Nur ein Unfall?

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Es war still im Zimmer, nicht war zu hören, außer das leise Klacken einer kleinen Uhr. Manuel schlief seit zwei Stunden und ich wachte pausenlos an seinem Bett und hielt seine Hand. Nach seinem Versuch sich das Leben zu nehmen, der für außenstehende nur wie ein tragischer Unfall ausgesehen hatte, war ein Arzt, den ich gerufen hatte, bei Manuel gewesen.

Er bescheinigte, dass Manuel das größte Glück im Unglück gehabt hätte und sich Ruhe gönnen sollte. Ich beließ es dabei, dass er dachte Manuel hätte einen Unfall gehabt. Ich log für ihn, weil ich elendige therapeutischen Sitzungen von ihm fern halten wollte. Das brauchte er nicht, dass wusste ich.

Gedankenverloren strich ich über seinen Handrücken, als meine Finger fester umklammert wurden. Manuel blinzelte aus seinen verschlafenen Augen.

„Hey", sagte ich leise und strich mit meiner freien Hand sanft über seine Stirn runter zu seiner Wange. Er rang sich durch zu einem kleinen Lächeln.

„Wie lange hab ich geschlafen?" Seine Stimme war dünn und brüchig. Er wirkte so verletzlich und zerbrechlich.

„Ein bisschen mehr als zwei Stunden. Der Arzt hat dir etwas gegeben", Manuel nickte und setzte sich etwas auf. Ich reichte ihm ein Glas Wasser, welches auf seinem Nachtisch stand. Nachdem er ein paar Schlucke getrunken hatte, fuhr er sich mehrmals durch seine Haare. Er wollte sich etwas fragen, traute sich aber nicht.

„Nein, ich habe niemanden die Wahrheit erzählt", eröffnete ich ihm und Manuel schaute ertappt zur Seite.

Ich stand auf, schob den Stuhl zur Seite und setzte mich auf seine Bettkante. „Warum hast du das gemacht, Manu?" Tränen stiegen mir in die Augen. Ich konnte nicht verhindern, dass sich welche den Weg über meine Wangen nach unten suchten. Manuel schaute mich schockiert an, als hätte er niemals mit einer solchen Reaktion von mir gerechnet.

„Ich fühle mich so schuldig. Du könntest mit jedem hier sein oder woanders. Aber du bist mit mir hier. Ich bin nur balast.", versuchte er verzweifelt zu erklären. Nun war er es, der meine Hand hielt und mit seinen weichen, großen Fingern die Tränen von meinen Wangen strich.

„DU redest so ein Schwachsinn. Ich bin hier mit dir, weil ich möchte das es dir besser geht. Weil ich dich mag. Das solltest du eigentlich wissen!"

„Ich weiß, dass war gemein und nicht richtig von mir. Du bist die einzige, die mich niemals mitleidig angesehen hat, sondern mir gezeigt hat, dass es sich auch so noch lohnt weiter zu leben. Paula, du bist der Grund, weshalb ich eigentlich überhaupt noch leben will, aber ich war so wütend und enttäuscht darüber, dass ich nie wieder Fußball spielen kann."

„Das ist aber kein Grund so etwas zu tun. Ich weiß, dass es schwer ist, aber bitte Manuel, bitte tu mir so etwas nie wieder an", schluchzte ich und begann nun richtig zu weinen. Es rührte mich zutiefst, dass er gesagt hatte, ich sei noch der alleinige Grund dafür, dass er leben wollte, aber ich konnte ihm im Moment keine Antwort darauf geben.

Es war wie ein Damm der brach. Ich musste weinen. Manuel zog mich in seine Arme und drückte mich fest an sich. Ich bettete meinen Kopf auf seiner Brust, er strich mir immer wieder durch meine Haare und wog leicht hin und her.

„Sh", versuchte Manuel mich zu beruhigen und drückte einen Kuss auf meine Schläfe. „Alles ist gut. Ich lebe noch, ich bin da Paula. Es war dumm von mir, ich lass dich nicht alleine."

„Und ich lass dich nie wieder alleine", sagte ich laut, bestimmend und unter Tränen.

„Das freut mich und noch mehr würde es mich freuen, wenn du jetzt aufhörst so zu weinen." Ich sah nicht sein Gesicht, aber ich konnte ein kleines Grinsen von Manuel förmlich fühlen.

„Ich mach mir aber solche Vorwürfe", schluchzte ich. Mittlerweile hatte ich Manuels T-Shirt an seiner Brust schon nass geweint. Es klebte jedes Mal an meiner Wange, wenn ich sie versuchte leicht zu heben, um Manuel anzusehen.

„Warum machst du dir Vorwürfe? Das sollst du nicht. Es war meine Dummheit."

„DU wolltest alleine Sein. Ich hatte schon ein ungutes Gefühl. Ich hätte bei dir bleiben sollen. "

Es sprudelte alles aus mir heraus. Ich konnte mich einfach nicht beruhigen. Die Tränen rannen pausenlos über mein Gesicht. Meine Augen waren sicher schon feuerrot, sie brannten so furchtbar. Unaufhörlich lief meine Nase, Manuel reichte mir ständig Taschentücher nach.

„Hör auf dir Vorwürfe zu machen, Paula. Ich hab dich darum gebeten und es war eine ganz normale Reaktion von dir."

„Es ist aber ein Job. Manuel, es ist mein Job hier auf dich aufzupassen und für dich da zu sein und dann als du mich gebraucht hast, konnte ich nicht bei dir sein, weil ich nur mit meinen eigenen Gefühlen und mir beschäftigt gewesen war."

Manuel schwieg danach. Wir lagen nur da, er hielt mich fest im Arm und streichelte mich. Manuel legte leicht seine Bettdecke über uns, ich griff nach ihrem Saum und hielt mich daran fest.

Irgendwann schaffte ich es mich zu beruhigen. Ich schloss meine Augen, weil ich sie durch das starke Brennen nicht mehr offen halten konnte. Ich wusste nicht wie lange hier lagen und wie lange ich geweint hatte, aber mir tat es gut so nah bei Manuel zu sein.

Es war furchtbar gewesen so viel zu weinen, aber ich hatte das Gefühl nun ging es mir besser. Die schlechten Gedanken waren ausgesprochen und ich musste sie nicht wie einen schweren Stein mit mir herumtragen. Wir hatten, mehr oder weniger, darüber gesprochen.

„Paula?" Manuel schob mich sanft ein wenig von sich runter, sodass ich neben ihm lag, er drehte sich und stützte seine Hände neben meinen Kopf auf. Er war genau über mir, sodass sich unsere Nasenspitzen beinah berührten. Ich spürte seinen warmen Atem. Er streifte sanft einzelne Partien meines Gesichts.

„Wann gestehst du dir eigentlich endlich ein, dass das zwischen uns mehr als nur ein Job ist?"

Plötzlich ist alles andersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt