Kapitel 30, Part 2

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„Das hat er nicht gesagt!" Violet's Stimme kreischte durch das Telefon und brachte mein Trommelfell zum Zittern. Mit schmerzverzerrtem Gesicht hielt ich das Gerät ein paar Zentimeter über meinem Ohr, konnte sie aber immer noch lautstark fluchen hören. Sie schrie sich richtig in Rage und begann zweisprachig zu schimpfen. Immer wenn sie megasauer war fiel ihr ein, dass sie zum Teil Japanerin ist und gelernt hatte, sich in gewissen Momenten auf Japanisch auszudrücken. Ihre Großmutter wäre stolz auf sie.

In diesem Moment fehlte mir meine beste Freundin so sehr, dass es weh tat. Ich hatte sie nicht mehr gesehen, seit man mich aus der Turnhalle verschleppt hatte und das war jetzt fast eine Woche her. Seit der Rettung war auch so viel passiert, dass ich bisher noch keine Gelegenheit hatte, sie anzurufen. Dabei wollte ich unbedingt mit ihr sprechen!

Ich durfte sie nicht einmal besuchen, denn das Dorf wurde vollkommen abgeriegelt. Niemand ging raus, niemand kam rein. Wir standen sozusagen unter Quarantäne. Die Dorfbewohner fürchteten sich vor den Otomi und bestanden deshalb auf diese Regelung. Immerhin gab es hier jede Menge Energien zu holen. Einerseits war ich dankbar für die Quarantäne. Nach meinem Zusammentreffen mit Michael begeisterte mich die Vorstellung, ihm irgendwo in der Stadt über den Weg zu laufen oder gar in der Schule von ihm überfallen zu werden, so überhaupt nicht. Auch meine Zeit mit Ivan und Magnus hing mir noch nach. Heute Morgen war ich schon wieder aus einem Albtraum hochgeschreckt. Ich war schweißgebadet und mit einem stummen Schrei auf den Lippen aufgewacht und konnte mich nicht bewegen. Ich kam mir so erbärmlich vor! Aber diese Albträume machten mich fertig. Besonders, da sie immer in der gleichen Art endeten: Michael erschien und ich zitterte vor Angst.

Dieses Mal im Traum war Ivan mit mir in der Zelle und fragte mich wieder einmal, wie ich es schaffte, ihn zu verletzen. Da ich nicht darauf antwortete, schlug er mir so oft ins Gesicht, bis meine Zähne wie Tic Tacs auf den Boden fielen. Als ich mit meinem blutigen zahnlosen Lächeln provokant zu ihm hochsah, holte er gerade zum nächsten Schlag aus. Dann krachte in der Ferne eine Tür und er hielt inne. Auf seinem Gesicht breitete sich ein boshaftes Lächeln aus und er beugte sich zu mir hinunter. „Michael ist da", sagte er als sich die Tür öffnete. Bevor ich Michael jedoch sah, wachte ich auf.

Danach war ich unruhig im Zimmer herumgegangen und wartete darauf, dass sich mein Herzschlag beruhigte. Eine gefühlte Ewigkeit später schlug mein Herz zwar wieder normal, aber meine Hände wollten nicht aufhören zu zittern. Da ich in diesem Zustand nicht hinunter zu den anderen gehen wollte, schnappte ich mir mein Handy vom Schreibtisch und spielte eine Runde Candy Crush. Eigentlich hasste ich das Spiel, aber ich musste meine unruhigen Finger beschäftigen. Nach fünf Minuten verlor ich jedoch die Geduld und beschloss stattdessen Violet anzurufen.

Erst schrie sie mich minutenlang nur an, weil ich mich nicht sofort nach meiner Rückkehr bei ihr gemeldet hatte. Sie hatte lediglich von Stella erfahren, dass es mir und Kyle gut ging, sie uns aber nicht besuchen durfte, weil niemand wusste, ob die Otomi uns nicht beobachteten. Schließlich hatten sie mich in der Schule aufgespürt und wussten offensichtlich ein paar Dinge über mich.

Als Violet sich ausgeschrien hatte, konnte ich sie etwas beruhigen. Danach heulten wir. Erst viel später konnte ich ihr von Will erzählen. Noch immer war mir sein Verhalten ein Rätsel und ich wunderte mich, wie wir an diesen Punkt gelangen konnten. Aber bevor ich ernsthaft darüber nachdenken konnte, kehrte diese Dunkelheit zurück und betäubte jedes Gefühl. Ich wehrte mich nicht dagegen, denn alles war besser, als diesen verzehrenden Schmerz in der Brust zu fühlen.

Ich berichtete Violet also von Will und davon, was er gesagt hatte und sie legte auf Japanisch los. Alles konnte ich nicht verstehen, aber hier und da fiel das Wort baka, was so viel wie Idiot hieß. Obwohl mir nicht danach war, musste ich lächeln. Sie fand immer die richtigen Worte.

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