Kapitel 14

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„Du kannst dich beemen?", rief ich laut.

Ich hatte vergessen, dass sie meine Gedanken noch viel besser hören konnte als ich ihre.

„Wenn du es so nennen willst. Ja?", antwortete Allie, besorgt, dass diese Info wieder zu viel für mich werden würde.

Ich machte mir nicht die Mühe, meinen Wunsch, ihr Talent mit eigenen Augen zu sehen, auszuformulieren. Sich über Gedanken verständigen können, machte ziemlich faul.

Froh darüber, wie gut ich es aufgenommen hatte, lächelte Allie und stand im nächsten Moment auf einem der Tische im hinteren Teil des Klassenraums und im nächsten Moment direkt vor meiner Nase.

„Wie cool", hauchte ich begeistert. „Das ist wirklich einfach nur cool!"

„Findest du", Allie zuckte mit den Schultern, lächelte aber. „Ich war damals ziemlich verstört."

„Wie hat dein Trainingspartner reagiert?", fragte ich neugierig.

„Hat mit dem Training für den Tag aufgehört, weil er meinte, er halluziniere schon." Sie lachte und auch ich musste grinsen.

„Aber natürlich war und ist es ein sehr hilfreiches Talent", gab sie zu. „Das musste natürlich auch trainiert werden, vor allem im Zusammenhang mit Kampftechniken, aber das machte die Prüfungen nur noch schwieriger für mich, weil ich mir die ganze Zeit über dachte: in echt verschwinde ich einfach auf den übernächsten Kontinent." Sie pausierte, doch meine Gefühle drängten sie dazu, schnell weiterzuerzählen. „Was mich zu dem dritten Talent führt: ich kann mich nicht nur innerhalb eines Raumes, sondern auch zwischen den Sphären und der Welt "beemen", um deine Worte zu benutzen. Ich habe sicher schon seit 10 Jahren nicht mehr den Fahrstuhl benutzt",  lachte sie.

So hing wahrscheinlich auch ihr viertes Talent mit den anderen zusammen. Sie brauchte keinen Fahrstuhl oder Todesfall, um auf die Erde und wieder zurück nach Hause zu kommen und konnte so schnell umher eilen, dass sich ihr Körper unabhängig davon einen entsprechenden Schutzkörper suchen musste.

„Sehr gut, ich habe damals nicht so schnell den Zusammenhang hergestellt."

„Also", entschied ich mich wieder fürs Sprechen. „du kannst Gedanken lesen, Gefühle spüren, beemen und deinen Schutzkörper unabhängig von den Sphären verändern. Kannst du auch auf der Erde wahllos deine Körper verändern?" Ich fand ihre Talente irgendwie viel spannender und interessanter, vor allem weil ich sie aus einer Distanz heraus entdecken konnte und es nicht ich selbst war, die plötzliche Veränderungen an sich selbst feststellen musste.

„Schon", bejahte Allie meine Frage. „Ist aber nicht so vorteilhaft", sie zwinkerte mir zu.

Ich verdrehte die Augen.

„Vier Talente, das sind zwei mehr als ich", stellte ich fest, selbst überrascht über den beleidigten Unterton. Allie legte den Kopf schief.

„Bist du dir sicher?"

Ich verstand erst nicht was sie meinte. Dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen:

„Ich kann die Seelenkörper erkennen!"

Allie nickte.

„Einer der Hauptgründe, warum es für mich immer dringender wurde dich zu sprechen. Aber dazu komme ich später noch. Weiter in der Geschichte. Wollen wir das ganze ein bisschen abkürzen?"

Meinetwegen antwortete ich ihr im Kopf und befand mich in der nächsten Sekunde wieder in ihren Erinnerungen.

Sie war nun wieder älter- etwa so alt wie ich jetzt, was ich aber hauptsächlich an der veränderten Frisur von Mike erkennen konnte. Allie begleitete ihren Schutzengel, der zu der Zeit eigentlich beim Tierschutz arbeitete, auf einem Auftrag. Es war keiner von der gefährlichen Sorte, denn es ging lediglich darum, einige Wilderer ein bisschen zu erschrecken, um sie daran zu hindern, im Naturschutzgebiet jagen zu gehen. Sie waren gerade dabei auf einer kleinen Lichtung zu landen und rannten anschließend einige Waldwege hinterher, doch als sie gerade abbiegen wollten, hörten sie Hilfeschreie, und ohne sich abzusprechen rannten die beiden auch schon in die Richtung des Wanderwegs. Durch die Gedanken des Mädchens, das geschrien hatte, verfolgte Allie konzentriert das Geschehen. Da ich selbst ihre Situation nachvollziehen konnte, bewunderte ich Allie umso mehr, wie sie es schaffte, eine perfekte Balance zwischen ihrer eigenen Wahrnehmung und der des Mädchens zu halten. Und sie war gerade am Rennen. Ich war mir hundertprozentig sicher, dass ich gegen einen Baum gerannt wäre.

Engelsflügel Du kannst Dein Schicksal nicht verändernWo Geschichten leben. Entdecke jetzt