Nach dem Gespräch mit meinem Vater vergingen die nächsten drei Tage wie im Fluge. Meine Mutter hatte mir zu dem über das Wochenende Hausarrest erteilt, da Lena sich geweigert hatte die Box ihres Pferdes zu säubern und, ich zitiere: "Es war deine Aufgabe und du hättest das erledigen sollen, junge Dame!" von meiner stock sauren Mutter. Nun ja, so kam es dazu, dass ich von Freitag bis Sonntag die meiste Zeit am lesen war.
Es war Montag Morgen. Ich war gerade aufgestanden und hatte mir meine Klamotten über gezogen, als es auch schon an der Türe klingelte. Mama rannte schon seit gefühlten Stunden gestresst durch die Gänge mit all ihren Koffern. Gehört hatte ich alles, nur hatte ich keine Lust gehabt schon aufzustehen, denn, da unser Vater bereits um 6:00 Uhr das Haus verließ, wollte sie uns nochmal auf alles hinweisen. Das hieß: Was wir zu tun und lassen hatten, wo das vorgekochte Essen sich befand, wann und wie oft wir die Pferde und die Katzen füttern mussten, wie oft wir mit Willow Gassi gehen sollten, und und und...
Sie hauchte erst mir, dann Lena einen Kuss auf die Stirn. "Loveday wird gegen 14:30 Uhr bei euch sein." Sie sah noch ein mal mit einem besorgten Blick zu mir. "Lettie... bitte mein Schatz, versprich mir, dass du nicht noch mal in den Wald gehst." Sie strich mir mit ihrer Hand durch mein Haar. Ich nickte leicht. "Ja... Ist okay...", meinte ich nur zähneknirschend. Sie verließ das Haus und schloss die Türe langsam hinter sich. Der neue Ehemann unserer Tante, den ich nicht leiden konnte, stand mit seiner aufgemotzten Karre vor dem Gittertor unseres Hauses um Mama abzuholen.
"Sobald Loveday da ist, bin ich weg." Ich sah Lena stirnrunzelnd an. Ein kurzes "Hä?", kam über meine Lippen. "Ich übernachte bei einer Freundin bis Mittwoch, die hat sturmfrei." "Du machst Witze oder?" Ungläubig musterte ich sie. "Du willst mich allen ernstes mit Loveday alleine lassen?" "Pech für dich, würde ich mal sagen.", sie lachte höhnisch. An Tagen wie diesen würde ich ihr am liebsten den Hals umdrehen. Ich verdrehte genervt die Augen. Es wäre wohl das Beste, sie einfach in Ruhe zu lassen, also machte ich mich auf, die Treppen zu meinem Zimmer hoch zu gehen. Dort angekommen warf ich mich rücklings auf mein Bett, steckte mir meine Kopfhörer in die Ohren und schloss mein Handy an. Das erste Lied was in meiner Playlist erschien war Falling for you von Colbie Caillat. Ich mochte es sehr, es erinnerte mich immer an den Sommer, die grünen Wiesen und den strahlend blauen Himmel, also ließ ich es laufen. Ich schloss die Augen und begann vor mich her zu Träumen.
Aus irgend einem Grund kam mir die Begegnung mit Robyn in den Sinn und alles spielte sich vor meinem inneren Auge erneut ab. Ob er vielleicht wusste, warum unsere Eltern sich so hassen? Nun ja, wobei ich ihn auch nicht unbedingt fragen wollte. Schließlich ist er ein arroganter Mistkerl ohne auch nur den kleinsten Funken Anstand, wie ich fand. Ich mochte ihn nicht, dass hatte ich von Anfang an schon bemerkt. Obwohl er ja wirklich hübsch war, das musste man ihm echt lassen.
Es klopfte an der Türe. Trotz der Musik konnte ich es hören, also pausierte ich sie und stand von meinem Bett auf, um die Türe zu öffnen. Es war Lena, die nun vor mir stand. "Also... ähm..." "Raus mit der Sprache!", unterbrach ich sie. "Lunas Mutter kommt doch schon früher zurück, sie hat mir gerade geschrieben." "Und? Warum erzählst du mir das jetzt?" Skeptisch musterte ich meine kleine Schwester. "Naja... Ich bin dann schon morgen Abend wieder da und wollte dich fragen, ob wir dann am Mittwoch was zusammen unternehmen wollen... Ausreiten oder so." Ich lächelte sie an. Wir hatten schon lange nicht mehr so richtig etwas zusammen unternommen. "Gerne, warum nicht." Sie grinste mich zufrieden an. "Cool! Ich... ich geh dann jetzt mal meine Sachen für heute Abend packen." Sie deutete mit dem Kopf nach draußen in den Flur. "Alles klar.", antwortete ich knapp und schloss die Türe, nachdem Lena mein Zimmer wieder verlassen hatte.
Ich ging an mein Fenster und schaute in den Himmel. Es war gerade mal kurz nach zwölf Uhr. Ich hatte nicht die geringste Ahnung wie ich den angebrochenen Tag jetzt nutzen sollte. Ein leiser Seufzer verließ meine Lippen. Und jetzt? Spontan beschloss ich, meine beste Freundin anzurufen. Es ging nicht lang und sie meldete sich auch schon am Telefon. "Halli hallo?" "Annika, hast du heute zufälligerweise Zeit?", platzte es auch schon aus mir heraus. "Lettie?" "Ja!" Vermutlich konnte man mein Grinsen durch den Hörer förmlich durch sehen. "Zeit hätte ich schon, aber ich weiß nicht wie ich zu dir kommen soll..." Zur Info, Annika Schroeder, 19 Jahre alt, wohnte ca. 40 Minuten mit dem Bus von mir, beziehungsweise von Centralia entfernt. Das Problem daran war, dass in der Stadt, in der sie wohnte wegen einigen Baustellen Innerorts, zur Zeit kaum noch Busse fuhren. "Der nächste Bus fährt erst in, lass mich schauen.", man hörte ein lautes Rascheln im Hintergrund, "Knapp 4 Stunden." Also erst um 16 Uhr... Dann noch die 20 Minuten zu Fuß von Centralia nach Moondyke plus ihre Heimfahrt. "Das lohnt sich dann ja gar nicht!", jammerte ich in mein Telefon. Ein Seufzen am anderen Ende der Leitung war zu hören. "Ja, leider. Meine Eltern sind nicht zu Hause, außerdem würden die mich vermutlich eh nicht fahren. Du kennst sie ja." Ja, ich kannte ihre Eltern. Sie waren nett, aber sobald es darum ging, dass Annika Außerorts irgendwo hin gehen wollte stellten sich beide stur. Ich winselte wie ein kleiner Welpe vor mich hin. "Mensch... mir ist so langweilig, ich weiß gar nicht was ich heute machen soll." "Dito..." Wir beide, deutlich genervt von der Situation, überlegten was es noch für Möglichkeiten gab, wie sie hier kommen könnte. Mir kam eine Idee. "Du, ich hab eine Idee warte mal kurz, ich ruf dich gleich nochmal an!" Ohne auf eine Antwort zu warten legte ich auf und suchte nach der Handynummer von Loveday in meinen Kontakten. Da! Ich hatte sie! Und schon wählte mein Handy ihre Nummer ein.