Malachit

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  Es war unglaublich wie sehr sich alles im Verlauf weniger Tage verändert hatte. Als ich heute das Schulgebäude betrat, wurde ich von den Schülern angesehen (und nicht ignoriert), sie stupsten sich gegenseitig mit den Ellenbogen in die Seiten um auf mich aufmerksam zu machen und tauschten wissende Blicke aus. Im ersten Moment fühlte ich mich fehl am Platz, unsicher was diese neue Aufmerksamkeit zu bedeuten hatte und wieso sie augenscheinlich untereinander über mich sprachen.
Ich versuchte meine Anspannung zu kaschieren und ging weiter ohne mich umzusehen, gar Blickkontakt zu riskieren.
„Guten Morgen!", rief jemand und ich drehte mich zur Seite, um zu sehen dass die Person, ein Junge mit rot-gefärbtem Haar, mich direkt ansah. Ich nickte ihm zu, halb sprachlos, halb verwirrt. Ich hatte den Kerl noch nie zuvor gesehen. Und erstaunlicherweise ging das weiter so. Von allen Seiten her, bemerkte ich Schüler und Schülerinnen, die mich anlächelten, als ich an ihnen vorbei ging.
Ich drehte mich verwundert zur Seite, als mir jemand einen Arm um die Schultern legte, entspannte mich jedoch als ich bemerkte, dass es Baekhyun war. „Sag mal hab ich irgendwas verpasst?"
„Was meinst du?"
Ich stutzte kurz, unsicher wie ich es formulieren sollte. „Die Leute? Sie benehmen sich...anders als zuvor."
„Ah das." Baekhyun lachte. „Liegt bestimmt an deinem neuen Haar." Ich runzelte zur Antwort die Stirn. „Nur ein Scherz. Jemand hat verbreitet wie du Luhan ausgetrickst hast. Solche Geschichten machen sich gut unter den Schülern."
„Offensichtlich."
Baekhyun drückte mich kurz etwas fester an sich, dann ließ er von mir ab und trat als erster ins Klassenzimmer ein. Auch hier wurde ich von meinen Mitschülern gegrüßt, so wie sie sonst immer nur Sehun oder Baekhyun gegrüßt hatten. Ich wurde wirklich von ihnen aufgenommen, verstand ich und es war ein gutes Gefühl.

In der Pause kurz vor den letzten zwei Stunden, lief Minseok in den Gängen an Sehun und mir vorbei und hielt kurz inne, eine Hand leicht auf meinem Arm abgelegt. „Hast du kurz Zeit Jongin?"
Ein ungutes Gefühl beschlich mich. „Klar, was gibt es?"
Seine Augen wanderten kurz zu Sehun, aber dieser lehnte sich einfach geduldig gegen die Wand, ohne davon zu gehen. „Es geht um die Außerschulischen Aktivitäten. Ich habe gesehen, dass du dich für noch keinen Club eingeteilt hast."
„An meiner alten Schule war das ziemlich untypisch", sagte ich verunsichert. „Sind denn alle für irgendwas eingeteilt?"
Minseoks Blick schweifte erneut über Sehun. „Mit Ausnahme ganz weniger, ja." Er lächelte. „Es ist ein Angebot der Schule, damit ihr von dem ganzen Schulkram nicht erdrückt werdet und...andere Flausen aus dem Kopf bekommt." Sein Blick war scharf, seine Lippen immer noch zu einem sanften Lächeln verzogen.
„Ich überleg es mir", versprach ich und machte unbewusst einen Schritt von Minseok fort.
„Das ist gut", er nickte uns zu und wollte offenbar gehen, als er sich noch einmal umwandte. „Bist du mittlerweile wieder gesund Jongin?"
„Wie bitte?"
„Du warst gestern nicht in der Schule."
„Ah ja mir geht es wieder gut – es...es war nichts Ernstes."
„Verstehe", mit diesem Wort wandte er sich nun (endlich) wirklich ab und ging den Flur hinunter. Die Finger hinter dem Rücken verschränkt.
„Minseok behält dich im Auge", sagte Sehun mit einem Pfiff, als der Lehrer um die Ecke gebogen war.
„Und was hat das zu bedeuten?"
Sehun zuckte die Achseln. „Nichts worüber wir uns Gedanken machen müssten."
Und ich war mir nicht sicher, ob das wirklich der Wahrheit entsprach.
Ich war beinahe überrascht, als ich Nachhause kam und Stimmen hörte. Meine Eltern mussten endlich aus Jeju zurückgekehrt sein.
Ich ließ meine Schultasche im Gang neben meiner Jacke und meinen Schuhen liegen und ging in die Küche, wo meine Mutter über irgendetwas lachte.
Ich stellte mich in den Türrahmen und gefror augenblicklich. Mom stand neben dem Herd, auf dem heißes Wasser kochte, Dad saß an der Theke und neben ihm Kyungsoo.
„Jongin!" Mom entdeckte mich als erste und eilte zu mir, um mich in den Arm zu nehmen. Kurz darauf schloss Dad mich in eine Umarmung und ich sah Kyungsoos Gesicht über die Schulter meines Vaters. Er starrte mich mit geweiteten Augen an und sein Blick wanderte über meinen Kopf bis er meine Augen erreichte und bemerkte dass ich ihn beobachtete. Augenblicklich blickte er zurück auf seine Hände, die auf der polierten Theke ineinander verkrampft waren.
„Was hast du mit deinen Haaren gemacht Jongin?", fragte meine Mutter und griff sofort in die braunen Strähnen.
„Ich...gefällt es dir nicht?"
Sie lachte und erst jetzt wurde mir wirklich deutlich wie sehr ich sie vermisst hatte. „Natürlich gefällt es mir. Es steht dir sehr gut!"
Dad stupste mich mit dem Ellenbogen in die Seite und gab mit einem schiefen Grinsen ebenfalls einen Kommentar zu meiner neuen Frisur ab: „Schwarz ist schon lange out, lernst du eigentlich nichts von den Dramen die du dir immer anschaust? Tz altmodisch."
„Yah alter Mann!"
Wir beide lachten, doch es verging mir, als ich erneut zu Kyungsoo sah. Ich fühlte mich unwohl mit seinem Blick auf mir. Doch ohne die leichte Anspannung im Raum zu bemerken, drängten meine Eltern mich dazu ebenfalls Platz zu finden und kurz darauf fand ich mich auf dem Hocker wieder, den gerade mein Vater besetzt hatte. Kyungsoo direkt neben mir.
Meine Mutter servierte uns Suppe, während sie über Jeju sprach und die Ausflüge die sie unternommen hatten. Sie sprach von den wunderschönen Wasserfällen, die atemberaubend lang waren, den Tempeln, für die man einen Berg besteigen musste und den Mandarinen Sträuchern, die erst Früchte trugen wenn Schnee gefallen war.
Sie bemerkten nicht, dass Kyungsoo und ich nichts sagten und mit den Gedanken ganz woanders waren.
„Und wie lief es hier Jongin? Warst du einsam?"
Mein Name holte mich in die Realität zurück. „Nein. Nicht wirklich. Schule...und andere Dinge haben mich abgelenkt."
„Dann ist gut", strahlte mein Vater und beide wirkten so glücklich und erholt wie schon lange nicht mehr.
Ich holte tief Luft. „Danke fürs Essen", dann eine kurze Pause in der ich nach Worten suchte. „Wollen wir nach oben gehen?" Letzteres richtete ich an Kyungsoo und es war das erste was ich heute zu ihm gesagt hatte.
„Macht das", bestätigte meine Mutter und scheuchte uns davon, als wir versuchten unsere Teller an die Spüle zu bringen. Fast aus dem Raum rief uns mein Dad noch ein schnelles: „Kyungsoo wie geht's eigentlich deinem Vater? Der Kerl hat sich schon lange nicht mehr gemeldet", hinterher.
Kyungsoo hielt inne, die Schultern angezogen. „Ihm geht es gut. Er richtet Grüße aus."
„Dann ist gut."
Kyungsoo ging an mir vorbei und ich wurde aus unerfindlichen Gründen wütend. Kyungsoo hatte wieder diesen geheimnistuerischen Ton angenommen, der eine Mischung aus Verlegenheit und Traurigkeit war. Früher hatte Kyungsoo niemals so geklungen, er hatte auch niemals versucht sich emotional von mir abzuschotten. Ich wurde mit jeder Stufe nach oben wütender.
Wie viel Zeit war vergangen seit Kyungsoo in meinem Schlafzimmer hockte, während ich ihm von meinem ersten Schultag berichtete und wie die Schüler und Lehrer auf der Seongon so tickten. Es kam mir wie Ewigkeiten vor, dabei war es gerade mal eine Woche.
