Kapitel 33, Part 1

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Der Vorteil einer Kleinstadt ist, dass man nicht unbemerkt bleibt. Meine Mom konnte also nicht weit gekommen sein, ohne dass es jemanden aufgefallen ist. Zwischen unserer Wohnung und dem Thommy's lag eine Wegstrecke von ungefähr zehn Minuten, die von vereinzelten Geschäften gesäumt war. Es gab das kleine Tanzstudio, wo ich mit den Jungs stand, ein heruntergekommenes Fast Food Restaurant, ein kleines Café und ein paar No-Name-Klamotten Geschäfte. Die Straße selbst war wenig befahren, da die Gegend nicht zu den beliebtesten Ecken gehörte und man hier abends nicht mehr alleine unterwegs sein sollte. Dennoch musste jemand beobachtet haben, wohin meine Mom verschwunden war. Wenn ich einfach in Richtung Wohnung ging, könnte ich mich durchfragen. Vielleicht waren sie sogar dorthin unterwegs? Ich würde es einfach riskieren und -

„Vergiss es." Die ruhige Stimme unterbrach meine Gedankengänge und ich wandte mich Will zu. Er lehnte direkt neben mir an der Hausmauer und beobachtete mich.

„Wie bitte?" Ich überkreuzte abweisend meine Arme vor der Brust und betrachtete ihn fragend. Mir war vorhin, als er plötzlich auftauchte, nicht aufgefallen, dass er keine Jacke trug. Dadurch wurde mir ein ungetrübter Blick auf sein eng anliegendes T-Shirt gewährt. Vorhin konnte ich es noch ignorieren, da ich wütend auf ihn war, aber jetzt machte ich mir Sorgen um meine Mom und meine Wut auf ihn hielt sich in Grenzen. Da er so nahe bei mir stand, fiel mir auf, welches Shirt er da anhatte. Weiß, mit dem Aufdruck einer Gitarre vorne. Es war das gleiche Shirt, das er damals bei Garrett Thompsons Party anhatte. Die Party, auf der wir uns zum ersten Mal geküsst haben. Es war das T-Shirt, in das ich meine Finger gekrallt hatte, um ihn noch näher an mich heran zu ziehen. Es war aber auch das Shirt, das getränkt von seinem Blut war, weil er von einem Messer getroffen wurde.

„Wie hast du das Blut aus dem Shirt bekommen?", platzte es aus mir heraus und ich fixierte die Stelle, an der sich die Wunde befunden hatte. Er war mir so nahe, dass ich nur meine Hand austrecken müsste, um ihn zu berühren. Ich hielt mich zurück und sah ihm ins Gesicht. Er musterte mich abschätzend, wohl um meine veränderte Stimmung einzuschätzen und fasste nach dem Saum des Shirts. Mit einem kurzen Blick hinunter, zog er das T-Shirt straff und sah dann wieder zu mir.

„Das ist neu", meinte er lässig, aber seine Stimme bekam einen zurückhaltenden Ton.

Ich runzelte die Stirn. „Du hast dir das gleiche Shirt noch einmal gekauft?"

„Mhm."

„Wieso?"

Er hob lediglich nichtssagend die Schultern und wich meinem Blick aus. Ich wollte genauer nachhaken, aber da fiel mir ein, was er vorhin zu mir sagte.

„Was sollte dieses Vergiss es bedeuten?", fragte ich. „Was soll ich vergessen?"

Seine Schultern entspannten sich und er sah mir wieder in die Augen. „Du wolltest loslaufen und deine Mom suchen. Einfach davon zu stürmen und in eine Falle zu rennen, gehört nicht zu unserem Plan, also vergiss es."

„Der Plan ist aber scheiße", patzte ich augenrollend und ging wieder dazu über, die Straße zu beobachten.

Zwei Männer kamen gerade aus dem Thommy's und torkelten lachend über die Straße. Sie schienen sich gegenseitig zu stützen. Der größere der beiden Männer versuchte einen schmutzigen Witz zu erzählen, musste aber bereits nach kurzer Zeit so sehr lachen, dass er gar nicht erst zur Pointe kam. Der andere schien es nicht zu bemerken und lachte einfach mit. Sie gingen am Café vorbei, aus dem gerade zwei ältere Damen kamen. Als diese an den betrunkenen Männern vorbeigingen, kicherten sie wie Schulmädchen und verdrehten die Augen. Es war kurz nach zwei Uhr am Nachmittag und die Straße war beinahe ausgestorben. Wieso musste sich meine Mom einen solch ruhigen Tag aussuchen, um sich mit den Bösen einzulassen? Mit ein paar Zeugen hätte ich ein besseres Gefühl, was unseren Plan anging.

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