenk und schreibt ihre Nummer auf die Innenseite meines Unterarms. Irgendwie oldschool die Aktion. Aber auch sehr süß. Anschließend verschwindet sie ohne weitere Verabschiedung und ich blicke auf den See. Was ist das bloß für ein Mädchen? Irgendetwas an ihr macht mich neugierig auf mehr.

Klatschmohn & Lilien [Marco Reus] Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt