Kapitel 1

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Ich wusste nicht so recht, ob ich doch mehr nervös als glücklich war, als ich am Samstagabend vor dem Spiegel stand und vergeblich versuchte, mich mehr oder weniger mit meinem Aussehen anzufreunden. Vielleicht sollte ich mir doch die Haare färben, überlegte ich und zuckte zusammen, als ich mir mit dem Lockenstab fast die Kopfhaut verbrannte.

Mist aber auch.

Und echt traurig, dass ich so wenig Erfahrungen mit dem ganzen "schön-aussehen-fürs-erste-Date" hatte.

„Olivia! Noch fünf Minuten" schrie mir Lion, mein kleiner Bruder, zu und ich konnte fast hören, wie er die Augen verdrehte.

Ich begann hysterisch zu kichern, als ich mir meine Situation vorstellte:

Noch fünf Minuten bis zu meinem (wie man an meiner unheimlich routinierten Vorbereitungsphase merkte) ersten Date (nach einer viel zu langen Zeit) und ich stand hier: In BH und Unterhose und Strumpfhose, mit fünf und einer halb verbrannten Locke und nur einem geschminkten Auge

= suuuper.

Noch vier Minuten. Ich kämmte mir blitzschnell die Haare und versuchte erfolglos die fünfeinhalb Locken an den Rest meines haarigen Etwas anzupassen, während ich mir mit der anderen Hand das linke Auge schminkte. Es klingelte.

Drei Minuten zu früh!

Was sollte das denn bitte? Normalerweise war ich schrecklich pünktlichkeitsliebend, aber eine Verspätung von Taylor wäre mir gerade jetzt Recht gewesen.

„OLIVA?!", schrie Lion schon wieder. Hoffentlich hörte Taylor ihn nicht.

„SOLL ICH DIE TÜR AUFMACHEN?"

„NEIN, MANN!" schrie ich zurück.

Ich hatte alles im Griff. Jedenfalls versuchte ich mir das einzureden. Hektisch zwang ich mich der Versuchung zu widerstehen mir vorzustellen, wie Taylor gucken würde, wenn ich ihm in BH und Unterhose die Tür aufmachen würde und zog mir ein Top und meinen Lieblingsrock über. Für mehr Überlegungen blieb mir eh keine Zeit und würden in der Hysterie, in der ich mich gerade befand, sowieso nur in unnötigen Vorstellungen enden, die mir im schlimmsten Fall nur einen weiteren Kicheranfall einbrocken würden.

Also atmete ich nur tief durch und öffnete die Tür.

„Hey Taylor", versuchte ich möglichst unbeschwert zu klingen.

„Hey", antwortete Taylor mit einem süßen Blumenstrauß und einem ebenso süßen Lächeln.

Plötzlich war ich froh, dass ich zugesagt hatte. So schlimm konnte es ja nicht werden, wenn man mit einem netten, gutaussehenden (!) Jungen, der einem sogar Blumen mitbrachte, essen ging.

Als ich ihn in seinem schlichten schwarzem T-Shirt (Gott sei Dank hatte er kein Hemd oder so angezogen, was meine größte Angst gewesen war), fiel mir ein, dass ich nun eigentlich an der Reihe war, etwas zu sagen, doch plötzlich machte Taylor große Augen.

Mein Puls schoss automatisch in die Höhe. Bitte, dachte ich, sag jetzt nicht, dass mein Rock halb in meiner Unterhose steckt, dass ich einen riesigen Maskarastrich auf der Nase habe, dass mir die Locke tatsächlich abgebrannt und gerade abgefallen ist oder noch viel schlimmer, meine Haare Feuer gefangen haben...

Der letzte, doch etwas verstörende und leicht unrealistische Gedanke brachte mich wieder in die Realität zurück und ich folgte Taylors Blick. Lion stand hinter mir und ich spürte, dass er aus irgendeinem Grund überrascht war. Immerhin kein Brand, dachte ich erleichtert und ergriff endlich das Wort.

Engelsflügel Du kannst Dein Schicksal nicht verändernWo Geschichten leben. Entdecke jetzt