Kapitel 1

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fünf Jahre später


Zu spät, zu spät, zu spät!

Vor mich hin fluchend, rannte ich wie eine Wahnsinne zur Schule und versuchte gleichzeitig, meine Kleidung an ihren Platz zu rücken. Es stellte sich als gar nicht so einfach heraus, sich im Laufen anzuziehen und auf den Weg zu achten, weswegen ich den einen oder anderen Passanten unsanft, aber mit einem entschuldigenden Lächeln, schubste. Die morgendlichen Fußgänger dankten mir meine Anstrengung, meine Bildung nicht zu vernachlässigen und pünktlich in den Unterricht zu kommen, mit einem aufgebrachten „Diese verdammten Teenager!"

Waren wohl keine Morgenmenschen ...

Ich beeilte mich weiterzukommen und nahm die Abkürzung durch eine schmale Seitengasse. Dieser geheime Durchgang, wie ihn viele Schüler nannten, wurde nur selten von anderen Passanten genutzt, da einige Hindernisse den Weg blockierten und die Gasse fast direkt zur Schule führte. Sie befand sich zwischen zwei leer stehenden Hotels, die mittlerweile von Kleinunternehmen für alle möglichen Geschäfte genutzt wurden. Vor einiger Zeit wurde eines der Häuser sogar als Mitternachtskino betrieben. Da die Betreiber jedoch keine Lizenzen besaßen und zudem die Räume auch für ihren illegalen Drogenhandel nutzten, wurde das Kino sehr schnell wieder geschlossen. Schade eigentlich.

Ich ging durch die Gasse und ließ das riesige mit Wasser gefüllte Loch und die Mülltonnen mit den Ratten hinter mir, bis ich an der Mauer stand, die das Ende des Durchgangs kennzeichnete und mich nur noch zwei Straßenecken von der Schule trennten. Wobei es übertrieben war diese Ansammlung von aufeinandergestapelten Steinen eine Mauer zu nennen. Sie war mittlerweile so hinüber und löchrig, dass sogar Senioren geradewegs hindurchgehen konnten. Gut, dass nur Schüler diese Gasse benutzten und es niemanden zu stören scheint, dass hier alles in sich zusammenfällt.

Noch in meinen Gedanken über den Verfall der Stadt hängend, rannte ich zu stürmisch um die Ecke und blieb mit dem Ärmel meiner Jacke an einem herausragenden Nagel an der Mauer hängen.

Verdammt!  Ich liebte diese Jacke.

Es war eine einfache schwarze Lederjacke, die mittlerweile schon so abgetragen war, dass sich das Leder butterweich und geschmeidig auf meiner Haut anfühlte. Eigentlich für Männer gedacht und auch etwas zu groß für meine knochigen Schultern, war diese Jacke eines der wenigen schönen Kleidungsstücke, die ich besaß.

Und ich hatte eine Schwäche für Lederjacken.

Meine Mom versucht ständig, die Jacke zu entsorgen und hat sie mir schon mehrfach mit fiesen Kommentaren von den Schultern gerissen, doch ich schaffe es jedes Mal, das gute Stück zu retten. Dabei müsste gerade sie die Notwendigkeit perfekter Klamotten verstehen. Sie tat so viel, um ihren mageren Körper in hübsche Kleider zu stecken, dass man meinen könnte, sie hätte Verständnis für meine Beziehung zu dieser Jacke.

Als mein Smartphone It's all Over von Three Days Grace trällerte, fluchte ich laut und zupfte am Ärmel herum, bis sich die Jacke von dem Nagel lösen ließ. Dann stürmte ich los wie eine Verbrecherin auf der Flucht. Der Song war so etwas wie meine Last-Minute-Erinnerung daran, dass ich verdammt noch mal zu spät kam!

„Das wird schon ...", murmelte ich mir beruhigend zu und holte nochmal Schwung für die nächste Ecke. Gleich hatte ich es geschafft. Wenn jetzt nichts mehr passierte –

Dong.

Das war alles, was in meinem Kopf nachhallte, als ich gegen ein stahlhartes Hindernis prallte. Ich wunderte mich noch kurz, wieso ich plötzlich eine Comicversion von mir sah, die um meinen Kopf herumtanzte, als ich auch schon auf dem Boden aufschlug.

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