26 Wochen - II

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Aus der Nähe ist er sogar noch umwerfender. Und seine Stimme ... Wie lange ist es her, dass ich eine Stimme vernommen habe, die nicht meine eigene war?

Ewige Zeiten.
21 Jahre.
Fast.

Er klingelt erneut. Das Problem ist, dass ich nicht einfach an die Tür gehen kann. Nicht als Biest. Wer würde nicht schreiend davonlaufen, wenn er so etwas sieht?

Schleichend komme ich an die Tür, drehe den altmodischen Knauf und verschwinde im nächsten Zimmer schräg gegenüber. Durch einen Schlitz zwischen Tür und Türrahmen beobachte ich Adam. Meinen Adam.

»Hallo? Jemand Zuhause?« Er tritt ein. Vielleicht sieht er es nicht, so lange hat er seine Gaben noch nicht, aber ich bemerke das lila Flimmern des Schutzschildes, das das Haus umgibt.

Drinnen ist er. Jetzt muss ich nur dafür sorgen, dass er mit mir spricht. Und ich ihm einen Handel vorschlagen kann. Was nicht so einfach sein wird, so in meiner Gestalt. Früher hätte ich ihn sofort um meine Finger gewickelt. Um alle. Er hätte mir jeden Wunsch von den Lippen abgelesen und hinterher hätte ich ihm das Herz gebrochen. So ein Mädchen bin ich.

»Ich habe gerade bemerkt, dass hier ein Haus ist ...« Er legt eine Hand in den Nacken und sieht sich weiter im Flur um. »Mir ist Ihr Haus noch nie aufgefallen und ich ... War irgendwie ... neugierig.«

Eher magisch angezogen, mein Lieber.

»Ist hier denn jemand?«

»Ja«, sage ich, bevor ich weiß, was ich tue. Sein Blick streift meinen und ich sehe noch, wie er die Augenbrauen zusammenzieht, ehe ich mich ins Zimmer zurückziehe.

Schon vor Jahren hatte ich aus Wut in jede Wand Durchgänge gegraben. Habe stundenlang an den Wänden hantiert, Tapeten abgerissen, Balken zerschmettert, alles zerstört, was mir in den Weg kam. Bis ich von jedem Zimmer mindestens zwei Ausgänge hatte.

Es gab nicht viel, was mir in all den Jahren Spaß bereitet hat. Oder mich ablenken konnte. Der Zauberspiegel, mit dem ich jederzeit Adam beobachten konnte, war nur solange eine Ablenkung, wie ich zusehen konnte. Nicht alles aus seinem Leben war es wert, gesehen zu werden.

»Tut mir leid, wenn ich Sie störe«, sagt Adam und ich höre die Irritation in seiner Stimme. »Ich sollte wieder gehen.«

»Nein!« Bevor ich weiß, was ich tue, ist es schon ausgesprochen.

Adam darf nicht gehen. Er ist meine einzige Chance. Ich brauche ihn.

»Ich kann aber nicht mit einer Wand reden. Oder mit einer Tür.«

Witz hat er auch. Verdammt, der Kerl ist ein Multitalent. Wenn ich mir nicht sicher wäre, dass Liebe ein absurdes Konstrukt ist, könnte ich vielleicht daran glauben. Er wäre meine erste Wahl für die Liebe. Vielleicht kann er ja durch den Zauber hindurchsehen? So wie beim Haus? Vielleicht sieht er die strahlende Schönheit unter dem Fell, unter den Hörnern?

Ich trete aus dem Zimmer, verstecke mich noch im Schatten und komme langsam in das Licht hinein. Erst eine krallenbesetzte Tatze, dann die nächste. Mein lilafarbener Umhang verdeckt noch den Großteil meines Gesichtes und dann stehe ich mitten im Licht.

Und Adam rennt.

Tale as old as timeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt