Kapitel 11

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Rose Weasley P. o. V.

Ich verabschiedete mich vom alten Hagrid und versprach, nächstes Mal auch Albus wieder mitzubringen. Seit der ersten Klasse gingen wir mindestens einmal die Woche zu unserem Wildhüter, der trotz seines hohen Alters seine Aufgaben weiterhin verlässlich erledigte. Heute war ich alleine bei ihm gewesen und hatte ihm ein paar frische Kanariencremeschnitten mitgebracht, da seine eigenen Backkünste zu Wünschen übrig ließen. Jetzt stand ich mit geschlossenen Augen am Waldrand und umschlang meinen Körper mit beiden Armemn. Als ich am Nachmittag zu Hagrid aufgebrochen war, hatte die Sonne geschienen, doch jetzt war die Dämmerung hereingebrochen und hatte die Kälte mitgebracht. Selbst hier draußen schien die Stimmung angesichts des Quidditchspiels am kommenden Samstag aufgeladen. Die gegenseitigen Angriffe und Verletzungen von Gryffindors und Slytherins hatten stark zugenommen, was nicht nur mir große Sorgen bereitete. Die Vertrauensschülersitzung war erneut zusammengetreten und hatte sich beratschlagt, doch niemandem war etwas Besseres eingefallen, als abzuwarten und Tee zu trinken. Der Samstag konnte meiner Meinung nach gar nicht schnell genug kommen. Mit den anderen Vertrauensschülern hatten wir den größten Teil der Halloweenparty geplant, jedoch war ich noch nicht wieder alleine mit Scorpius in einem Raum gewesen. War vielleicht auch besser so. Dieser Slytherin schaffte es, mich zum Weinen und Lachen gleichzeitig zu bringen, außerdem machte er mich nervös. Nicht im positiven Sinne! Zum indest versuchte ich mir das einzureden . . . Ich betrat den einsamen Weg, der erst am Waldrand, dann am Quidditchfeld und am Ufer des schwarzen Sees, schließlich über die dunklen Ländereien mit der Peitschenden Weide und den Gewächshaüsern vorbei führte. Etwas nervös umfasste ich meinen Zauberstab in der Tasche fester und ging mit unsicheren Schritten los. Die Bäume des Verbotenen Waldes regten sich nicht im Wind, sie standen ruhig und ließen die Stille bedrohlich werden. Das Quidditchstadion sah verlassen aus und meine knirschenden Schritte klangen zu laut auf dem Kiesweg, als auf einmal etwas neben mir vom Baum fiel. Ich konnte gerade noch so einen Aufschrei unterdrücken und hatte meinen Zauberstab schon gezückt, bis ich erkannte, dass es eine Person war. Genauer gesagt Scorpius Malfoy. Was in aller Welt hatte der Kerl nachts auf einem Baum zu suchen?Er fuhr sich durch das blonde Haar und sah mich mit seinen grauen Augen an: "Bei Merlins Bart, Weasley, hast du gelernt zu Apparieren oder wie bist du so plötzlich da gewesen?" Als ob! Er hatte doch gemeint, mich so erschrschrecken zu müssen, dass ich noch immer zitterte. Um das zu verbergen verschränkte ich schnell die Arme. "Ich bitte dich, hast du denn nie Eine Geschichte von Hogwarts  gelesen? Man kann hier auf dem Gelände nicht apparieren . . .", erklärte ich genervt. Er machte eine abwerfende Handbewegung. "Wie dem auch sei. Was machst du so spät noch hier draußen?", wollte er stirnrunzelnd wissen. Ich war kurz davor pampig zu fragen, was genau ihn das anginge, entschied mich dann aber doch für eine höflichere Antwort: "Nun, ich habe meinen Freund Hagrid besucht. Er wohnt ja da drüben am Waldrand." Auf seinem Gesicht erschien für einen Moment ein abwertender Ausdruck, als ich Hagrid erwähnte, doch dann hatte er sich wieder unter Kontrolle. "Schön", er nickte geschäftig, "Ich hatte Quidditchtraining." "Ah", machte ich nur, "Naja, man sieht sich!" Schon hatte ich mich umgedreht und war in Richtung Schloss gegangen, doch Scorpius hielt mich zurück: "Rose, was soll das werden? Du willst doch jetzt nicht allen Ernstes allein zurück gehen?" Anders als beim letzten Mal lag echte Besorgnis in einen Augen, aber ich erwiderte unwirsch: "Doch. Wo ist das Problem? Ich kann gut auf mich selbst aufpassen, falls du es immer noch nicht verstanden hast!" Er hatte meine Hand noch nicht los gelassen und irgendwie traute ich mich nicht, sie abzuschütteln. "Aber hier draußen lauern ein paar mehr Gefahren als nur die Schlossgeister! Bist du verrückt geworden, ohne Begleitschutz so spät abends als Gryffindor hier entlang zu spazieren?", rief er und klang etwas wütend. Ungläubig klappte meine Kinnlade herunter und ich keifte entsetzt: "Wie bitte? Was willst du damit sagen? Dass ich schwach bin und wehrlos, nur weil ich ein Mädchen bin? Spinnst du?" Ich war eine überzeugte Feministin und glaubte fest an die Rechte von Frauen und an Gleichberechtigung. So etwas musste ich mir nicht bieten lassen! "Nein, das meinte ich nicht. Aber falls du in den letzten Tagen hinter dem Mond gelebt hast, nochmal als Zusammenfassung für dich: Die Feindschaft ist erneut ausgebrochen und die Folgen bedrohen nicht nur die Quidditchspieler, sondern auch jeden anderen Gryffindor und jeden anderen Slytherin. Ist dir etwa entgangen, wie überfüllt der Krankenflügel ist und wie viele Schüler unserer Häuser im Unterricht wegen merkwürdigen Unfällen und kindischen Streichen fehlen?", erwiderte er gereizt. Mir war plötzlich etwas unwohl zumute und ich bekam ein schlechtes Gewissen. Scorpius hatte Recht, aber das würde ich ihm ganz bestimmt nicht sagen. "Und wieso kannst du dann alleine zum Schloss gehen, hm?", gab ich herausfordernd zurück. Er kratzte sich am Hals und antwortete schließlich verlegen: "Naja, also, das ist doch was ganz anderes . . . Ähm . . . Okay, na gut, du hast gewonnen: Du bist in größerer Gefahr, weil du ein Mädchen bist!" Komischerweise war ich nicht sauer, sondern eher versöhnlich gestimmt, da er die Wahrheit direkt ausgesprochen hatte. Obwohl ich für Gleichberechtigung kämpfte und mir für die Zukunft sehr wünschte, dass Mädchen genau wie Jungen keinen Schutz brauchten, so sah die aktuelle Realität ganz anders aus. Ein Junge würde nie wissen, wie es für ein Mädchen war, nach Einbruch der Dunkelheit eine einsame Straße entlang zu gehen. Ein Junge muss nie Angst haben, wenn er auf so einer Straße einer Frau begegnet. Ein Junge kennt nicht das Gefühl, im Alltag sexuell belästigt zu werden. Ein Junge weiß nicht wie es ist, einer Gruppe von Frauen zu begegnen, die anzügliche Sprüche reißen oder ihn sogar gegen seinen Willen berührten. Zögernd sah ich ein, dass es echt töricht gewesen war, in so einer aufgeladenen und gefährlichen Situation alleine nachts nach Hause gehen zu wollen. Ich brachte daher mein letztes Argument vor: "Aber es ist für dich als Kapitän der Quidditchmannschaft von Slytherin bestimmt nicht so schmeichelhaft, ein paar Tage vor dem besagten Spiel mit einer Gryffindor gesehen zu werden . . ." Daraufhin zuckte Scorpius nur stur mit den Schultern: "Ist mir doch egal, was die dann denken. Ich lass dich jedenfalls ganz sicher nicht allein hier weiter wandern." Ein warmes Gefühl durchströmte mich und ich bemühte mich, mein flatterndes Herz so gut es ging zu ignorieren. "Also gut", stimmte ich vorsichtig lächelnd zu, "Danke." Schweigend gingen wir den Weg entlang und kamen schließlich am Ufer des Schwarzen Sees vorbei, wo eine Gruppe von rauchenden und angetrunkenen Siebtklässlern aus Slytherin saß. Mir wurde fast schlecht bei dem Gedanken, was wohl eventuell passiert wäre, wenn ich ihnen alleine begegnet wäre. Doch mit Scorpius an meiner Seite, der den Jungen nur einen finsteren Blick zu warf und