[The Fighter] ☆Vierzehntes Kapitel☆

81 7 0
                                    

Die folgende Autofahrt zurück zum Set, obwohl umringt von Fans und Paparazzi, die hupend neben der schwarzen Limousine herfuhren, verlief in Schweigen. Ich hielt Thomas' Hand und drückte meine Schwestern an mich, während ich versuchte, die Tränen zurückzuhalten. Ich durfte jetzt nicht weinen. Für Judy und Clare. Und für Thomas. Ich durfte ihm jetzt nicht das Gefühl geben, dass ich zerbrechlich war. Wenn ich mich verwundbar machte, würde er sich nur noch mehr Sorgen um mich machen, auch wenn ich zugeben musste, dass es sehr wohl Grund zur Sorge gab. Außerdem machte Thomas die sich wahrscheinlich sowieso schon. Gab es also einen wirklichen Grund dafür, meine Emotionen zurückzuhalten? Doch selbst wenn es keinen gab, ich wollte nicht weinen. Weinen war mädchenhaft und außerdem änderte es nichts. Es änderte nichts an der Tatsache, dass da ein Psychopath in der Welt herumlief, der zufällig mein Vater war, und der mich zufällig in seine Finger kriegen wollte. Und das musste verdammt nochmal verhindert werden. Ich musste es irgendwie verhindern. Er durfte mich nicht kriegen. Er durfte niemanden kriegen. Ich hatte meine Familie gerade erst zurückbekommen, und hatte nicht vor, sie wieder her zu geben.
„Alles okay?", fragte Thomas leise und drückte meine Hand. Ich drückte zurück und antwortete nicht. Zu viele Tränen waren in mir aufgestaut, die nur darauf warteten, hervorzubrechen und das ganze Auto unter Wasser zu setzen. Also schwieg ich lieber weiterhin, eisern geradeausstarrend und immerzu blinzelnd, um die blöden Tränen zurückzuhalten. Ich fragte nicht einmal, wie lange wir noch fahren mussten, obwohl das eine Frage war, die ich eigentlich immer stellte, sobald ich auch nur mein Ziel kannte und mich halbwegs darauf freute. Früher, ganz früher, als das in unserer Familie noch halbwegs normal gewesen war, waren wir auch mal in den Urlaub gefahren, ganz selten nur, weil es mit so vielen Leuten logischerweise nicht ganz billig war. Einmal waren wir ans Meer gefahren und hatten eine Woche lang in einem der schäbigsten Hotels gewohnt, die es jemals gegeben hatte. Die Fahrt dorthin hatte ewig gedauert, und während ich auf dem Rücksitz unseres Kleinbusses, den wir damals besessen hatten, in einer altersschwachen Kinderzeitschrift geblättert hatte, hatte ich alle zwei Minuten gefragt, wie lange wir noch fahren müssten. Meine Eltern waren genervt gewesen und irgendwann hatten sie mich ignoriert, doch ich hatte nicht aufgegeben, bis Dad mich irgendwann anbrüllte, ich sollte doch endlich mal den Mund halten. Damals war mein Dad eigentlich noch ein richtig guter Dad gewesen, und es war das erste Mal gewesen, dass er wirklich wütend geworden war. Vielleicht hätte es meiner Mutter auffallen sollen. Vielleicht hätte es mir auffallen sollen. Aber das hatte es nicht getan, und jetzt hatten wir einen uns jagenden Vater mit Mordgedanken am Hals. Na super. Ich schluckte meinen kleinen Anflug von Selbsthass hinunter, und wagte es endlich, Thomas anzusehen. Was ich sah, zerbrach mir fast das Herz. Ich hatte Thomas schon wütend gesehen, auch verzweifelt und des Öfteren auch total verwirrt. Doch ich hatte ihn noch nie traurig gesehen, zumindest nicht so. Seine Mundwinkel zeigten nach unten und zwischen seinen hellbraunen Augenbrauen hatte sich eine tiefe Sorgenfalte gebildet, die seine ganze Augenpartie in einen tiefen Schatten zog. Die Augenlider mit den dichten, schwarzen Wimpern waren halb geschlossen und seine wunderbare Iris glänzte kaum mehr. Er sah so matt aus, irgendwie stumpf. Wie ein Messer, das zu oft benutzt worden war, so oft, dass es irgendwann nicht mehr glänzte und das Licht reflektierte, sondern stumpf war und matt, kaum auffällig, nur noch ein unscheinbares Stück Metall, von seinen Besitzern vergessen und weggeworfen. Auch wenn es ein etwas abstrakter Vergleich war, tat es mir in der Seele weh, daran zu denken, dass irgendjemand Thomas wegwerfen könnte, abgestumpft und kaum mehr von seiner Umgebung zu unterscheiden. Er war so schön. So schöne Dinge konnten, durften nicht vergehen. An jemandem wie Thomas sollte die Vergänglichkeit einfach vorbeigehen. Es war eine schöne Vorstellung, dass die Welt für immer einen Thomas haben würde. Eine wirklich schöne Vorstellung. Aber ich musste jetzt erst einmal dafür sorgen, dass er für den Moment wieder schön war. Ich musste ihn zum Glänzen bringen. Und der erste Schritt, das zu erreichen, war, ihn zum Lächeln zu bringen. Ja, er sollte wirklich wieder lächeln.
„Thomas", sagte ich aus heiterem Himmel, mitten ins Schweigen hinein. Dieses erdrückende Schweigen, das mir erst wirklich bewusst wurde, als ich es brach. Ich schluckte die dicke Luft hinunter und atmete frische ein. Ich konnte ihre Frische schmecken, und die Hoffnung in dieser neuen Luft. „Ich liebe dich." Keine schöne Situation, um gerade diese drei Worte auszusprechen, aber ich erreichte, was ich erreichen wollte. Ich hatte ihn zum Lächeln gebracht. Gerade im richtigen Moment, denn wir passierten das riesige, schmiedeeiserne Tor, das zu dem Hotel führte, in dem die Schauspieler von Bran Starks kleiner Gruppe gerade hausten. Es war riesig. Ein mit sorgfältig gestutztem Buchsbaum umgebenes Rondell markierte den prunkvollen Haupteingang des Hotels. Goldene Verzierungen wanden sich um zwei makellos weiße Säulen, die die messingfarbene Flügeltür flankierten. Ich schluckte.
„Wir sind da", sagte Thomas mit einem Lächeln und strich mir mit dem Zeigefinger über das Gesicht. Ein leises Prickeln rieselte über meine Wange und machte es mir für eine Sekunde lang unmöglich, zu atmen oder zu denken. Fast hastig griff ich nach seiner Hand und führte sie zurück an meine Wange. Ich wollte nicht denken. Ich wollte nur ihn, und das, verdammt nochmal, für immer. Ohne nervige, psychopathische Väter und deren mörderische Komplizen. Möglichst jetzt. Jetzt! Okay, Becca, befahl ich mir. Fahr runter. Du benimmst dich ja schlimmer als damals beim ersten Casting! Oh ja. Das Casting. Es schien Jahre entfernt. Seitdem war so viel passiert, das den Dreh in weite Ferne gerückt hatte. Dabei war es gar nicht mehr lange hin. Die Monate bis zum Drehbeginn waren gezählt, und bald würden es nur noch ein paar Wochen sein. Ich würde endlich Schauspielerin sein. An Thomas' Seite.
„Rebecca? Hallo, Schatz, wir sind da!", weckte Thomas mich sanft aus meinen Tagträumen und sah mir dabei in die Augen, so direkt, dass ich sofort in ihrem dunklen Braun versank. Gab es eigentlich irgendetwas Schöneres auf der Welt, als ihn? Aber, Moment -
„Hast du mich gerade Schatz genannt?", fauchte ich und zauberte mit meinem harschen Tonfall unbeabsichtigter Weise ein noch breiteres Lächeln auf das Gesicht des Jungen, den ich stolz meinen Freund nennen durfte. Hilfe! Das Psychogrinsen war zurück! Fast musste ich bei diesem Gedanken kichern, und bog meine Mundwinkel gewaltsam zurück, als ich aus dem schicken Auto stieg, Thomas, Clare und Judy an meiner Seite. Zögernd schritt ich neben Thomas und seinen Kollegen (den ich im Übrigen noch immer nicht vorgestellt worden war) auf das Portal zu. Als die Tür aufgestoßen wurde, wehte mir ein Schwall von dezent süßlich riechendem Duft entgegen, so betörend, dass mir fast schwindelig davon wurde. Eine Schande, dass sich ein so schönes Hotel in der Pampa, abseits von großen Städten in einem Kuhdorf befand. So ein Protzkasten gehörte nach LA, oder nach New York. Aber er war hier. Romantisch, duftend, wunderschön. Es war der Kasten, in dem ich die nächsten Wochen verbringen würde, nur wenige Kilometer von der Wildnis entfernt, in der Thomas vor der Kamera stehen würde, da, wo ein provisorisches Set aufgebaut worden war. Der, der auf den Namen Isaac hörte, und von dem ich vermutete, dass er so hieß, ging zur Rezeption und fragte nach den Schlüsseln. Ein kurzer Anflug von Panik überkam mich, ob wir überhaupt ein Zimmer hatten, doch meine Sorge war unbegründet. Isaac fragte nach drei Schlüsseln, und bekam sechs Stück ausgehändigt: einen für sich, einen für die mysteriöse Unbekannte, auf die ich ein wenig eifersüchtig war, weil sie schon die letzten Tage und Wochen mit Thomas hatte verbringen dürfen, einen für Thomas, einen für Clare, und einen für Judy, die ein Zimmer mit Durchgangstür direkt zu Clares bekommen hatte, und einen für mich. Das Metall wog schwer in meiner Hand, und ich fragte mich eine Sekunde lang, aus welchem Material der Schlüssel wohl bestand. Eigentlich wollte ich es gar nicht wissen. Thomas fasste mich am Ellbogen und führte mich hinüber zu einem altmodischen Fahrstuhl. Die geschlossenen Türen waren mit Gold überzogen und mit goldenen Blumenranken verziert. Das Metall glänzte in dem gedimmten Licht so sehr, dass ich mich ernsthaft fragte, ob es jemanden gab, dessen Job es war, die Fahrstuhltüren des immerhin siebenstöckigen Gebäudes sauber zu halten. Und ob die Person dann auch noch dafür verantwortlich war, die breiten Mahagonitreppen zu putzen. Oder die schweren Teppiche, die auf dieser ausgelegt waren, von Staub zu befreien. Oder generell alle dieser unglaublich kostbar aussehenden Teppiche sauber zu machen. Von denen es viele gab. Sehr viele. Mehr, als mir lieb war. Es erinnerte mich nur noch mehr an die riesige Kluft zwischen Thomas und mir. Thomas war ein Schauspieler, ein Angestellter einer riesigen, erfolgreichen Fernsehproduktion, und seine Arbeitgeber hatten ihn in diesem wunderschönen Hotel einquartiert. Und ich? Wer war ich schon? Ein Mädchen mit zu großen Träumen und zu wenig Geld. Mit zu wenigen guten Erfahrungen und zu vielen schlechten. Eine traumatisierte soon-to-be-Schauspielerin. Mit einem verdammt reichen Freund. Der meinen Arm nicht losgelassen hatte, als könnte er meine Gedanken lesen. Als wüsste er, dass ich gerade viel zu instabil war, um an eigenständig gerade stehen bleiben auch nur zu denken.
„Wollen wir mit den anderen unten im Speisesaal essen gehen, oder soll ich etwas auf unser Zimmer bringen lassen?", fragte Thomas leise in die romantisch duftende Stille des romantisch duftenden Fahrstuhls hinein. Betont desinteressiert schauten seine Kollegen beiseite, während ich ihn nur mit großen, rehbraunen Augen anstarrte. Verdammt! Hatte er gerade wirklich unser Zimmer gesagt? Unauffällig schielte ich zu dem Schlüssel in meiner Hand hinunter. Anscheinend existierte mindestens eine Tür zwischen uns beiden. In der Theorie. Die Praxis war von Thomas abhängig. Ob er diese Tür ignorieren würde oder nicht. Ob er den Schlüssel in meiner Hand ignorieren würde - oder nicht. Im Augenblick sah es so aus, als hätte er genau das vor: die Tür ignorieren und so tun, als gäbe es nur ein Zimmer. Zweimal verdammt! Ich war nicht vorbereitet! Und, wie schon gesagt, war ich außerdem auch noch traumatisiert. Definitiv nicht in der Stimmung, mit Thomas... ein Zimmer zu teilen. Von dem ganzen Gefühlschaos und den heftig flatternden Schmetterlingen in meinem Bauch einmal ganz abgesehen. Dreimal verdammt! Er hatte mir eine Frage gestellt! Ähm... fieberhaft suchte ich die richtigen Worte zusammen und hoffte inständig, dass dieser Moment nur mir wie Stunden vorgekommen war.
„Äh, ja, klar. Also, ich hab auch nicht so wirklich Lust auf Essen. Also, Essen, klar, aber... vielleicht wäre alleine gar nicht so schlecht. Ich kenne die ganzen Leute eh nicht." Ich gab mir eine gedankliche Kopfnuss für meine grenzenlose Dummheit und drehte mich zu meinen Schwestern um. „Was ist mit euch? Wollt ihr vielleicht auch erstmal unter euch sein?"
„Klar, alleine ist cool!", strahlte Judy, während Clare nur weiterhin fast andächtig die Verzierungen und das gedimmte Licht aus den golden umrandeten Spots, die von der Decke auf uns hinab schienen, betrachtete, das sich in den Spiegeln links und rechts von uns brach.
„Okay", wandte ich mich wieder an Thomas. Ein leises Lächeln hatte sich auf seine Lippen gestohlen, und kurz dachte ich, er würde über mich lachen. Aber das tat er nicht. Er sah verträumt aus. Andächtig. Im Grunde sah er mich genauso an, wie man es nicht spielen konnte. Er sah mich so an, als wäre er wirklich und wahrhaftig in mich verliebt.
Die Fahrstuhltür hinter uns öffnete sich und gab den Blick frei auf einen breiten Flur, dessen Parkettfußboden mit weich aussehendem Teppich ausgelegt war. Thomas schob mir seinen Schlüssel in die Hand und flüsterte mir die Zimmernummer ins Ohr. Dann schob er mich, sanft aber energisch, auf den Flur hinaus und dirigierte mich zu seinem Zimmer. Zimmer Nummer 111. Merken, Becca, befahl ich mir. Bloß nicht vergessen. Tu einfach nicht, was du sonst tust. Benutz stattdessen mal für ein paar Tage dein Gehirn. Kann ja auch nicht schaden.
„Bereit?", fragte Thomas und drehte den Schlüssel leicht im Schloss. Nach mindestens zehn vergeblichen Versuchen meinerseits.
„Ähm... ja, klar, warum nicht?", fragte ich und lächelte gekünstelt. Scheiße, scheiße, scheiße. Ich hatte ein Problem.



Muhahaha, 2016 Wörter xDDD Ja, Becca hat ein Problem... eins, dass ich niemals haben möchte, wenn ihr mich fragt :D Aber das kommt alles im nächsten Kapitel... zusammen mit ein bisschen Fanfiction-Klischee-Hotelromantik (und versucht es gar nicht erst abzustreiten, ich weiß, dass ihr euch das gewünscht habt). Und danach kommt ein Cliffhanger... oh yeah! ;D Wann und wie ich den einbaue, überlege ich noch, aber es kommt auf jeden Fall einer! Einfach weil ich diese Teile liebe *-* Cuuut, ich komme! :DDD
So, ich muss jetzt Hausaufgaben machen -.-
Schönen Montag euch noch, eure
DarcyNarcy


Newcomer ☆Abgebrochen☆Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt