[The Newcomer] ☆Zehntes Kapitel☆

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Tut mir leid, tut mir leid, tut mir leid *vergraben geh* Ich... äh... war beschäftigt... und hey - ich bin doch auch nur ein Mensch *nervös lächel*
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Es war Herbst geworden, und das merkte man nicht nur daran, dass die Blätter von den Bäumen fielen und die Luft langsam kühler wurde um einen herum. New England war berühmt für seinen sagenhaften Herbst und ich konnte dem nur zustimmen. Die Bäume waren voller buntem Laub und seit kurzem auch die Straßen. Man konnte kaum einen Fuß vor den anderen setzen, ohne einen raschelnden Laubhaufen vor sich herzutreten. Wenn man nur ein bisschen durch die Stadt gelaufen war und dann wieder nach Hause kam, klebten Blätter an den Schuhen und es nahm kostbare Minuten in Anspruch, sie wieder sauber zu machen, nur damit sie beim nächstbesten Spaziergang oder Shoppingtrip wieder ruiniert wurden. Außerdem hatte ich mir eine Regenjacke kaufen müssen - nicht, dass ich vorher keine besessen hatte, doch sie lag noch in meiner kleinen Wohnung in New Orleans, jene, die ich mit Ivy teilte. Ivy. Oh Gott, das schien Jahre her zu sein. Was war nur alles besser geworden seit ich nach Seattle gereist war! Ich hatte meine Mutter wieder, und meine Familie, die immer noch vollständig in dem kleinen, verfallenen Haus lebte. Niemand von uns beabsichtigte, bald zu gehen. Wir waren nur froh, uns wieder zu haben. Ich hatte einen Job beim Film, und alle warteten nur auf meine Rückkehr gegen Ende des Jahres. Und ich hatte Thomas. Endlich. Was war dagegen eine Regenjacke am anderen Ende der Welt? Aber wie gesagt, dass es Herbst wurde, merkte man nicht nur an dem erfrischend anderen Wetter; es lag auch etwas in der Luft, das meine Stimmung drückte und mich jeden Tag mit einem Stechen in der Magengrube aufstehen ließ. Es war der Blick hinüber zu meinem Kalender, bei dem sich mein Herz zusammenkrampfte und jedes Mal wenn ich in Gedanken die Tage zählte, glitt ein kalter Schatten der Vorahnung über mein Gesicht. Gestern waren es doch noch volle zwei Wochen gewesen! Warum waren heute nur noch wenige Tage übrig? Und warum machte mich jeder anbrechende Tag aufs Neue zu einem seelischen Wrack? Es bedurfte weit mehr als eine Umarmung von Thomas, um mich wieder gut gelaunt zu stimmen. Jeden Tag fasste ich ihn ein bisschen fester, jeden Tag fiel es mir schwerer, ihn loszulassen, mich von ihm wegzudrehen oder auch nur meinen Blick von ihm abzuwenden. Und jetzt waren nur noch gezählte Stunden übrig. Weniger als zweihundert. Ich schluckte, als ich daran dachte, und schwang meine Beine aus dem Bett. Gemeinsam mit Jessy und Allison war ich shoppen gewesen, Thomas hatte ich hier gelassen. Wie konnte ich nur? Na ja, wenigstens hatte ich einmal wieder Gelegenheit gehabt, mir ein Paar neue Jeans zu kaufen, und ein paar T-Shirts. Aber jetzt war mir eher nach einem dicken Pulli zumute. Es war kalt, eiskalt. Eine weitere Sache, die nicht Folge des kalten Herbstwindes war. Mir wurde übel, als ich nur daran dachte. Mit zitternden Fingern schaltete ich mein Handy an und warf einen flüchtigen Blick auf das Datum. 23. September. Noch drei.
"Rebecca, bist du so weit?", hörte ich eine Stimme hinter mir. Ich warf einen Blick durch das inzwischen von mir eigenhändig reparierte Fenster und zwang meine Mundwinkel zu einem gequälten Lächeln. Thomas wartete auf der anderen Seite, die Hände tief in den Taschen seiner braunen Winterjacke vergraben. Frostbeule. Für einen Moment war mein Lächeln echt. Schnell streifte ich mir eine Jogginghose über und schlüpfte in einen alten, zerlöcherten Pullover von meinem Bruder, dann öffnete ich das Fenster. Etwas ungelenk und doch geschickt kletterte Thomas hinein, trat sich die Schuhe von den Füßen und zog die dicke Jacke aus. Dann stand er da, Jeans und T-Shirt, von der Kälte gerötete Wangen, zerzaustes Haar und diese treuen, dunkelbraunen Augen, die ihn so viel jünger wirken ließen als er wirklich war. Ich stand auch da, die Wangen noch warm vom Schlaf, die Haare ebenfalls zerzaust, und ich war mir sicher, dass ich auf ihn nicht halb so anziehend wirkte, wie er auf mich. Beschämt über meine Gedanken senkte ich den Blick. Es war nicht fair von mir, so zu denken. Ich durfte nicht an seiner Liebe zweifeln, denn sie war das Letzte, an dem ich mich würde festhalten können. Überübermorgen.
"Alles okay?", fragte er mich in mitfühlendem Tonfall und sah plötzlich traurig aus. Seine Augen suchten meine, doch ich wandte den Blick ab, wollte nicht, dass er mich weinen sah. Ich musste versuchen, das Beste aus den letzten Tagen herauszuholen. Ich durfte nicht hier sitzen und weinen und Trübsal blasen. Es war von Vorneherein klar gewesen, dass er nicht ewig würde bleiben können. Ein vielversprechendes Angebot rief ihn in den Norden des Landes, an die Grenze von Kanada, wo er in irgendwelchen Wäldern irgendeine Rolle spielen würde. Mich interessierte nicht einmal, welche. Eines Tages würde ich ihn in ebendieser Rolle auf der Leinwand sehen, und Thomas würde im Kino meine Hand halten, und ich würde vergessen haben, wie weh es getan hatte, ihn gehen zu lassen. Aber bis dahin war es noch eine lange Zeit hin. Er würde lange wegbleiben, auch dem Dreh von "Skogland" würde er anfangs nicht beiwohnen können, seine Szenen würde man später drehen, erst Ende Februar, vielleicht würde diese Serie auch noch in den März reichen. Es würden fünf Monate sein, bis ich ihn wiedersah. Ich würde mich auf meinen Dreh konzentrieren müssen, ohne Unterstützung. Ohne Thomas.
"Klar", murmelte ich. Er runzelte die Stirn, sagte nichts. Jetzt küss mich endlich!, dachte ich. Das tat er immer, seine erste Handlung, jeden Tag. Er nahm mich in den Arm, drückte mich und dann gab er mir einen Kuss. Nur heute nicht. Heute, wo ich ihn doch so dringend brauchte! Stattdessen blieb er, wo er war, ein halber Meter schmerzlicher Abstand zwischen uns. Ich hob meine Zehen an, um einen Schritt nach vorne zu tun, dann hielt ich inne. Nein, das würde ich nicht tun. Keine Schwäche zeigen. Ich war Rebecca McKenzie, und ich war stolz darauf. Wenn hier einer den ersten Schritt machte, dann Thomas, und nicht ich. Ich wollte mich ihm nicht an den Hals werfen und weinen. Ich wollte keine Schwäche zeigen. Und so blieben wir, wo wir waren, er auf seiner und ich auf meiner Seite der unsichtbaren Grenze, die uns schon Tage vor dem eigentlichen Abschied voneinander trennte. Es brauchte nicht mehr als ein paar Sekunden, als ich meinen ganzen Stolz über den Haufen warf. Ich brauchte Thomas. Jetzt. Also überschritt ich die Grenze - und kam auf der anderen Seite an, unwiederbringlich verloren. Noch ein Schritt. Noch ein halber. Noch einmal blinzeln. Dann war ich da. Tränen liefen über meine schlafwarmen Wangen, als ich zu ihm nach oben blickte, meine Handflächen auf seiner Brust. Seine Hände bedeckten meine und dann beugte er sich zu mir hinunter und küsste mir die Tränen vom Gesicht. Ich schmiegte mich enger an ihn und ließ meinen Gefühlen freien Lauf. "Tommy", heulte ich, und er strich mir mit den Händen über meinen löchrigen Pulli, beruhigende, unverständliche Worte murmelnd. Er sagte Dinge wie "Alles wird gut" und "Es ist doch nichts passiert", dabei wussten wir doch beide, dass das nicht stimmte. Irgendwann jedoch versiegten meine Tränen und ich rieb mein Gesicht an Thomas', inzwischen nassen, Shirt ab. Er setzte sich auf das Sofa und ich setzte mich auf seinen Schoß; der war eh viel gemütlicher als irgend so ein blödes Sofa. Er schlang die Arme um mich und seufzte. Ich versuchte, die Tränen aufzuhalten.
"Ich fürchte, wir müssen reden", sagte Thomas schließlich. Überrascht schaute ich auf, nickte aber. Er nahm das als eine Aufforderung, loszulegen, und das tat er dann auch. Und zum ersten Mal seit ich ihn kannte, horchte ich nicht auf den süßen Klang seiner Stimme, weil die Worte mich zu sehr gefangen nahmen, mehr noch als seine Liebeserklärung vor nunmehr drei Monaten.
"Ich kann dich hier nicht zurücklassen, wenn es dir so geht, Rebecca. Ich kann nicht, und ich werde auch nicht. Wenn du nicht ohne mich auskommst, Süße, dann werde ich das Angebot ablehnen. Ich werde kein seelisches Wrack hinter mir lassen für irgend so eine blöde Rolle in irgendeiner blöden Serie. Wenn du möchtest, dass ich bei dir bleibe, dann müssen die guten Herren von Game of Thrones sich eben einen Neuen suchen, der die arme, sterbende Sau spielt. Hörst du, was ich sage? Wenn du nicht willst, dass ich gehe, dann werde ich das auch nicht tun. Haben wir uns verstanden, Rebecca McKenzie?"
Ich war sprachlos. Nein, ehrlich. Ich öffnete den Mund, wollte etwas sagen, doch kein Wort gelangte über meine Lippen. Ich saß da, wie ein Fisch auf dem Trockenen, und starrte die Sonne meines Lebens an. Mein Herz schlug schnell unter dem dicken Pulli, und auf einmal hätte ich vieles für ein T-Shirt gegeben. Heiße, wohlige Schauer durchzuckten mich und für den Moment war ich der glücklichste Mensch auf dem blauen Planeten. Da glaubte man nicht an Wunder, und dann kam so was. Ich wollte ihm um den Hals fallen und gleichzeitig lachen und weinen und ihn ganz fest drücken, während ich mich wiederholte Male "Danke" flüsterte, doch auf einmal war da ein Kloß in meinem Hals. Wollte ich das wirklich? Wollte ich ihm seine Freude am Schauspielern nehmen, seine Rolle in seiner Serie - denn immerhin hatte er schon einige Folgen abgedreht, vor etwas mehr als einem halben Jahr -, nur damit ich egoistischer Fiesling bekam, was ich wollte? Sollte ich es ihm nicht gönnen? Sollte ich mich nicht freuen, dass er seine Rolle wieder annehmen konnte, eine Rolle, die er vielleicht liebte? Sollte ich ihm die Möglichkeit rauben, Leute kennen zu lernen, andere Schauspieler, das Team vom Set... nur damit ich ihn behalten konnte? Nein, wollte ich nicht. Aber auf der anderen Seite, mal aus einem anderen Blickwinkel betrachtet: Wollte ich ihn loslassen? Nein. Aber das war nur ein Grund gegen so viele andere. So viel mehr sprach dafür, ihn gehen zu lassen. Es wäre so viel besser für ihn. Die Sendung könnte ihn berühmt machen. Nicht, dass er das nicht schon war (Nicht nur einmal waren wir schon auf der Straße angehalten worden und Thomas wurde um ein Autogramm gebeten. Einmal hatte ein kleines Mädchen mit blonden Zöpfen ihm ein Bild von einer sehr viel jüngeren Version meines Tommys gereicht und gesagt: "Ich hab dich lieb." Dafür, dass Thomas gelächelt und dem Mädchen versichert hatte, dass er sie auch liebhatte, hatte ich ihn gleich viel mehr geliebt als vorher, und ich hatte gedacht, das ginge gar