Wir setzten uns nebeneinander auf mein Bett mit so viel Abstand das eine dritte Person sich zwischen uns breit machen könnte. Auf den gleichen Decken und Kissen waren wir erst vor ein paar Tagen nebeneinander eingeschlafen.
„Du hast dir die Haare gefärbt?" Kyungsoo war der erste der die Stille gebrochen hatte.
„Ein Freund von mir – Baekhyun hat es getan", bestätigte ich.
„Es sieht gut aus."
„Danke."
Erneut schwiegen wir und ich rieb meine Handflächen im Schoß gegeneinander, schließlich seufzte ich. Das war dämlich. Wir benahmen uns dämlich. „Es tut mir leid, dass ich mich nicht bei dir gemeldet habe."
Auch Kyungsoo atmete darauf tief aus. „Wieso hast du dich nicht mehr gemeldet?"
Ja. Wieso? „Ich war wütend und es war mir peinlich."
„Wieso?"
„Was davon?"
„Wieso warst du wütend?"
Ich wandte mich zur Seite, um ihm in die Augen zu blicken und suchte in ihnen ob er wirklich nicht wusste, was mich an jenem Abend so verärgert hatte. „Vergiss es." Ich hatte es gefunden. Er wusste genau, dass ich wusste, dass er mir etwas verheimlichte und er hatte zur Seite gesehen. War meinem Blick ausgewichen, der Wahrheit entflohen.
„Könnten wir das nicht einfach...vergessen? So tun als wäre nichts passiert?" Er konnte mir noch nicht einmal in die Augen blicken.
„Schön. Lass und das tun." Wenn wir erwachsen gewesen wären, dann hätten wir darüber gesprochen, Kyungsoo hätte mich gefragt was zum Teufel in mich gefahren war, an einem Montagabend auf eine Party zu gehen, die mich bis in den Dienstag beschäftigt hielt. Und ich würde fragen, wieso Kyungsoo nicht mehr regelmäßig zur Schule ging, oder unsere Freunde belog, wenn er sagte er ginge früher Nachhause, ohne letztlich überhaupt Zuhause zu sein. Aber wir waren nicht erwachsen, wir waren Kinder, die keine Ahnung hatten wie das Leben funktionierte und was für Konsequenzen unser Tun haben würde.
Wir schwiegen und wogen uns in Sicherheit, weil wir so schreckliche Angst vor wahren Worten hatten.
Kyungsoo ging an diesem Abend früh wieder Nachhause, so früh das meine Eltern verwundert nach oben kamen, um zu fragen ob wir uns gestritten hatten. Ich verneinte, wir hatten uns ja nicht gestritten, ganz im Gegenteil wir hatten uns wieder versöhnt und alles war in Ordnung zwischen uns. Meine Eltern kauften mir alles ab.
Etwas später kauerten wir uns gemeinsam auf die Couch im Wohnzimmer, in dicke Decken eingemummt und jeder eine Tasse heiße Schokolade zwischen den Händen.
„Kyungsoos Mutter hat uns früher immer heiße Schokolade gemacht", dachte ich laut nach und nippte an meinem Tassenrand.
„Sie hat geliebt euch zu verwöhnen", lachte Mom. „Sie hat mir mal anvertraut, dass sie sich schon immer zwei Kinder gewünscht hatte. Du kamst ihr da gerade recht."
„Er hat erzählt er geht sie noch immer jeden Sonntag besuchen."
Ich nickte nur auf Dad's Worte hin mit dem Kopf. Ich erinnerte mich an Wintertage kurz vor Weihnachten, als ich bei Kyungsoo übernachtet hatte und seine Mutter uns half aus Bettdecken und bunten Wolldecken ein Zelt zwischen Schreibtisch und Stühlen aufzubauen, unter denen wir stundenlang saßen und spielten. Sie würde uns heiße Schokolade in unsere Höhle bringen und sich zu uns setzten, obwohl sie den Kopf einziehen musste. Unsere Haare waren permanent elektrisch geladen und stiegen in die Höhe und wir lachten wie am Spies wenn Kyungsoos Vater sich zu uns gesellen würde und aufheulte wenn wir ihn mit unseren elektrischen Fingern einen Stromschlag verpassten. Zusammen würden wir unter den stickigen Decken liegen und zuhören wie Kyungsoos Mutter leise vor sich hin sang, während ihre Finger unsere Seiten entlangstrichen.
Bis heute erinnerte ich mich noch an den Klang ihrer wunderschönen Stimme. Kyungsoo hatte ebenfalls eine wunderschöne Stimme, er hatte jedoch nicht mehr gesungen, seit seine Mutter diesen Unfall hatte.
Als ich später am Abend Bettfertig und unter den Decken lag, fragte ich mich, wieso gerade Kyungsoo, wieso gerade seine Familie - und ich fand keine Antwort darauf.
Ich schlief ein mit einer Abscheu auf die gesamte Welt.
Ich nahm mir fest vor, mit Kyungsoo zu reden und dieses Mal nichts dazwischen kommen zu lassen. Aber es kam etwas dazwischen. Eine Menge sogar.
Sehun fragte mich am Freitag wie meine Wochenendpläne aussähen und ich antwortete ehrlich, dass ich Zeit hätte. Ich fand mich am selben Abend in einem neuen Club wieder.
Das ‚Heart Attack' hatte seinen Namen wirklich verdient. Mit seinen roten Wänden und schwarzen Möbliert hatte die Umgebung eine schaurige, aber sehr hitzige Atmosphäre und der Bass dröhnte so stark, dass ich ihn in jeder meiner Faser vibrieren spürte und mein Herz irgendwann mit ihm im Einklang pulsierte. Ich tanzte die gesamte Nacht lang mit Baekhyun. Meinen Eltern erzählte ich, ich würde wegen einem Schulprojekt bei einem Schulfreund übernachten.
Gegen acht Uhr morgens taumelten wir über Sehuns Türschwelle und schliefen den gesamten Tag, um am Abend wieder fit zu sein.
„Es ist Samstagabend", hatte Sehun begründet und die Achseln gezuckt. „Natürlich gehen wir feiern."
Und ich fragte mich, wie ich das jemals anzweifeln konnte. Meinen Eltern schrieb ich, dass es ein wirklich wichtiges Schulprojekt sei und ich wohl einen Tag länger mit Sehun daran sitzen müsste.
Die Realität sah anders aus. Nicht nur das ich seit meinem ersten Schultag noch kein einziges Mal die Hausaufgaben gemacht hatte, ich verbrachte meine Abende auch in einem Rausch, der überhaupt nicht vorbildlich war.
Als die neue Woche anfing erhielt ich eine SMS von Ravi. Überrascht blickte ich auf den Bildschirm meines Handys hinunter. Überrascht, weil ich schon länger nicht über Ravi oder irgendjemand anderen aus der Yokseng nachgedacht hatte.
‚Du und Kyungsoo habt unsere Freitags-Party verpasst! Seid ihr plötzlich zu cool für uns?!'
Ich hatte es völlig vergessen und während ich noch darüber nachdachte, was ich ihm antworten sollte, kam eine neue Nachricht von Ravi an. ‚Nein ehrlich Jongin, Kyungsoo war wieder nicht in der Schule. Was ist los? Er redet mit keinem.'
Ich schloss die Augen und packte mein Handy zurück in die Hosentasche.
„Welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen?" Ich blickte auf, in Baekhyuns Gesicht, das zwischen seinen Händen, auf seinen aufgestützten Ellenbogen, auf meinem Tisch ruhte. Er klimperte mit den Wimpern als ich ihm meine Aufmerksamkeit schenkte und ich begann unweigerlich zu lachen.
„Nichts. Alles in Ordnung."
„Das will ich doch hoffen."
„Machst du dir Sorgen um mich?", fragte ich und lehnte mich nun meinerseits nach vorne, so dass wir uns noch näher waren.
„Bild dir nichts ein Jongin", schnaubte er, doch mir entging der rötliche Schleier auf seinen Wangen nicht. Ich hatte schon eine Weile eine vage Vermutung was Baekhyuns Sexualität anging und es war interessant Grenzen auszutesten.
„Der Unterricht geht weiter", meldete sich Chanyeols Stimme zu Wort und Baekhyun und ich wandten uns zur Seite, wo Luhan gerade den Raum betreten hatte. Baekhyun zwinkerte mir zu, während er sich wieder auf seinen Platz neben Chanyeol niederließ.
„Du spielst mit dem Feuer", flüsterte mir Sehun zu, sein Blick fixiert auf Baekhyuns Rücken.
„Tut mir leid", flüsterte ich leise lachend zurück und Sehun schüttelte den Kopf.
„So wie ihr in Clubs immer aneinander hängt..."
„Bist du eifersüchtig?", fiel ich ihm ins Wort und er grinste mich breit an.
„Lass mich da ja raus."
„Baekhyun Hyung tanzt gut", beantwortete ich seine vorige Anspielung und beendete mit einem Achselzucken.
„Irgendjemand wird dir dafür die Knochen brechen Jongin."
„Drohst du mir?"
„Ich denke nicht, dass ich der einzige Kandidat wäre."
Ich prustete leise los. „Also gibt es-"
„Könntet ihr, in der letzten Reihe, bitte aufhören, während des Unterrichts zu flirten?" Luhans strenger Blick wanderte zwischen Sehun und mir hin und her. Die Klasse lachte leise über den Scherz des Lehrers.
Sehun öffnete den Mund, sicher bereit um einen spitzen Kommentar loszuwerden, doch ich kam ihm für dieses Mal zuvor: „Sie haben wirklich interessante Fantasien Luhan."
Und die Klasse brach in lautes Gelächter aus. Luhan versuchte mit roten Wangen wieder Ruhe einkehren zu lassen, doch niemand schenkte seinem Rumgefuchtel wirklich Beachtung. Ich grinste Sehun an, zufrieden mit mir selbst, und Sehun begegnete meinem Blick aus geweiteten, überraschten Augen, bis sich ein zaghaftes Lächeln auch auf seine Lippen legte.
Baekhyun und Chen drehten sich beinahe gleichzeitig auf ihren Stühlen herum, um mir ihren erhobenen Daumen zu präsentieren und ich bin mir sicher, aus der Ecke wo Kris saß ein ‚Brüder Dumm und Dümmer', zu hören.
Der Moment war perfekt und Luhan hatte keine Ahnung was er tun sollte, also ignorierte er die Szene so gut wie möglich und setzte seinen Unterricht fort. Er ermahnte Sehun und mich kein einziges Mal mehr - unabhängig davon wie laut wir redeten.

Um mein Einmonatiges Dasein an der Seongon zu feiern, verbrachten wir den Abend bei Sehun – was überhaupt nichts Neues war. In den letzten Wochen, war ich unheimlich oft hier gewesen und kannte mich ziemlich gut aus. Ich wusste, welche Räume alle leer standen, in welchen ich eher nicht betrunken einschlafen sollte, weil kein Bad nebendran war und außerdem in welchen Räumen Mini-Kühlschränke standen (die übrigens alle immer auch mit Alkohol gefüllt waren) um meinen Durst zu stillen. Und an Tagen an denen wir nicht bei Sehun waren, waren wir eben bei mir.
Meine Eltern waren geschäftlich in die Staaten verreist und ihnen gefiel das Großstadtfeeling von New York genug, um ihren Aufenthalt auch noch ins Private auszuweiten.
‚Willst du sicher nicht zu uns fliegen, Jongin? Es würde dir hier so gut gefallen!', hatte meine Mutter am Telefon geschwärmt.
‚Tut mir Leid. Schule geht vor.'
‚Unser Sohn ist zu einem Musterschüler mutiert', seufzte Mom. ‚Bald fängst du auch noch an die Bücher zu lesen, die dein Vater für dich in Kisten verstaut.'
‚Ehrlich gesagt, habe ich mir überlegt ob ich nicht ‚Siddahrtha' von Hermann Hesse anfangen soll.' Natürlich war das gelogen, alles um ehrlich zu sein, angefangen damit, dass ich regelmäßig in die Schule ging, wenn meine Eltern nicht da waren. Dass ich den Buchtitel von Hesse kannte, hatte ich auch nur Minseok zu verdanken, der mich immer skeptischer in den Fluren beäugte und immer öfter nachfragte, ob ich das Buch nicht lesen wollte.
„Zur Feier des Tages" Sehun hatte sich großspurig vor den Fernseher gestellt, den Baekhyun gerade gespannt betrachtet hatte. Irgendein Drama lief gerade und Baekhyun warf mit Kissen nach Sehun, um ihn aus seiner Sichtlinie zu verscheuchen. Sehun fuhr unbeirrt fort. „Wie schon gesagt, zur Feier des Tages, wollen wir auf Jongin anstoßen!"
„Du suchst nur nach einem Grund um anzustoßen", warf ich ein und spielte beleidigte Leberwurst, indem ich mich mit verschränkten Armen zur Seite drehte. „Du magst mich nur wegen dem Alkohol."
„Ohne, bist du auch kaum zu ertragen", erwiderte Sehun und ließ aufs Stichwort den Korken knallen.