mich etwas dichter zu sich zog, kam kein einziger dummer Spruch und auch kein Anmachversuch, wofür ich mehr als dankbar war. "Ich habe übrigens mal mit meiner Cousine Lucy geredet. Sie hat hier vor kurzem ein kleines, spontanes Konzert gegeben und es kam super bei den anderen Schülern an. Sie hat sich bereit erklärt, unsere Songs vorzutragen . . . Das wäre sicher leichter, als wenn der gesamte Schulchor alle Lieder einstudieren müsste, oder etwa nicht?", schlug ich ihm vorsichtig vor und zu meiner Erleichterung nickte er zögernd. "Stimmt, das klingt gut. Übrigens bin ich mit deiner Auswahl größtenteils einverstanden", teilte er mir gönnerhaft mit. Glucksend erwiderte ich ironisch: "Wie nett von dir, ich habe schon sehnsüchtig auf deine Erlaubnis gewartet . . ." Scorpius zwinkerte und fuhr sich kurz mit der Zunge über die Lippen. "Ich weiß, so bin ich!", sagte er und klopfte sich selbst auf die Schulter. Unwillkürlich stieg ein Lachen in mir hoch und er grinste mich an. Ein paar Sekunden herrschte verlegenes Schweigen zwischen uns. Wir waren jetzt schon bei den Gewächshäusern angekommen. "Wie wäre es, wenn wir noch ein oder zwei weitere Nirvana-Lieder nehmen? Die scheinen ganz okay zu sein", meinte Scorpius dann. Ich stemmte feixend die Hände in die Hüften: "Ach, ist die Muggelmusik etwa doch nicht so schlimm wie du dachtest?" Schmunzelnd ging er nicht weiter darauf ein und fuhr fort: "Mit den Beatles und Melissa Etheridge bin ich ebenfalls einverstanden. Was hältst du von Bob Marley?" Begeistert nickte ich: "Ich liebe Reggae! Weißt du was, ich sende dir meine Vorschläge noch mal per Eule und du kannst sie meinetwegen korrigieren und ergänzen." Er biss sich auf die Lippe und fragte grinsend: "Per Eule? Möchtest du etwa nicht mit mir in der Öffentlichkeit gesehen werden?" Er tat gespielt empört, doch ich bildete mir ein, einen verletzten Unterton herauszuhören. Stirnrunzelnd sah ich ihn an: "Ist wahrscheinlich keine so gute Idee, wenn wir uns so kurz vor dem Spiel als Gryffindor und Slytherin in der Großen Halle beim Frühstück austauschen, oder? Also, ich habe keine große Lust, die Halloweenparty mit einem gebrochenen Arm oder einer Feder in der Nase besuchen zu müssen wie Vanessa Wood. Hast du das mit ihr in Verwandlung mitbekommen? Echt bitter. Und deinem Image würde es sicherlich auch nicht gut tun." Er nickte schnell und wechselte das Thema. "Apropos Halloweenparty, hast du schon eine Begleitung?", erkundigte Scorpius sich. "Ähm, ja, ich gehe mit meinem Cousin Albus, du kennst ihn ja. Natürlich nur als Freunde!", fügte ich aus welchem Grund auch immer hastig hinzu. Ich hatte wirklich ein Talent dafür, solche unnötigen Sachen zu sagen. Keine Ahnung wieso, aber dass er nicht enttäuscht aussah, gab mir ein schlechtes Gefühl. Meine Güte, wollte ich etwa, dass er vor Eifersucht eine Prügelei mit Albus anfing oder wie? Scorpius nickte: "Klar. Albus ist echt okay. Ich gehe mit Juliet Nott, unsere Eltern kennen sich . . ." Ich nickte lediglich und tat als wäre mir das gleichgültig, obwohl ich mich merkwürdigerweise echt dafür interessierte und mich auch nicht wunderte, wieso er mir das erzählte. Juliet Nott war eine hübsche Blondine aus unserem Jahrgang. Sie brauchte zehn Tonnen Make Up und jeden Tag einen anderen auffälligen Lippenstift, um sich sichtbar zu fühlen. Ich konnte sie nicht leiden. Selbst für eine Slytherin waren ihre Kommentare teilweise unglaublich fies und sie konnte sehr hinterhältig sein, wenn sie wollte. "Soll ich dich noch zu deinem Gemeinschaftsraum bringen?", fragte Scorpius schüchtern. "Ist das nicht etwas übertrieben?", antwortete ich mit einer Gegenfrage. Er grinste verschmitzt und legte zu meiner Überraschung einen Arm um meine Schulter. "Weißt du, die Schlossgeister können echt gemein sein!", flüsterte er mir in mein Ohr. Damit entlockte er mir ein ehrliches Lachen, auch wenn meine Beine fast unter mir wegzuklappen schienen. So gingen wir zum Gemeinschaftsrtaum der Gryffindors und irgendwie war ich froh, dass wir auf dem Weg dorthin niemandem begegneten. Mein laut klopfendes Herz hätte bestimmt für Verwirrung gesorgt. Vor dem Porträtloch trat ich peinlich berührt einen Schritt zurück: "Dankeschön", sagte ich aufrichtig und traute mich sogar, ihm in seine grauen Augen zu sehen, die nun schon gar nicht mehr so kalt wirkten. "Kein Problem", erwiderte er und sah aus, als wollte er noch etwas sagen. Neugierig wartete ich ab. "Pass auf dich auf, Rose", fügte er schließlich nur hinzu. Ich biss mir auf die Lippe und schenkte Scorpius ein Lächeln. "Versprochen!", verzagt beugte ich mich zu ihm vor, sodass sich unsere Nasenspitzen beinahe berührten. "Erwarten Sie meine Eule, Mr Malfoy!", hauchte ich und sah mit Vergnügen, dass er ganz leicht errötete. Merlin, Lucy und Roxanne wären stolz auf mich! Ich flirtete! Mit einem Malfoy! Allerdings schaffte ich es natürlich auch wieder in meiner Aufregung, mich mit Schwung zu der Fetten Dame umzudrehen und gegen das Portät zu rennen. Wow. Nach über vier Jahren hatte ich noch immer nicht begriffen, dass man das Passwort sagen musste, bevor man eintrat. Den Preis "Tollpatsch des Jahres" hatte mich mir mit dieser Aktion definitiv gesichert! "Au", stöhnte ich und rieb mir den schmerzenden Kopf. Zu meinem Glück lachte Scorpius nicht und widersprach damit dem typischen Bild eines gemeinen Slytherins und hochnäsigen Malfoys. Er half mir schnell auf und zog mich zu sich heran, damit er meine Verletzung näher untersuchen konnte. "Hm, sieht echt übel aus. Wird wahrscheinlich eine Beule geben . . .", stellte er fest und fuhr mir sachte mit dem Finger über die Stirn. Ich schluckte schwer. Offensichtlich bemerkte er nun auch, wie nah wir uns tatsächlich waren und rückte anstandshalber ein Stück von mir ab. Mein Herzschlag beruhigte sich jedoch nicht und ich versuchte mich zwanghaft zu konzentrieren. "Vielleicht gehst du lieber in den Krankenflügel!", riet er mir. Ich winkte ab: "Doch nicht wegen so einer kleinen Wunde!" Scorpius  schmunzelte. "Echt süß, wie du immer versuchst, dich wie ein starkes und unabhängiges Mädchen zu verhalten. Weißt du, ich habe dich vorhin nicht begleitet, weil ich dich für schwach halte, sondern aus Sorge um dich. Ich glaube sogar, dass du sehr stark bist", gab er ehrlich zu. Okay, wahrscheinlich sollte ich doch besser zu Madam Pomfrey, da der Zusammenstoß mit der Tür mich offenbar etwas benommen gemacht hatte. Zumindest hatte ich keine andere Erklärung für mein plötzliches Bedürfnis, Scorpius Malfoy zu küssen. Ich räusperte mich. "Danke", wiederholte ich heiser, "Ich glaube, ich kühle das jetzt einfach schnell und bis zur Party ist es wieder weg." Er nickte zustimmend und nach einem kurzen Moment des Zögerns umarmte er mich unbeholfen. Dann entfernte er sich im Laufschritt, sodass ich ihm nur mit einem irren Leuchten in den Augen nachstarren konnte. Anschließend drehte ich mich zur Fetten Dame um und nannte dieses Mal vor dem Eintreten das Passwort. Bisher hatte sie alles schweigend beobachtet, aber jetzt murmelte sie beim Aufschwingen abwertend: "Dein Ernst? Ein Slytherin? Du hast vielleicht Nerven!" Ich verdrehte die Augen, doch trotzdem blieb ein Lächeln auf meinem Gesicht zurück, das auch noch da war, als ich mich oben im Schlafsaal in meine weiche Bettdecke kuschelte.

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