Die vielleicht letzte Nacht

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„Ich kenne den Düsterwald nur aus den Geschichten, die du mir als Kind erzählt hast.", sage ich. „Doch ich würde ihn unglaublich gern mit eigenen Augen sehen."
Er strahlt mich an. „Du würdest mir also folgen?"
Ich schmiege mich an ihn. „Immer."
Hand in Hand gehen wir zurück in den Palast meines Vaters.
Wir lassen uns Zeit; denn schließlich weiß keiner von uns, ob Thranduil wirklich einverstanden ist.
„Angenommen, mein Vater würde zustimmen.", sagt Legolas leise. „Würdest du mich dann heiraten?"
„War das ein Antrag?", hake ich nach und kann mir ein freches Zwinkern nicht verkneifen.
Legolas schüttelt den Kopf.
„Ich will dir keine Hoffnungen machen und dir dann sagen müssen, dass mein Vater dich am liebsten köpfen lassen würde.
Ich möchte mich nur vergewissern, dass ich dir genug bedeute, dass ich mich eventuell bis aufs Blut mit meinem Vater zerstreite.
Wenn er uns sein Einverständnis gibt, kommt ein richtiger Antrag mit Ring, roten Rosen und romantischem Kerzenlicht, das schwöre ich dir."
Ich muss leise kichern, denn was traditionelle Dinge wie Hochzeiten angeht, kann Legolas ein richtig verbissener Spießer werden.
Eine Blitz-Hochzeit, bei der nur wir und Gandalf anwesend sind, der uns verheiratet, ist wohl überhaupt nichts für den Prinzen des Düsterwaldes.
„Was ist denn?"
Ich stoße die Tür zu meinem Zimmer auf. „Ach, nichts. Ich habe nur darüber nachgedacht, wie du es wohl finden würdest, wenn ich mit hautenger Lederhose und Kampfmontur vor dem Altar stehen würde."
Für einen kurzen Moment wird Legolas fast ein bisschen blass, bis er merkt, dass ich ihn nur auf den Arm nehme.
Es erstaunt mich, wie viel ihm tatsächlich an einer richtigen Hochzeit liegt.
Einer Hochzeit mit mir. Doch plötzlich bricht die Realität über mich herein.
„Legolas?"
„Ja?"
„Was ist, wenn Thranduil uns eine Beziehung verbietet?"
Erstaunlich selbtsicher und entschlossen schließt er die Tür und nimmt mich fest in seine Arme. „Dann will ich wenigstens diese eine Nacht mit dir verbracht haben."
Und ohne Vorwarnung küsst er mich, so fest und blind vor Liebe wie noch nie zuvor. Wir sollten das hier nicht tun.
Wir sollten uns keine Hoffnungen machen, die wir später bereuen. Wir sollten aufhören und auf Distanz gehen, bis die Sache mit dem Elbenkönig geklärt ist.
Ansonsten wird es uns beiden nur wehtun und uns innerlich zerreißen.
Aber mit jedem Mal, wenn unsere Lippen sich treffen, rutscht die Möglichkeit, dass wir beide uns nie mehr wieder sehen dürfen, in die Irrealität.
Legolas, der sonst immer äußerst zurückhalten ist, küsst mich beinahe so fest, dass ich fast in Ohnmacht falle.
Ich habe keine Ahnung, wie dieses Kerlchen es geschafft hat, über so viele Jahrtausende hinweg vollkommen enthaltsam zu leben und es nun hin bekommt, mich innerhalb weniger Sekunden um den Verstand zu bringen. Wahrscheinlich hatte ich in den letzten zwei Jahren mehr Affären als er in seinem ganzen Leben.
„Ich habe auf dich gewartet.", raunt er, als könnte er meine Gedanken lesen.
Ich lächle ihn liebevoll an.
„Und ich auf dich. Ich fand dich schon als kleines Mädchen super toll. Und was glaubst du, wie neidisch meine Freundinnen auf mich waren, als das Thema „Jungs" interessant wurde? Immer musste ich mich rechtfertigen.
„Ist das dein Freund?" „Ja, mein bester Freund." Weißt du, was ich besonders oft gefragt worden bin, Legolas?"
„Was denn?"
Ich wickle eine seiner langen blonden Haarsträhnen um meinen Zeigefinger.
„Etliche Mädchen kamen her. „Legolas ist doch dein bester Freund, oder?" haben sie gefragt. „Kannst du mich ihm vorstellen?" Und dann bin ich immer ausgerastet wie eine Furie. Was ihnen eigentlich einfiele, den Prinzen des Düsterwaldes anmachen zu wollen.
Ob sie das wenige Gehirn, das sie besitzen, nicht verwenden könnten, darüber nachzudenken, dass er dusslige Gänse wie sie welche seien nicht wolle.
Ich glaube, ich habe mich unbeliebt gemacht."
Legolas schenkt mir ein wunderschönes Lächeln.
„Das glaube ich auch, meine Süße.
Aber ich bin froh darüber. Ich hätte es furchtbar gefunden, wenn ich dir gleichgültig gewesen wäre und du mir täglich vollkommen desinteressiert neue Heiratskandidatinnen vorgestellt hättest."
Ich setze mich auf meine Bettkante.
„Dann hast du also gewusst was ich für dich empfinde?"
Er nimmt neben mir Platz.
„Nein. Ich dachte, deiner Meinung nach würde zwischen uns nur eine tiefe Verbundenheit und Freundschaft herrschen."
„Das dachte Aragorn wohl auch."
Beherzt nimmt er meine Hände in seine. „Ich weiß nicht, was Aragorn dachte.
Aber heute will ich es auch gar nicht wissen, Mirabella. Ich will einfach nur so tun, als wären wir ein ganz normales Paar."
„In Ordnung."
Und schon finden sich unsere Lippen erneut.
Falls das hier das Ende unserer Beziehung ist, soll es sich wenigstens gelohnt haben.

Das Glück hängt am Seidenen fadenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt