So einfach gebe ich nicht auf

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'Suchen eine junge engagierte und lebenslustige Pflegekraft. ' das stand in der Suchanzeige, die ich vor 3 Tagen in der Zeitung gefunden hatte. Ich konnte nicht von mir behaupten, dass ich pessimistisch eingestellt war, doch was mir zu schaffen machte, war mein Alter.

Niemals würde ich eingestellt werden, um einen 75 jährigen Mann zu pflegen. Doch es hatte nichts weiter in der Anzeige gestanden. Kein Name, kein Alter. Nur eine Telefonnummer wo ich sogleich anrief und einen Termin aus machte.

Ich Muss zugeben, dass ich wirklich nervös bin, weil ich nicht weiß, was mich gleich erwartet. Vielleicht ein 80 Jähriger Mann oder eine Frau. Kein Ahnung.

Eine ältere Frau kam aus der Tür heraus und schüttelte mit dem Kopf. ,,Was die für Ansprüche haben. So ein Arschloch", murmelte sie vor sich hin und ein flaues Gefühl stieg in meinem Magen auf.

,,Die nächste bitte", eine Frau mit braunen, lockigen Haaren trat zur Tür. Sie sah nett aus. Ihr Gesicht war ründlich, ihre Augen schwach und ausdruckslos.

,,Hier. Ich denke, das bin ich", zögerlich hob ich die Hand. Die Frau bat mich herein und führte mich in die Küche des Hauses.

Sie stellte ein neues Wasserglas auf den Tisch und bat mich Platz zu nehmen.

,,Ihre Bewerbung hat mir sehr gut gefallen. Möchten Sie vielleicht einfach mal etwas über sich erzählen", ihr Lächeln machte mir Mut und die Tatsache, dass sie mich trotz meines Alters zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen hatte, stärkte mich.

,,Ich heiße Paula, bin 21 Jahre alt und wohne in Bad Tölz. Vor 1,5 Jahren habe ich meine Ausbildung als Heilerziehungspflegerin abgeschlossen. Bis vor 1 Monat habe ich einen kleinen Jungen gepflegt, aber sie Familie ist weg gezogen und jetzt bin ich auf der Suche nach einem Job. In meiner Freizeit unternehme ich gerne was mit Freunden und besuche manchmal die Spiele vom FC Bayern." Ich fragte mich, ob das nicht zu sehr danach geklungen hätte, als hätte ich es auswendig gelernt.

,,Und worin besteht ihre Motivation gerade diesen Job zu machen?"

,,Ich denke schon, dass ich Freude und Lebensmut verbreiten kann, dass wurde mir auch in meiner Ausbildung nachgesagt und wenn ich ehrlich sein soll, ich brauche auch das Geld."

Sie lächelte. Anscheinend gefielen ihr meine ehrlichen Antworten.

,,Nun, es ist alles andere als leicht mit unserem Sohn. Seit seinem Unfall ist er ein mürrischer, deprimiertet, junger Mann geworden. Bisher habe ich seine Pflege übernommen, doch ich möchte wieder arbeiten und ich merke, dass es dem Verhältnis von Manuel und mir schadet." Geknickt schaute sie auf ihre Finger.

,,Das kann ich gut verstehen. Es ist nie einfach, wenn man dem Jenigen sehr nah steht. Ich hatte das gleiche Problem in meiner Familie. Mein Cousin ist Querschnittsgelähmt und kann unterhalb seiner Hüfte nichts mehr bewegen. Jeder meinte damals ich solle doch die Pflege übernehmen, doch das hat absolut nicht funktioniert." Meine Worte schienen ihr Mut zu machen und ich hatte das Gefühl, dass sie begriff, das eine Einstellung einer Pflegekraft nicht bedeutete, dass man den eigenen Sohn abschob.

,,Ich heiße Marita Neuer und es geht um meinen 22-Jährigen Sohn Manuel ."

Der Satz hallte im ganzen Raum nach. Er traf mich wie ein Stein, ein schweres Brett. Manuel Neuer? Jeder Bayern Fan hatte vor eine Jahr von seinem Unfall mitbekommen. Wir hatten gelitten und um ihn geweint und ich war nun hier, um seine Pflegekraft zu werden. Ich?! Er hatte vor 1 Jahr einen Unfall und sitzt seitdem im Rollstuhl. Er ist ab den Oberschenkeln abwärts gelähmt .

,,Wir haben es extra nicht in die Anzeige geschrieben, sonst hätten wir uns vor Anfragen vermutlich nicht retten können. Paula, Manuel braucht Jemand besonderen. Er lehnt jeglichen sozialen Kontakt ab. Er muss wieder zurück ins Leben geführt werden. Machen Sie jetzt einen Rückzug, nachdem Sie unseren Namen kennen?"

,,Nein, nein. Es ist nur etwas überraschend. Rückzug? Soll das heißen, dass Sie gerne mich hätten?"

Frau Neuer nickte und mein Herz machte einen kleinen Freudensprung, aber nur einen kleinen, denn es überwog die Unsicherheit und die Nervosität.

,,Ich denke, Sie würde gut zueinander passen. Wann können Sie denn anfangen?"

,,Morgen?"

,,Das wäre sehr schön. Am besten Sie lernen ihn jetzt gleich kennen. Er ist draußen im Garten."

Wir standen auf und traten über eine Rollstuhlrampe in das Wohnzimmer und dort über die Terrasse in den Garten. Die Familie hatte das Haus erst barrierefrei umgebaut. Das sah man.

Im Garten sah ich ihn sitzen. Manuel saß im Rollstuhl unter einem schattenspendenden Baum. Der Sommerwind strich durch meine blonden Haare. ,,Ich glaube, ich sollte alleine zu ihm gehen", flüsterte ich, als seine Mutter und ich kurz vor ihm stehen blieben. Sie nickte mir zu, dann machte ich mich auf den Weg.

,,Hey", begrüßte ich ihn mit sanfter Stimme und setzte mich auf die braune Holzbank, die unter dem Apfelbaum stand. Meine Handflächen wurden feucht vor Aufregung und als Manuel aufblickte, sah ich direkt in seine leeren, braunen Augen.

,,Ich bin Paula", ich hob die Hand und seine Blicke schweiften von mir ab.

,,Na, hat meine Mutter endlich Jemanden gefunden, die mir den Arsch abwischen kann?" Mürrisch schnaufte er.

Seine Mutter hatte mit deprimiert und mürrisch fast noch untertrieben.

,,Ich bin nicht nur hier, um dir den Arsch abzuwischen", ich passte mich seinem Sprachgebrauch an, doch Manuel schien das ziemlich wenig zu stören.

,,Sondern du beschäftigst mich auch wie einen kleinen Jungen. Äußerst reizend, du bist doch selbst noch nicht mal erwachsen."

,,Na schön. Du bist genervt, hasst dein Leben und hasst mich, weil ich heute vielleicht schon die zwanzigste bin, die sich bei dir vorstellt, aber wir werden uns in Zukunft häufiger sehen, ob es dir passt oder nicht." Ich ging in die Offensive und versuchte ihn zu locken, indem ich nun auch patzige Antworten gab.

,,Wunderbar. Ich könnte mir nichts besseres vorstellen", er griff nach den Rädern seines Rollstuhls drehte sich und fuhr davon. Er ließ mich alleine auf der Bank zurück.

Mit bitterbösem Blick fuhr er an seiner Mutter vorbei, bekam einen Wutausbruch, als er es nicht direkt die Rampe zur Terrasse nach oben schaffte und verschwand dann.

Puh. Ich atmete tief durch. ,,Hab ich Ihnen zu viel versprochen?" Mit geknickten Blick setzte sich seine Mutter zu mir.

,,So einfach gebe ich nicht auf. Wir sehen uns morgen", ich zwinkerte ihr zu und verabschiedete mich.

Arbeitsbeginn war um 8 Uhr und ich beschloss noch am gleichen Abend, dass ich es schaffen würde Manuel von mir zu überzeugen.

Plötzlich ist alles andersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt