#010

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Als ich am nächsten Morgen in den Spiegel sah, lachten mir tiefschwarze Augenringe entgegen. Ich hatte noch die halbe Nacht wachgelegen und über diesen Kuss nachgedacht. Über meinen verdammten. ersten. Kuss. Ich hatte mir immer vorgestellt, ich würde ihn mit jemandem haben, in den ich verliebt wäre. Und jetzt das.

Ich raufte mir die Haare, die ich mir heute Morgen unbedingt noch waschen sollte, und beschloss mich einfach nicht mehr weiter darüber aufzuregen. Ich konnte jetzt eh nichts mehr daran ändern. Was geschehen ist, ist geschehen.

Ich machte mich für die Schule fertig, deckte die Augenringe mit einer fetten Schicht Concealer ab und ging pünktlich los. Was heißt pünktlich? Ich war mindestens zehn Minuten zu früh, weil ich es um alles in der Welt vermeiden wollte, meinen Nachbar sehen zu müssen .

Doch das Schicksal meinte es nicht gut mit mir. Gerade als ich an seinem Haus vorbeigegangen war, öffnete sich die Haustür und er rief mir hinterher. "Hey, warte doch, Kleine!" Nur einen Arm in seiner Lederjacke, seinen Rucksack zwischen Kinn und Brust gequetscht, während er noch dabei war, seinen zweiten Schuh anzuziehen und auch noch eine Packung Zigaretten zwischen seinen Zähnen festhielt, kam er auf mich zugelaufen.

Ich ging weiter, als hätte ich sein Rufen und sein hektisches aus dem Haus stürmen gar nicht bemerkt, doch als er schließlich nach wenigen Sekunden neben mir stand, mit angezogenen Schuhen und Jacke, den Rucksack lässig über eine Schulter geworfen, während er dabei war sich eine Zigarette anzuzünden, konnte ich nicht anders, als genervt aufzustöhnen.

"Also gestern warst du glücklicher, mich zu sehen!", grinste er mich an, während ich es vermied, ihn anzusehen. "Zumindest konntest du dich fast nicht mehr von mir losreißen lassen." "Ach, halt doch einfach die Fresse, wenn du schon neben mir läufst!", schnauzte ich ihn an. Es kam zwar um einiges finsterer und genervter rüber, als eigentlich beabsichtigt, aber das passte mir gerade recht.

"Ach herrje... Sag bloß, du hast deine Tage. Dann müssen wir mit unserer ersten gemeinsamen Nachr wohl doch noch warten", seufzte er. So ein Arschloch! Sein Spruch würde mir wahrscheinlich nicht ganz so nahe gehen, wenn ich heute Morgen nicht wirklich meine Tage bekommen hätte, aber trotzdem! Er sollte einfach froh sein, dass er ein Kerl war und sich nicht damit rumplagen musste!

Na toll... Selbst in meinen Gedanken merkte man ja, dass ich meine Tage hatte...

Ich beschloss, lieber nichts auf seinen Kommentar zu erwidern, was sich allerdings als Fehler herrausstellte. "Och nein, also hast du wirklich deine Tage?", fragte er mit einem gespielt ängstlichem Blick. Konnte dieser Kerl nicht auch nur eine Minute lang ernst sein und sich mal nicht immer so aufspielen?! "Nein, hab ich nicht!", erwiderte ich also.

Er sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an und fing an zu lachen. "Ich hoffe, doch! Denn wenn du immer so zickig bist, werde ich es nicht lange im Haus nebenan aushalten." Okay, er trieb mich zur Weißglut. Ich kochte innerlich und wollte ihm aus irgendeinem Grund einfach nur eine reinhauen und das, obwohl ich Gewalt normalerweise verabscheute.

Ich weiß nicht warum, aber irgendwie schafft dieser Typ es doch tatsächlich, die schlimmsten Seiten an mir hervorzubringen. Ich nahm mein Handy heraus, steckte mir meine Kopfhörer in die Ohren und drehte die Musik so laut auf, sodass ich nur noch seine Mundbewegungen im Augenwinkel wahrnahm und ihn - Gott sei Dank - nicht mehr hören konnte.

Irgendwann gab er es dann schließlich auf mit mir zu reden und lief einfach nur stumm neben mir her. Ich richtete meinen Blick auf den Boden und ging meines Weges.

Plötzlich holte mich sein ausgestreckter Arm wieder zurück in die Realität, indem er mich festhielt. Ich riss mir die Kopfhörer aus den Ohren, um ihn anzumeckern, da schoss auch schon ein Auto keinen Meter entfernt vor uns, an uns vorbei. Mit einer Geschwindigkeit, mit der es niemals hätte vor mir bremsen können, wenn ich weiter gelaufen wäre.

Er sah mich abwartend an, doch mir war ganz sicher nicht zumute, mich bei ihm zu bedanken, obwohl er mir gerade irgendwie mein Leben gerettet hatte. "Auf ein Danke kannst du lange warten, immerhin hast du mir meinen ersten Kuss geklaut!"

Oh verdammt.

Ich hatte das gerade laut gesagt.

Wieso passiert sowas immer mir? Wieso, wieso, wieso?

How to rebel rightWo Geschichten leben. Entdecke jetzt