Kapitel 10

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Lucy Weasley P. o. V.

Verstohlen wischte ich mir über das Gesicht. So eine verkackte Scheiße. Mit tränenden Augen starrte ich in den Nachthimmel. Die Menschenmasse hatte sich erst vor einer halben Stunde aufgelöst und bis eben hatte ich noch beim Aufräumen geholfen, jetzt waren alle anderen verschwunden. Ich war allein. Durfte endlich schwach sein. Meinen ganzen Kummer und den Frust rauslassen. Wütend trat ich gegen den Baumstamm neben mir und ließ einen lauten Schrei hören. Schwer atmend sank ich auf den Boden und schluchzte hemmungslos los. Ich hatte ja gewusst, dass ich niemals genug Mut aufbringen würde, um Alice zu bitten mich auf die Party zu begleiten. Nicht jetzt, wo doch gerade alles so super zwischen uns lief und sie meine beste Freundin war. Ach, scheiße. Sie war viel mehr als das. Bereits seit der zweiten Klasse hier in Hogwarts war ich mir sicher gewesen, lesbisch zu sein. Ich empfand einfach nichts für Jungen, ich hatte nie das Bedürfnis verspürt, von einem im Arm gehalten oder geküsst zu werden. Viel lieber wollte ich Alice selber im Arm halten und ihre weichen, geschwungenen Lippen auf meinen spüren. Zitternd versuchte ich mich zu beruhigen und schnappte verzweifelt nach Luft. Es gelang mir nicht. Schon früher hatte ich auf andere Mädchen gestanden, stets unerwidert, versteht sich ja von selbst . . . Doch nie hatte ich so gefühlt wie jetzt. Am Anfang der vierten Klasse hatte ich Alice bereits attraktiv gefunden. Ihr braunes Haar war so schön lang und gewellt, ihre hellbraunen Augen hatten immer dieses freundliche Funkeln. Ich war vollkommen verliebt in ihre süße Stupsnase und beim Gedanken an ihr Lachen stieg ein warmes, angenehmes Kribbeln in mir hoch. Wirklich, ich hatte nie ein Problem damit gehabt, lesbisch zu sein. War halt so. Ließ sich nicht ändern. Wollte ich auch gar nicht. Wollte ich sein. Wollte lieben. Alice lieben. Die Hoffnung, dass sie mich auch auf diese Art mögen könnte, war in den letzten Wochen gewachsen und heute Nachmittag mit einem Schlag zunichte gemacht worden. Alice würde mit meinem Cousin James zur Party gehen. Ich presste keuchend die Hand gegen mein schmerzendes Herz und lehnte mich gegen den Baum. Wieso denn unbedingt mit James? Er meinte es niemals ernst mit ihr und würde ihr nur das Herz brechen! Alice verdiente es, glücklich zu sein, egal ob nun mit mir oder jemand anderem. Erschöpft schloss ich die Augen. Wisst ihr, es ist die eine Sache, als Mädchen von einem Jungen eine Zurückweisung zu bekommen. Aber glaubt mir: Als Mädchen von einem Mädchen auf Ablehnung zu stoßen, weil sie nicht mal auf dein Geschlecht steht und du deshalb nie eine Chance haben wirst, das ist tausendmal ätzender. Auf einmal ertönte hinter mir eine Stimme: "Lucy? Bist du das?" Ich fuhr herum und erblickte Frank, Alices großen Bruder. Genau wie ich war er in Gryffindor, allerdings bereits in der siebten Klasse. Hastig trocknete ich meine Augen und fragte mit möglichst unbekümmerter Stimme: "Oh, du bist auch noch hier? Ich hab' dich ja gar nicht gesehen." Er senkte den Kopf und deutete hinter sich: "Ich war schon weg, hatte aber mein Zauberkunstbuch vergessen und bin noch mal zurück gekommen, um es zu holen . . . Was hast du denn?" Er sah mich mit einem solch einfühlsamen Blick an. Er hatte ihre Augen. Ich wünschte mir, sie würde mich so ansehen und erkennen, wie schlecht es mir wegen ihr ging. Zögernd biss ich mir auf meine Lippe. Ich konnte ihm unmöglich von meinem Problem erzählen, einmal war er ihr Bruder und außerdem kannten wir uns kaum. Daher schüttelte ich nur den Kopf. Er seufzte: "Hör mal. Ich weiß, dass ich weder Vertrauensschüler, noch mit dir befreundet bin. Aber ich habe eine jüngere Schwester und weiß, wie Mädchen ticken. Du kannst gerne mit mir reden." Die Erwähnung von Alice trieb mir erneut die Tränen in die Augen und er nahm mich vorsichtig in den Armen. Da war nichts Romantisches zwischen uns, kein Funken, es war rein freundschaftlich. Zusammen setzten wir uns auf den Boden und schwiegen, bis er schließlich langsam fragte: "Du bist wahrscheinlich nicht sauer, weil James jetzt nicht mehr frei ist, oder? Sondern eher wegen Alice?" Er sprach die Möglichkeit, dass ich lesbisch war, auf so eine selbstverständliche und ruhige Weise aus, dass ich dankbar nickte. Frank tätschelte mir zögernd den Arm: "Glaub mir, ich bin auch nicht froh, dass sie mit ihm zur Party geht. Mir wäre es lieber, wenn ihr beide zusammen wärt." Ich gluckste: "Wie nett von dir!" Wir mussten beide etwas lachen. "Du hast vorhin echt gut gesungen", sagte er dann und ich grinste geschmeichelt. "Spielst du auch ein Instrument?", erkundigte ich mich interessiert. Er feixte: "Ich habe vor Jahren mal Gitarre gespielt, es aber wieder verlernt. Glaubst du, dass du es mit mir üben könntest?" Frank sah so hoffnungsvoll aus, dass ich einfach nicken musste. "Fantastisch!", er strahlte. "Weißt du, es gibt da ein Mädchen, dass ich irgendwann mal gern beeindrucken würde und ein schöner Song mit Gitarre vorgetragen wäre da doch ganz passend, oder?" Neugierig setzte ich mich auf: "Wer ist es denn? Kenne ich sie? Gehst du mit ihr zur Halloweenparty?" Er senkte schmunzelnd den Kopf und wirkte verlegen. "Ja, du kennst sie", erwiderte er dann und kratzte sich am Hals. "Oh mein Gott!", entfuhr es mir und ich hatte mein altes Grinsen wieder zurück, "Es ist eine meiner Cousinen, nicht wahr?" Sein Blick verriet mir, dass ich richtig lag. Vergnügt quietschte ich auf und piekste ihn in die Seite. Mit Verwunderung stellte ich fest, dass er an den gleichen Stellen kitzlig war wie Alice. "Nein, Lucy, vergiss es! Ich sag es dir nicht!", lachte er und gab mir einen Schubs. Ich schmollte: "Och, man . . . Naja, ich finde es sowieso raus, verlass dich drauf!" Drohend hob ich den Zeigefinger und er grinste mit verschränkten Armen.

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