nicht.), aber er könnte so richtig berühmt werden. Vielleicht so, dass er einen Bodyguard brauchte, wenn er über die Straße ins Einkaufszentrum ging, so wie Johnny Depp. Nachdenklich schaute ich zu ihm hoch. Wollte er das überhaupt? Und da war er wieder, ein ganz anderer, ganz neuer Blickwinkel. Thomas' Sicht der Dinge. Was war ihm lieber, was wollte er mehr? Den Ruhm oder mich, Rebecca? Für eine Sekunde lang war ich eifersüchtig auf ein Statussymbol - ich ging zumindest davon aus, dass Ruhm ein Statussymbol war, oder wenigstens etwas ähnliches -, doch dann besann ich mich eines besseren. Die lass-ihn-gehen-Seite überwog noch immer mit schlagenden Argumenten. Es war die richtige Entscheidung, und tief in meinem Herzen wusste ich das auch. Und was waren schon fünf Monate!
"Nein, Tommy", sagte ich und bog meine Mundwinkel mit aller Kraft nach oben. Nur ein paar wenige Sekunden und mein Gesicht brannte schon. Lächeln konnte ganz schön wehtun. "Du musst gehen. Fünf Monate sind ein Klacks wenn an ihrem Ende du stehst."
Und damit zauberte ich auch auf seine Lippen ein Lächeln; ein echtes, wohlgemerkt.

Da stand ich also, mehrere Packungen Taschentücher in meiner Handtasche und drei meiner Schwestern wie einer persönliche Leibgarde um mich herum aufgestellt. Ich hatte sie mitgeschleppt, damit sie mich trösten konnten, sobald Thomas außer Sichtweite war. Bis dahin musste ich die Fassung bewahren. Tief ein und ausatmen. Ihn gehen lassen. Schon verschwand er im Tumult des Flughafens, in der Menschenmasse, nur ab und zu konnte ich ein Blick auf sein Gesicht erhaschen, wenn er sich nach mir umdrehte. Ich lächelte ihn an und warf ihm Kusshände zu, doch an seinem Blick erkannte ich, dass er mir keinen Glauben schenkte. Warum sollte er auch, schließlich hatte er recht. Es war alles nur Farce. Da, nun war er verschwunden. Ich ließ die Mundwinkel herabhängen und trocknete mit dem ersten Taschentuch die ersten Tränen, während ich Jessys und Catherines Hände auf meinen Schultern spürte. Judy hatte sich auf den Boden gesetzt und umklammerte mein Bein, während sie mit einem kleinen Plastikpferdchen spielte. Wenigstens hatte ich meine Familie. Ich würde es aushalten, mit ihrer Hilfe. Es waren nur verdammte fünf Monate, vielleicht sogar weniger als das. Und was waren schon fünf Monate. Ich würde hier bleiben, mich trösten lassen und entspannen, mich auf das Weihnachtsfest und auf den bevorstehenden Dreh freuen, und alles würde nicht halb so schlimm werden, wie befürchtet. Ja, es würde gut werden.
Ich hatte keine Ahnung.

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#MYSTERIÖS! But, well, it's zuende again. Irgendwie ein fieser Cut... wo doch das Kapitel an sich so gechillt war. Aber was soll's, so ist es nun mal. See y'all in two weeks, bis dännö!
HorcyDorcyDarcyNarcy (das wäre eigentlich der komplette Name gewesen, aber das war mir dann doch zu umständlich xD)

Newcomer ☆Abgebrochen☆Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt