Kapitel 16

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Da die Freistunden (die ich bis dahin frei gehabt hatte) mit Training von Allie ersetzt worden waren, wurden die folgenden Tage die anstrengendsten und vollsten, die ich inzwischen erlebt hatte.

(Und wir redeten hier von bis zu 12 Stunden Unterricht pro Tag)

Dazu kam, dass der Prüfungsstress loslegte und wir selbst die sonst eher subproduktiven Stunden (Teambuilding!) fürs Lernen nutzen mussten. Vor allem musste ich ja auch noch einen ganzen Haufen von Zeug nachholen:

Die Prüfungen würden im Juli stattfinden, Ende März war ich in der Sphäre angekommen, also musste ich mich jetzt wirklich hinsetzen, um innerhalb von einem Monat, der mir noch bis Juli übrig blieb, 3 Monate Training nachzuholen.

Auf jeden Fall das Theoretische. Was die praktischen Prüfungen anging, würde ich wohl noch das ganze nächste Jahr lang ziemlich nachhängen. Aber ich hatte mich schon längst davon verabschiedet, hier Klassenbeste zu sein. Der einzige Lichtblick war mein erster Flug, der am Mittwoch stattfinden sollte.

So verbrachte ich meine Tage mit Unterrichtstunden (wo wir Gespräche simulierten) zwischen Bücherbergen in der Bibliothek, (wo ich zusammen mit meinen Freunden gemeinsame Mitschriften verglich) alleine in meinem Dorm (wo ich verschiedene Anzeichen und Methoden zum Umgang und Vorbeugung von Suizidgefährdung und Mobbing nachholen und Vokabeln und Grammatik pauken musste). Hetzte dann in die Sporthallen und fuhr anschließend runter nach Sydney, um zu lernen, wie man an Hauswänden klettert.

Oder vielmehr lernten es die anderen. Ohne Flügel (bzw. mit Flügeln, die ohne die Fähigkeit zu fliegen toll aussahen, aber zu nichts Nutze waren) war es den Trainern doch etwas zu riskant und ich durfte nur mit Sicherung teilnehmen (was peinlich war).

Die einzige Stunde, wo ich mich im Gegensatz zu den anderen Jungengeln entspannen konnte, war U.S.

In meinen ehemaligen Freistunden gingen Allie und ich in leere Unterrichtsräume und trainierten meine besonderen Fähigkeiten. Nach meinem Gespräch mit Allie hatte ich begonnen, in meine Übungstests absichtlich Fehler einzubauen, damit sich Mrs Lizz nicht wieder wunderte. Was die erste Übung anging, hatte ich ihr einfach erzählt, dass ich mir an dem Tag zufällig genau gemerkt hatte, wo jeder gesessen hatte (sie glaubte, Sky hätte mir den Tip gegeben). Diese Art von Privatunterricht, auch wenn sie mir am meisten Spaß machte, war auch am anstrengendsten, da sie 1:1 verlief und meine Trainerin außerdem sofort mitkriegte, wenn ich mich nicht konzentrierte. Außerdem war der Unterricht auch noch unheimlich schnell, da Gedanken viel schneller auszutauschen waren, als Sätze.

Ich übte immer tieferes Unterbewusstsein zu lesen. Zwar unterstützte Allie meine Distanz zur Verwendung dieser Gabe sehr und half mir auch dabei, wie ich mich noch mehr davon abschirmen konnte. Natürlich sah ich aber auch ihren Punkt, dass es irgendwann durchaus nützlich werden konnte. Zum Beispiel in einer Kampfsituation, die wir oft simulierten, da ich mich sehr schwer damit tat, eine Balance zwischen meiner eigenen Wahrnehmung und der meines Gegners zu halten. Da kam es schon öfter vor, dass ich dachte ich sei noch vier Schritte entfernt von dem Whiteboard, dabei knallte ich in der nächsten Sekunde direkt dagegen.

Eines Nachmittags kam Allie richtig aufgebracht über eine Sache ins Training, auch wenn sie mich nicht sehen ließ wegen welcher (der Fairness halber ließ sie mich diese Abschirmung auch trainieren) und dabei machte sie eine interessante Erfahrung.

Du spürst die Emotionen ja richtig mit, hatte sie sich gewundert. Auch sie wusste zwar meistens ziemlich gut Bescheid über die Gefühle der Personen, dessen Gedanken sie las. Aber Gedanken spiegelten auch nicht immer wirklich das wieder, was jemand fühlte und deshalb fand Allie es um so faszinierender, dass ich tatsächlich die direkten Emotionen spürte, selbst wenn die Personen selbst sie nicht kannten. Dies und meine Seelenkörpergabe fand sie ebenso interessant, wie mich ihr Springen faszinierte.

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