8. Der Panther

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Traurig werfe ich einen Stein ins Wasser und beobachte, wie sich die entstandenen Wellen ausbreiten. Ich bin selbst Schuld, ich hätte nicht so harsch reagieren müssen als er mich geküsst hat.
Dennoch mischt sich in meine Trauer um Josie dieses blöde Gefühl, abgewiesen worden zu sein. Seufzend stehe ich auf und laufe langsam zurück zum Haus. In dieser Nacht schlafe ich wieder sehr schlecht. Der einzige Vorteil daran ist, dass ich nicht von Josie träume. Ganz einfach deshalb, weil ich nie länger als 20 Minuten einnicke. Das reicht selbst meinem kaputten Verstand nicht, um diese grausamen Bilder auszugraben.
Nach 6 Stunden gebe ich es auf. Ich werde nicht mehr schlafen. So sind es in der Summe knapp 2 Stunden geworden letzte Nacht. Wieder viel zu wenig.
Genau so sehe ich auch aus. Meine Augenringe sind tief und dunkel, ich bin blass und wirke zerbrechlich. Kein schöner Anblick. Hunger habe ich auch keinen, ich schaffe es aber mir einen Kaffee zu kochen. Ohne den würde ich vermutlich auf der Stelle umkippen. Gelangweilt starre ich aus dem Fenster. Ich sollte rausgehen, unter Leute kommen. Mir kommt ein Gedanke, der mich sogar ansatzweise lächeln lässt. Ich suche mir die Adresse heraus und mache mich auf den Weg. Es ist noch früh, kurz nach 9Uhr. Doch ich habe Glück, der Zoo hat bereits geöffnet. Ja, ich gehe jetzt in den Zoo.

Josie und ich haben das damals oft gemacht in Berlin. Es war wie ein Ritual für uns beide. Schon von Kindesbeinen an haben wir unseren Eltern immer in den Ohren gelegen, dass wir endlich wieder in den Zoo wollten. Egal, ob wir erst letzte Woche dort gewesen waren. Wir konnten nicht oft genug dorthin.
Häufig saßen wir einfach nur vor dem einen oder anderen Gehege und beobachteten stundenlang die Eisbären, Robben, Karibus, Elefanten oder was auch immer. Wenn man dort so lange sitzt, gibt man den Tieren irgendwann Namen, man erkennt sie an der Art wie sie sich bewegen wieder und sucht sich seinen Liebling aus. So war es auch bei uns. Ich war immer besonders gern bei den Eisbären und den Raubtieren. Josie liebte dagegen die Nilpferde und Affen. Wir waren schon ein komisches Paar.
Auch an diesem Morgen schlendere ich langsam durch den Zoo und mache mich mit den Wegen des Dortmunder Zoos vertraut. Ich nehme mir viel Zeit und bleibe immer lange bei den Tieren stehen und beobachte sie. Besonders lang beobachte ich die Affen und die Nilpferde. Das tue ich für Josie. Falls sie es sieht, soll sie wissen, dass es auch in Dortmund niedliche Nilpferde und hangelnde Äffchen gibt.

Bei den Raubtieren werde ich nachdenklich. Schweigend beobachte ich die mächtigen Samtpfoten, die auf leisen Sohlen ihre Runden drehen und scheinbar ins Leere starren. Sie machen mich traurig, diese prächtigen Wesen, eingesperrt und gefangen in dieser Monotonie. Ich sehe dem Panther direkt in die Augen und muss an das Gedicht von Rainer Maria Rilke denken.

"Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe
so müd geworden, daß er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
und hinter tausend Stäben keine Welt.

Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
in der betäubt ein großer Wille steht.

Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
sich lautlos auf –. Dann geht ein Bild hinein,
geht durch der Glieder angespannte Stille –
und hört im Herzen auf zu sein. "

, ich flüstere die Worte beinahe tonlos und wende meinen Blick nicht von diesem pechschwarzen Tier, welches zurückstarrt. Weshalb wollte ich in den Zoo, denke ich betrübt. Ich fühle mit dir, du arme Kreatur - eingesperrt, ausgeliefert. du verlierst dich im Starren. "Ich fühle mit dir, ich bin wie du", wispere ich und eine einzelne Träne rollt mir über die Wange. Noch lange sehen wir uns in die Augen, der Panther und ich. Meine Gedanken wandern zu Josie. Josie hat mich häufig mit einer Löwin verglichen. Ich fand das lächerlich, doch sie bestand darauf.

"Du bist klug, Löwen jagen sehr strategisch. Und du hast Kraft, du würdest für mich, für deine Familie alles tun. Du würdest dein eigenes Leben geben. Stolz, mächtig und so liebevoll. Das bist du. Genauso wie diese Löwin dort", hatte sie einmal gesagt, als wir bei den Löwen gestanden hatten. Nachdenklich gehe ich zu den Löwen und sitze eine gefühlte Ewigkeit dort.
Meine Gedanken an Josie und Marco vermischen sich. Josie fehlt mir, nach Marco sehne ich mich - weil er es geschafft hat, dass ich meinen Schmerz vergessen konnte. Nur kurz, doch ich habe ihn vergessen.

Klatschmohn & Lilien [Marco Reus] Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt