Kapitel 8:

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Stück für Stück riss die mittlerweile instabile Wurzel aus der Felswand aus und es würde sicher nicht mehr lange dauern, bis sie sich gänzlich ablöste. Ich schloss die Augen, ich wollte es nicht wahr haben, dass gleich alles zu Ende war. Loveday würde von Mama und Papa Ärger bekommen, da sie ja auf uns aufpassen sollte. Ich wollte nicht, dass Mama wegen mir ihre beste Freundin verlor, dass sie ihr Kind verlor...
Eine schockiert klingende Stimme riss mich aus meinen Gedanken. "Alter, was machst du für Scheiße, Mädchen?" Ich sah hoch. Er war es tatsächlich. Robyn war gekommen um mich zu retten. Wow!

Irgendetwas raschelte oberhalb der Klippe, dann lag Robyn auf dem Bauch, rutschte ein Stück über die Klippe und lehnte sich nach unten. Er streckte beide Hände nach mir aus. "Gib mir deine Hand! Ich zieh dich zu mir hoch!", rief er mir zu. Ich hakte mich mit dem einen Arm in die Wurzel ein, um dass ich Robyn meine rechte Hand reichen konnte. Gesagt getan, ich streckte meine Hand nach seiner aus. Er packte meine mit seinen starken Händen und zog mich nach oben. Nur wenige Sekunden später riss die Wurzel aus dem Fels und fiel hinab in die Tiefe.

Ich zitterte fürchterlich, wollte mich aufrichten, konnte mich aber nicht mit den Armen abstützen, sie waren wie Pudding so wabbelig. Langsam konnte ich wieder klare Gedanken fassen und begriff, was eigentlich gerade passiert war. Ausgerechnet Robyn hatte mich gerettet, ich konnte es kaum glauben, aber dennoch stimmte es. Es war kein Traum, denn für einen Traum waren die Schmerzen in meinen Armen und meinem Kopf zu präsent. Neben mir raschelte es. "Was hast du dir eigentlich dabei gedacht? Du kennst dich hier kein Stückchen aus, dass du blind in dein Verderben rennen würdest war ja zu erwarten!", wurde ich von der Seite angemeckert. Robyn setze sich auf und musterte mich. Dann verließ ein schwerer Seufzer seine Lippen. Sein Blick war von Sorge getrübt. "Du bist so dumm, Mädchen!" Der besorgte Blick wechselte schnell wieder in sein übliches Pokerface. Ich nenne es deshalb Pokerface, weil man ihm von jetzt auf gleich auf einmal nicht mehr ansehen konnte, was in ihm vorging und wie er sich fühlte.

Eigentlich wäre ich rasend vor Wut geworden, nach seinem Vorwurfsvollem Vortrag, aber ich war es nicht. Ich war einfach nur froh und mehr als ein leises, unsicheres "Danke", brachte ich nicht heraus. Nach wie vor zitterte mein ganzer Körper, ich konnte mich nur schwer beruhigen. Robyn saß still neben mir und beobachtete mich. Ich schenkte ihm ein unsicheres Lächeln, welches allerdings nur von kurzer Dauer war, denn Nika kam auf uns zu gerannt. Mit samt Hund. In diesem Moment sprang Robyn auf, entgegnete mir ein kühles "Gern geschehen." und setzte gerade an, zu gehen. "Du hier?" Nur schwer atmend konnte Nika die Worte raus bringen. Auf den Knien abgestützt und außer Atem stand sie vor uns. Willow bellte, kam auf mich zu und schleckte mir übers Gesicht. Ein letzter Blick zu mir runter auf den Boden und ein knappes: "Pass auf dich auf..." und Robyn machte kehrt und verschwand im dunklen Inneren des Walds. Ich sah nur verblüfft hinter ihm her, während Nika versuchte ihren Atem zu beruhigen.

Ich blieb erst einmal sitzen, denn meine Beine wollten noch nicht ganz das tun, was ich eigentlich von ihnen wollte. Sie zitterten stark und ich musste mich schrecklich zusammenreißen, nicht sofort wieder in die Knie zu sinken. Geschafft! Ich stand, zu meiner Verwunderung, fest mit beiden Beinen auf dem Boden. "Lettie...", Nika atmete erleichtert auf. "Gott sei dank..." Man konnte ihr ansehen, dass sie den Tränen nahe war, verständlicherweise. Ich sah nachdenklich zu ihr und ließ mich währenddessen zurück ins Moos fallen. Ich hatte noch nicht genug Kraft. Sie setzte sich zu mir auf den Boden. "I-ich konnte Robyn nicht finden... aber er war schon da... Oh man, Lettie es tut mir so leid! Ich hätte dich da nicht alleine lassen sollen, das war unüberlegt von mir!" Jetzt flossen ein paar Tränen über ihr Gesicht. "Bitte hör auf zu weinen! Sonst fange ich auch noch an!", schluchzte ich auch schon leicht. Der Schock, der die ganze Zeit über auf mir lag machte sich so langsam rar, weswegen ich am liebsten einfach nur losgeheult hätte. Aber nein! Lettie, reiß dich zusammen! Gerade du solltest jetzt stark sein, immerhin bist du selbst schuld an der Sache, redete ich mir ein.

Wir saßen noch gefühlte Stunden an einem morschen Baumstamm angelehnt, bis ich dann endlich wieder sicher auf den Beinen stehen konnte. "Lass uns nach Hause gehen... Ich hab echt genug für heute..." Mein flehender Blick traf auf Nikas rehbraune Augen. Die Angesprochene nickte und erhob sich ebenfalls. "Frag mich mal... Ich hatte echt Schiss...", gab sie zu. "... Dito.", entgegnete ich zögernd.

Auf dem Heimweg war mir ziemlich mulmig zumute. Ich krallte mich an Nikas T-Shirt fest und sah fast ständig auf den Boden, um nicht noch einmal auszurutschen, oder ähnliches. Wir bogen rechts ab und betraten kurz darauf die schmale hölzerne Brücke. Am Ende dieser angekommen, fühlte ich mich schon sicherer, da ich den Rest des Weges wie meine Westentasche kannte. Ich ließ Nikas T-Shirt allerdings solange nicht los, bis wir dann endlich auf der geteerten Hauptstraße ankamen. Wir liefen zu unserem Haus und schlichen uns leise und vorsichtig rein. Drinnen war nichts zu hören, zum Glück! Loveday schien tief und fest zu schlafen. Wir schlichen weiter durch die Gänge, die Treppe des Turms nach oben, öffneten leise die Türe zu meinem Zimmer, huschten nach Innen, und verschlossen sie genauso leise, wie wir sie geöffnet hatten.

Dadurch, dass beide Fenster gekippt waren und der Deckenventilator lief, war es angenehm kühl hier drinnen. Wir schmissen uns beide in unsere Pyjamas, ich schloss die Fenster und Jalousien, schaltete den Ventilator aus und kuschelte mich letzten Endes zusammen mit Nika in mein Bett. "Annika?" "Hmm?", kam es von dieser schläfrig. "Das, was vorhin passiert ist, das bleibt unser Geheimnis, versprochen?" In meiner Stimme schwang Unsicherheit mit. "Klar doch!", antwortete diese sofort. "Aber lass uns bitte gleich schlafen, ich kann nicht mehr, ich bin total am Ende!" Jedem von uns jagte es einen Schauder über den Rücken. Ich nickte, auch wenn ich mir nicht sicher war, ob Annika das überhaupt sehen konnte.

Sie hatte recht. Das Adrenalin, was zuvor durch mein Blut schoss, wich nun einer schrecklichen Müdigkeit. Ich schloss meine Augen. An dem ruhigen Atem meiner besten Freundin stellte ich fest, dass sie wohl schon eingeschlafen sein muss.

Meine einzige Hoffnung für den Rest dieser Nacht war nur eine: Ich wollte auf gar keinen Fall von diesem fürchterlichen Ereignis in meinen Träumen verfolgt werden. 

Die Straße zum MondWo Geschichten leben. Entdecke jetzt