Kapitel 5

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„Du willst mich doch verarschen!"

Ich schaute Taylor entgeistert an.

„Siehst Du hier Treppen?", konterte er mit einer Grimasse. Stimmt. Mist. Das war mir noch gar nicht aufgefallen. Fieberhaft überlegte ich nach irgendeiner passenden Ausrede. Es war nicht so, dass ich nicht neugierig war, aber irgendwie wollte ich es mit den Dramen langsam angehen. Aber mir wurde langsam klar, dass dieser Wunsch von nun an unerfüllt bleiben sollte.

„Hyperventillierst du schnell, Olive?" Taylor musterte mich kritisch.

Das war jetzt ne rhetorische Frage, oder?

„Also je nachdem, wenn d...", aber ehe ich den Satz beenden konnte, schien Taylor es sich anders überlegt zu haben und ehe ich mich versah hatte er mich an der Taille gepackt, dass mir gar nichts anderes übrig blieb, als mich an ihm festzuhalten und im gleichen Moment breitete er zwei riesige blendend weiße Flügel aus.

Im Nachhinein hätte ich schwören können, ganz sicher KEINE Flügel weder an ihm noch an Maria gesehen zu haben, aber viel Zeit zum Überlegen blieb mir kaum, denn im nächsten Moment hatte er eine Tür im Geländer geöffnet und wir stürzten hinunter.

Ich konnte nicht anders, aber ich schrie aus voller Kraft.

Ich schrie, weil mir alles zu viel wurde und ich schrie um Taylor zu ärgern, dass er mich so überrumpelt hatte, aber ich schrie auch, weil ich wusste, dass es ihn nicht aus der Ruhe bringen würde und weil mir das ganze -so fremd es auch war- gefiel und ich spürte, dass es etwas war, womit ich mich durchaus anfreunden können würde.

Wir rasten durch die Stockwerke, als gäbe es kein Morgen und ich begann mich zu fragen, wie Taylor bitte in den Silhouetten der vorbeirasenden Stockwerke Zimmer erkennen konnte- geschweige denn ein Nummernschild. Und anscheinend konnte er das auch kaum, da er plötzlich mitten im Fall stoppte, sodass -hätte ich mich nicht wie ein Klammeräffchen um ihn geschlungen-, ich wahrscheinlich runtergefallen wäre.

Er schlug ein Paar mal mit den Flügeln (ich kam mir so bescheuert vor, die Worte allein zu denken), um wieder einige Etagen höher zu kommen, dann schwang er sich über das Geländer und wir standen gefühlt am selben Ort, wie wenige Sekunden zuvor, nur -das sagte mir meine Logik- ein dutzend Etagen tiefer. Taylor stellte mich auf den Boden und ich konzentrierte mich darauf, nicht umzukippen, immer noch nicht ganz realisierend was gerade passiert war.

„Was sollte DAS?", meine Stimme flatterte und ich hoffte, dass der Zorn dennoch überwog. Letztendlich verrieten mich aber wohl meine glitzernden Augen.

Ich konnte nicht einfach so tun, als ob fliegen nicht das geilste auf der Welt wäre. Wenn ich mir auch eine längere mentale Vorbereitungszeit gewünscht hätte.

Auch Taylor merkte dies natürlich, lief ohne den Hauch einer Entschuldigung schnurstracks an mir vorbei und bog in einen der Seitenkorridore ab.

Schnell beeilte ich mich hinterherzueilen (und nein, ich schaffte es nicht, ohne mich im vorbeigehen -immer noch schwindelig vom Fall-an einer Wand zu stoßen. Zum Glück war Taylor aber noch nicht in Sichtweite). Schnell hatte ich ihn eingeholt.

Er wartete vor einer Tür mit der Nummer 120.799.

„Schick!", sagte ich und versuchte auch so zu klingen, aber um ehrlich zu sein, sah die Tür genauso aus wie die 120798 davor. Taylor nickte und es folgten ein Paar peinliche Sekunden, in denen ich mich etwas im Anblick seiner wirklich wunderschönen Schwingen verlor, bis ich merkte, dass er keine Anstalten machte die Tür zu öffnen, als er sich schon an den Kopf schlug und es mir erklärte:

Engelsflügel Du kannst Dein Schicksal nicht verändernWo Geschichten leben. Entdecke jetzt