Um Punkt 12 Uhr saßen wir vier, Papa, Mama, Lena und ich, in der kleinen Halle, geschmückt mit unzähligen Blumen, die unser Esszimmer war. Obwohl wir genug Geld hätten, einen Koch für uns einzustellen, bestand meine Mutter darauf, den Haushalt selbst zu schmeißen. Sie hätte ja die Zeit, wiederholte sie sich immer wieder.
Seit Mama Lena und mich hat, arbeitet sie nur noch als Teilzeitkraft an drei Tagen in der Woche. Unser Vater arbeitet fast rund um die Uhr, weswegen wir ihn kaum zu Gesicht bekommen. Tagsüber verbringt er seine Zeit in seiner Logistik Firma, unten in Centralia, und meistens kommt er erst spät in der Nacht wieder nach Hause. Doch es ist Tradition geworden, seit ich zur Schule gehe, dass mein Vater die erste Woche der Sommerferien Urlaub nimmt, um bei uns zu sein. So wie diese Woche.
keiner sagte ein Wort. Es herrschte Stille und das gefiel mir ganz und gar nicht. Wie heißt es so schön: Auf die Stille folgt der Donner... oder so ähnlich zumindest.
"Lettie...", begann mein Vater schließlich. Ich sah etwas verunsichert in seine hellen, grauen Augen. "Wie oft muss ich dir noch sagen, dass ich nicht möchte, dass du dich im Wald und abseits der Hauptstraße aufhältst?" Ich glaube er meinte das eher als rhetorische Frage, da ihm die Antwort eigentlich schon klar war. "Aber es war Vollmond... kannst du da nicht ein einziges mal eine Ausnahme machen? Bitte...", ich sah ihn flehend an. "Natürlich nicht. Gerade bei Vollmond ist es am gefährlichsten." Er legte sein Besteck ab. "Außerdem habe ich dir schon mindestens eintausend mal gesagt, dass Roy und seine Gefährten zu späten Stunden in den Wäldern auf Jagd sind." Ich sah ihn ungläubig an. "Als ob er und seine Leute nicht zwischen einem Menschen und einem Tier unterscheiden könnten.", meine Stimme triefte nur so vor Spott. "Ich meine das ernst! Ich will nie wieder mitbekommen, dass du dich in den Wäldern herumtreibst!", meinte er drohend. Ich dachte mir dazu nur meinen Teil. Dann bekommst du es in Zukunft einfach nicht mehr mit, dachte ich und lachte mir innerlich ins Fäustchen. "Nimm dir doch ein Beispiel an deiner Schwester! Sie hört auf uns, wenn wir ihr etwas verbieten." Ja... aber nur, weil es sie auch nicht im geringsten interessiert, was außerhalb des Hauses abgeht., dachte ich. "Zur Strafe wirst du nach dem Essen das Geschirr abspülen, die Ställe säubern und mit Willow Gassi gehen." Ich sah ihn an und seufzte tief. Da ich das sowieso meistens alles alleine machen musste, sah ich darin eigentlich großartig keine Strafe. Immerhin, wenn ich dann erst mal soweit war, dass ich mit unserem Hund, Willow, raus gehen konnte, um einen kleinen Spaziergang zu machen, kam ich wenigstens etwas an die frische Luft.
Nachdem ich alle Teller und Töpfe vom Esstisch abgeräumt hatte, brachte meine Mutter jedem von uns eine kleine Schüssel und einen Dessertlöffel. "Dessert? Juhu, das gibt es sonst ja nie.", freute sich Lena und machte sich auch gleich daran, die Himbeeren Creme zu vernaschen.
"Es gibt noch eine Kleinigkeit, die wir euch erzählen müssen.", meine meine Mutter etwas besorgt. "Wie ich euch schon gesagt hatte, ist eure Tante die nächsten 2 Wochen im Urlaub und ich muss mich um Oma kümmern." Lena und ich nickten fast synchron. "Und ich muss spontan nächste Woche auf Geschäftsreise nach Peking, da der Arbeitskollege, der ursprünglich gehen sollte leider ausfällt..." Meine kleine Schwester sah mit einem vielsagenden Grinsen zu mir. "Das heißt sturmfrei?", die Euphorie in ihrer Stimme war kaum zu überhören. "Nun mal halblang!", Mama lachte. "Von Montag bis Donnerstag nächste Woche wird Loveday bei euch sein und auch hier übernachten." Kleine Information am Rande: Mamas beste Freundin, Loveday, trug eigentlich den Namen Maike, beschloss allerdings irgendwann sich selbst nur noch beim Namen Loveday zu nennen. Wir wissen bis heute nicht warum. Was ich weiß ist: Sie hat nicht mehr alle Tassen im Schrank, doch ich mochte sie gerne. Lena hingegen kam noch nie besonders gut mit ihr aus. Das konnte ja noch lustig werden...
"Donnerstag Abend, Freitag und Samstag seid ihr dann alleine, da euer Vater erst Sonntag Morgen zurück kommt und ich bis Mittwoch die Woche darauf bei Oma bleibe." Lena, die ihr Dessert bereits verschlungen hatte, sah Mama mit einem vorwurfsvollen Blick an. "Wollt ihr, dass ich verhungere?" Ich hatte mir gerade ein Löffel voll in den Mund geschoben und verschluckte mich glatt, als ich wegen Lenas Aussage anfangen musste zu lachen. "Was denn?", sie sah mich skeptisch an. "Loveday kann halt einfach nicht kochen!" Jetzt mussten auch die beiden Erwachsenen über den Trotz der 15 jährigen lachen. "Keine Angst mein Spatz.", versuchte Mama sie zu besänftigen. "Ich werde die nächsten Tage ein paar Gerichte vorkochen, die ihr dann nur noch warm machen müsst.", sie lächelte uns beide an. "Meint ihr, ihr beiden schafft das ohne uns?" In ihrem Gesicht stand Besorgnis. Mich sah sie dabei besonders an. Ich nickte. "Das kriegen wir schon irgendwie hin...", meinte ich stumpf. "Darf ich dann euer Bad benutzen, wenn Lena unseres mal wieder zu lange in Anspruch nimmt?" Ja, die Frage war für mich äußerst wichtig. Mama lächelte erleichtert. "Ausnahmsweise." Ich grinste triumphierend. Endlich mal eine gute Nachricht für heute.
Das Mittagessen war beendet und ich trat meinen, mehr oder weniger, aufgezwungenen Küchendienst an, spülte alle Teller, Töpfe und alles was an Besteck anfiel.
Anschließend stand unser Stall an. Es waren insgesamt zehn Boxen, von denen allerdings nur sieben belegt waren. Fünf der Pferde waren zum reiten gedacht, die anderen beiden bekamen bei uns ihr Gnadenbrot, da sie schon relativ alt waren und nicht mehr für Ausritte geeignet waren. Lena war mit ihrem Pferd, welches den einfallsreichen Namen Pony trug, bereits unterwegs, das heißt, Ponys Box durfte sie schön selbst säubern.
Ich machte mich daran, zuerst die Pferde auf die Weide zu bringen, um freie Bahn zu haben. Darauf folgte, alles Heu aus den Boxen zu entfernen und durch zu schrubben. Anschließend noch frisches Heu auf den Boden der Boxen verteilen und fertig! Es hatte mich etwas mehr als eine Stunde gekostet, aber jetzt würde erst mal ein ausgiebiger Spaziergang mit Willow anstehen, auf den ich mich schon sehr freute.
Ich ging ins Haus, wo mich eine kühle Umgebung überraschte. Endlich wurde die Klimaanlage eingeschaltet. "Willow, mein kleiner. Zeit zum raus gehen!", rief ich durch die Gänge, da ich zu faul war, den Hund zu suchen. Doch das einzige Tier welches auf mich zu gerannt kam, war Leo, einer der beiden Katzen. "Na du?" Er streichte um meine Beine und ich hauchte ihm ein kurzes Küsschen auf seinen kleinen Kopf. Ja, ich liebte meine Tiere sehr, sie waren für mich ein äußerst wichtiger Teil der Familie.
Von Willow jedoch war keine Spur. Ich lief zum Treppenaufgang, der zu meinem Zimmer führte und sah mich um. Noch immer wusste ich nicht wo der Hund steckte. "Wau wau wo steckst du?", sagte ich in einer niedlichen Stimme, in der Hoffnung er würde von alleine auftauchen. Keine Chance. Wo könnte ich denn noch suchen? Meine Eltern fragen, ob sie wussten wo er steckte ging leider nicht mehr, denn die beiden sind in die Stadt zum einkaufen gefahren. Und jetzt? Ich lief zu einem Pavillon, der mitten in unserem Garten stand, und betrat ihn.
Als kleines Kind hatte ich mir oft eingebildet, dass der alte, verkommene Flügel, der auf einem kleinen Podest stand, von alleine anfing zu spielen und sang immer tagelang eine Melodie vor mich hin. Leider konnte ich mich schon seit ein paar Jahren nicht mehr an diese Melodie erinnern... Bis heute.
Kaum nach dem ich den Raum betrat und die Türe hinter mir zu zog, hörte ich ein bekannten Klang. Ungläubig näherte ich mich vorsichtig dem Klavierflügel. Da! Die Tasten bewegten sich tatsächlich von selbst, genauso wie früher! Das gab es doch nicht! Und hinter dem Flügel saß Willow. Ich musterte ihn. Irgendetwas war anders an dem Hund, ich wusste nur nicht was.
In diesem Moment verstummte das Klavier. Ich seufzte erleichtert. Ehrlich gesagt fand ich das ziemlich unheimlich... Mir lief ein kalter Schauer über den Rücken und ich bekam Gänsehaut.
Ich schüttelte mich. "Komm Willow... Wir gehen Gassi." Ich band den Hund an die Leine und verließ zusammen mit ihm den Pavillon.