Einsicht ist der erste Schritt zur Besserung

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*Manuels PoV*

,,Ich hasse dich nicht", murmelte ich leise vor mich hin. Doch Paula war schon wutentbrannt und mit verweinten Augen davon gelaufen.

,,Und ich wollte auch nur eine Ältere, damit sie auf keinen Fall so hübsch ist wie du", geknickt ließ ich den Kopf hängen.

Seit einem Jahr versaute ich mir jeglichen sozialen Kontakt durch meine verletzende Art. Meine Freunde hatten es schon lange aufgegeben zu mir Kontakt zu halten. Hin und wieder kam eine SMS, mehr aber auch nicht.

Doch das war es doch, was ich durch meine Art erreichen wollte. Ich wollte mich abgrenzen, denn wer würde schon mit einem Krüppel wie mir zusammen Spaß haben wollen?

Ich war zur nichts mehr zu gebrauchen und ich wollte die Leute verletzen, damit es ihnen auch nur ansatzweise so schlecht ging, wie mir.

Paule war anders. Sie lies nicht locker und ihre wunderschönen, blauen Augen gaben mir so viel Mut und Optimismus.

,,Was hast du um Gottes Willen mit Paula gemacht?" Mama riss mich aus meinen Gedanken und ich blickte zu ihr auf.

,,Lass mich in Ruhe", ich wollte gerade nach innen fahren, als sie sich mir in den Weg stellte.

,,Nein, werde ich nicht. Hast du sie wieder fertig gemacht? Manuel so geht das nicht. Ich will, dass du Paula respektierst", sie schaukelte sich hoch und ich hatte sie in den letzten Jahren selten so wütend erlebt.

,,Hätte es nicht auch eine alte, hässliche Frau kurz vor der Rente getan?" Gab ich knorrig zurück, auch meine Lautstärke stieg etwas.

,,Ich dachte, dir tut eine junge Pflegekraft. Paula ist so bemüht und so lieb. Außerdem hätten wir bei einer alten Frau genau die gleich Diskussion. Dann würdest du dich beschweren, dass sie wie deine Oma ist. Manuel begreife endlich, dass du dich mit deiner Situation anfreunden musst und es nicht besser wird, wenn du anderen Menschen verletzt."

Mama ging und ließ mich alleine zurück. Ihre Worte hallten noch lange in meinem Kopf nach. Mit der Situation anfreunden...jeder brachte es so leicht über die Lippen, doch niemand konnte nachfühlen, was es für mich hieß.

Ich hatte von einem Tag auf den anderen alles verloren. Meinen Beruf, meine Leidenschaft, meine Freundin, der ich mit einem Rollstuhl zu lästig wurde und meine Freiheiten. 24 Stunden musste jemand bei mir sein. Ich konnte kein einziges Mal so lange duschen wie ich wollte, weil immer jemand beim Waschen dabei sein musste.

Nie konnte ich entscheiden wann und was ich essen wollte, weil mir gekocht wurde. Ich hatte all meine Selbstständigkeit für mein ganzes Leben verloren und das sollte ich einfach so annehmen und mich damit anfreunden.

Jeder hatte einen guten Ratschlag, doch keiner wusste wie ich wirklich fühlte.

,,Hier", nach dem Abendessen hielt mir meine Mama einen Zettel und das Telefon hin. ,,Ich will, dass du Paula anrufst und dich bei ihr entschuldigst und sie bittest morgen wiederzukommen. Sie hat nämlich beim Gehen gesagt, dass sie das nicht mehr tun wird."

Ich nahm ihr das Telefon ab und schluckte schwer: ,,Ich weiß nicht, ob ich das kann."

,,Oh doch mein lieber Sohn, wer alle demütigen kann, weil er in seinem eigenen Selbstmitleid versinkt, der wird sich jetzt auch entschuldigen können. Ich lass dich jetzt alleine. Papa und ich schauen unten Fernsehen und du wirst sie anrufen."

Mein Herz begann zu klopfen und ich war aufgeregt. Es war das erste Gefühl, was seit langem meinen leeren Körper füllte. Ich fühlte mich zurückversetzt in eine Zeit in der man stundenlang vorm Telefon saß und nicht wusste, ob man das Mädchen anrufen sollte oder nicht.

Es war so wunderbar ein Gefühl der Aufregung zu spüren, dass ich einen Moment noch verharrte.

Schließlich wählte ich mit zittrigen Händen Paulas Handynummer.

,,Ja?" Ich hörte ihre weiche Stimme durch das Telefon und spielte kurzzeitig mit dem Gedanken einfach aufzulegen, doch ich wollte jetzt nicht kneifen und ich wollte, dass sie morgen wiederkam.

,,Paula?" Fragte ich schließlich zögerlich und es war einen kurzen Moment still in der Leitung. Ich wusste nicht, ob ich etwas sagen sollte, oder weiter schweigen sollte.

,,Manuel?" Kam es schließlich von ihr. Sie hörte sich verweint an, ihre Nase zu und ihre Stimme leicht brüchig und ich wusste, ihr ging es wegen mir so.

Ein schlechtes Gewissen machte sich breit, so wollte ich sie nicht verletzten.

,,Ja...", ich wusste nicht was ich sagen sollte. Sollte ich mich nun direkt entschuldigen oder fragen wie es ihr geht? Obwohl das letzte ja wohl mehr als eindeutig war.

,,Ich glaube, ich muss mich bei dir entschuldigen."

,,Okay."

,, Es tut mir sehr Leid Paula, dass ich so verletzend und gemein zu dir war. Ich wollte nicht so sein und dir weh tun." Es war einfacher als gedacht eine einfache Entschuldigung auszusprechen, ich hatte es nur zu lange nicht mehr gemacht.

Sie schwieg.

,,Und, es würde mich freuen, wenn du morgen wieder zu mir kommen würdest."

,,Ist schon okay Manuel. Ich komme morgen wieder. Danke für deine Entschuldigung", antworte sie und versuchte stark zu wirken, doch ich hörte, wie sie ein paar Tränen hinunterschluckte.

,,Ist alles okay bei dir?" Fragte ich zögerlich.

,,Ja, alles klar. Wir sehen uns morgen." Dann legte sie auf.

Mir war zum Heulen zumute. Dieses Mal tat es mir wirklich sehr Leid, dass ich alles mit meiner Art kaputt gemacht hatte. Dabei war Paula wirklich bemüht gewesen, aber bei jedem vermutete ich keine ehrliche Absichten.

Ihnen ging es darum ihr Geld zu verdienen und nicht wirklich um mich. Doch Paula schien es wirklich hart getroffen zu haben und dennoch hatte sie meine Entschuldigung akzeptiert.

Vielleicht ging es ihr wirklich um mich und nicht nur um einen Job. Ich stutzte und hing noch ein wenig meinen Gedanken an sie nach.

Es war das erste Mal seit einem Jahr, dass ich wieder intensiv über einen Menschen nachdachte. Ihre blonden Haare, ihre blauen Augen und ihr kleines Lächeln, dass sie stets auf den Lippen hatte, waren mir schon am ersten Tag aufgefallen.

Lachte sie, hatte sie links und rechts kleine Grübchen. Das hatte ich gesehen, als sie heute Nachmittag im Gartenstuhl eingeschlafen war.

Ich hatte sie die ganze Zeit über beobachtet. Sie sah sehr selig aus, wenn sie schlief.

Spät ging ich diesen Abend ins Bett und vor dem Einschlafen schwor ich mir, dass ich morgen alles dafür tun würde nett zu Paula zu sein. Alles.

Plötzlich ist alles andersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt