Kapitel 13

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Es war wieder einmal dieser uninteressante Sonntag, der so langsam verging. Es regnete erneut und graue, dunkle Wolken bedeckten den Horizont. Vielversprechend war der Morgen also schon einmal nicht. Meine Eltern hatten mitten in der Nacht, so ca um vier Uhr angerufen und mir mitgeteilt, dass sie erst in einer Woche wieder kommen würden. Also hatte ich weitere sieben Tage sturmfrei, mit denen ich überhaupt nichts anfangen konnte. Aber es ist nichts neues mehr für mich. Meine Eltern arbeiten sehr viel und hart. Allerdings mussten sie deswegen auch extrem oft, eigentlich immer verreisen. Seit mehr als fünf Jahren hatten wir kein gemeinsames Weihnachten gefeiert. Jetzt, da Conor nun auch weg ist, sieht es wohl so aus, dass ich dieses Mal ganz alleine sein werde.

Trotz allem hatte ich überraschenderweise gute Laune an diesem Tag. Ich suchte also meinen iPod aus meinem Rucksack heraus und verband ihm mit der Docking Station. Mein Musikgeschmack deckt so ziemlich alle Genres ab. Momentan gefällt mir My Chemical Romance. Deshalb füllte der Bass und die Gitarre von Dead bald mein Zimmer. Tanzend hatte ich mich also angezogen und danach unwichtige Dinge wie meine Morgen Routine und Frühstücken vollbracht.

Es war schon spät mittags, als ich mit dem Lernen für die morgige Schulaufgabe in Französisch fertig wurde. Ach Gott, wie sehr ich doch Französisch hasse. Es liegt nicht daran, dass mir die Sprache nicht gefällt. Eigentlich ist es genau das Gegenteil. Früher war ich immer gut in Französisch und stand auf einem stabilen B, doch das änderte sich in der Oberstufe. Meine Lehrerin, Mrs Moloney, entsprach dem typischem Klischee einer Französischlehrerin. Sie war übermotiviert, klein, ein bisschen sehr rundlich, hatte graue Haare (die sie mit braun nachfärbte, aber man immer den Ansatz sah), kugelige braune Augen (die sehr groß wurden, wenn sie überrascht war) und nannte uns, Abschlussschüler, ihre „kleinen süßen Mäuse". Allerdings verlangte sie auch sehr viel von uns. Anfangs dachte ich, dass Französisch in der Oberstufe bei ihr schon nicht so übertrieben schwer werden kann, doch ich hatte mich geirrt. Und diesen Fehler musste ich nun ausbaden, denn ich hatte Französisch als ein Fach für meine A-Levels, die ich dieses Frühjahr schreiben werde, gewählt. Glaubt mir, ich bereue es. Von tiefstem Herzen.

Nachdem ich also nichts mehr zu tun hatte, beschloss ich, eine Musterschülerin zu sein, und die Lektüre, die wir in Englisch momentan lasen, fertig zu lesen, wie es unsere Hausaufgabe war. Ehrlich es ist schon erstaunlich. In der sechsten Klasse oder so, wurden wir noch mit Hausaufgaben überfüllt und hatten dann gar keine Freizeit mehr, da man mehrere Stunden am Schreibtisch saß, doch jetzt, gab es fast so gut wie nie Hausaufgaben. Dafür mussten wir viel Lernen. Also gleicht sich das irgendwie wieder aus, anscheinend. Ach wie toll mein Leben damals, als 11- Jährige noch gewesen ist. Nie musste ich mir Sorgen machen, ob meine Wimperntusche verschmiert war, ob der Aufsatz nun wirklich zum Thema passte, ob ich auch wirklich für alles am nächsten Tag erledigt oder gelernt hatte, ob ein bestimmter Junge das eine dumme Gerücht von mir schon gehört hatte. Theatralisch seufze ich laut auf. Jetzt ist es aber wieder gut, Irina. Das brachte mich zum erneuten Luftauslassen.

Später, als ich dann auch damit fertig war machte ich mich auf den Weg auf den Dachboden. Unser Haus war ziemlich groß. Es hatte vier Stockwerke (Keller, Erdgeschoss, Obergeschoss und Dachboden). Mein Dad war sehr schlau beim Bau. Eine wunderschöne, aber auch sehr rutschige (ich spreche aus Erfahrung) Marmortreppe führte einem vom Gang zum ersten Stock. Mein Zimmer war gleich neben dem Büro. Normalerweise war mir der Zugang verboten, doch da meine Eltern so gut wie nie Zuhause waren, wurde mir das nach bestimmter Zeit so etwas von egal. Folglich lief ich also zum Büro und streckte mich auf Zehenspitzen. Gleich neben dem was weiß ich wie alten Kronleuchter war eine Luke, die zu meinem Zielort führte. Also zog ich an dem kaum sichtbaren Henkel und öffnete diese also. Die Leiter schob ich zu mir hinunter, damit ich auf sie steigen konnte. Die ersten Male, wo ich dies tat hat es sich wie ein kleines Abenteuer angefühlt. Doch nun ist jeder Handgriff in meinem Kopf und gewöhnt. Als ich dann endlich oben angekommen war, kam mir ein wenig stickige Luft entgegen. Der Dachboden erstreckte sich über die gesamte Maße des Hauses. Der Lichtschalter war gleich neben der Leiter, den ich also betätigte. Hier gab es kein Fenster, nur sehr, sehr, sehr viele Kisten mit altem Zeug und  doch war es mein Lieblingsplatz im ganzem Haus. Am Anfang war es gar nicht so einfach, alles einzurichten, doch die Arbeit hatte sich gelohnt. Ganz hinten, am anderen Ende der Etage war ein hellblauer Teppich ausgelegt. Darauf war ein kleiner Tisch, mit einem Stuhl. Und natürlich mein Baby. Jeder Mensch hat seine Geheimnisse, die man einfach keinem erzählt. Eigentlich ist es gar keine so große Sache, aber irgendwie habe ich es geschafft, es nun vier Jahre Alice, meiner einzigen Freundin zu verheimlichen. Glänzend neben dem Notenständer, stand mein Cello, dass ich mir aus meinen Ersparnissen, als 13-jähriges Mädchen gekauft habe. Da nie jemand hier herauf kommt, weiß es auch keiner meiner Familie. Mit wenigen Schritten bin ich da, da mein Gehtempo auch echt schnell ist.

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