Baekhyun lachte auf Sehuns Kommentar hin und riss sich los vom Fernseher, um sich von Sehun Champagner einschenken zu lassen. Chen war als nächstes dran, dann ich. Als auch Sehuns Glas gefüllt war, wiederholte er den Gruß und wir stoßen also auf mich an. Das sanfte Klirren der Gläser schon ein so vertrautes Geräusch in meinen Ohren, und das prickeln des Alkohols auf meiner Zunge und meine Kehle hinunter so gewohnt wie der Gang zu Schule. Vielleicht sogar etwas mehr.
„Wir haben noch eine ganz spezielle Überraschung für dich Jongin", sagte Chen plötzlich nach seinem dritten Glas und kramte ein kleines Packet aus seiner hinteren Hosentasche. Er warf es vor uns auf den Glastisch und ein Schauder jagte meinen Rücken hinunter.
„Ich nehme an das ist kein Puderzucker."
„Nein. Viel süßer", erwiderte er mit einem Augenzwinkern.
„Wo hast du das her?"
„Habe ich gewonnen", er zuckte die Achseln. „So ein Russischer Geschäftsmann hat immer ein paar Tüten von dem Zeug dabei, wenn er Pokert. Wird er im Laufe des Abends schnell los. Vor allem wenn ich da bin." Sein Cheshire Lächeln, an das ich mich so sehr gewöhnt hatte, ließ mich nun hinunter schlucken. „Es ist guter Stoff, glaub mir. Ich würde es nicht zu so einem wichtigen Anlass mitbringen, wenn ich mir nicht sicher wäre." Und er machte mit dem Arm einen Halbkreis der das Zimmer und Sehun, Baekhyun und mich einschließen sollte. Ja eine sehr wichtige Versammlung.
Sehun lachte und nahm das Tütchen in die Handfläche. „Für wie oft reicht die Menge?" Er ließ es in die andere Handfläche fallen.
„Genug um uns vier einen ordentlichen Kick zu verpassen. Für Chanyeol hätte es auch gereicht."
Sehun zuckte die Achseln. „Er ist verhindert."
„Wohl am lernen", meinte Chen spöttisch. „Er nimmt das mit der Schule viel zu ernst."
Darauf lachte auch Baekhyun, doch sein Blick war auf mich geheftet. „Und? Willst du?"
Mir war klar, worauf Baekhyuns Frage sich bezog und alle möglichen Alarmglocken in meinem Kopf begannen zu schrillen. Ich war in dem letzten Monat sehr unvorsichtig und sehr rücksichtslos gewesen, doch ich hatte so viel Schlechtes über Drogen gehört, das ich ernsthafte Bedenken hatte.
„Du musst es nicht gleich durch die Nase einatmen", kam Chen zu Hilfe. „Du kannst es dir auch erst ans Zahnfleisch reiben, das zeigt auch schon seine Wirkung."
Ich zögerte noch eine Sekunde, doch als ich zusah wie Sehun den Anfang machte, das Pulver einfach rituallos mit einem gerollten Stück Papier in seiner Nase verschwinden ließ, ergriff auch mich die Neugierde. Sehun hatte einen Ausdruck purer Glückseligkeit auf seinem Gesicht und er lächelte mir aufmunternd entgegen.
„Du musst nicht", erinnerte mich Baekhyun, sein Blick warm und besorgt auf mir ruhend, doch ich schüttelte meine Bedenken schon von mir und sah dabei zu wie Chen einen neuen Streifen des Koks auf der Glastischplatte vorbereitete.
„Einfach tief Luft holen", riet er mir mit seinem Cheshire Lächeln und ich klemmte mir das Röhrchen in die Nase und tat genau das.
Es war als wäre ich gegen eine Tür gerannt. Die Droge schlug ein wie ein harter Zusammenstoß mit Holz, doch statt Kopfschmerz verbreitete sich Watte in meinem Kopf. Watte wie kein Alkohol sie jemals zustande gebracht hatte. Watte wie Wolken auf denen ich in den Himmel empor stieg. Mein Körper wog plötzlich gar nichts, ich war Federleicht. Gleichzeitig schärften sich meine Sinne, ich hörte alles etwas lauter, die glitzernden Gläser leuchteten etwas heller, meine Haut prickelte von dem seichtesten Windstoß. Ich fühlte mich wie im Delirium und lachte über nichts, oder über alles – aber ob nun nichts oder alles -was machte das schon für einen Unterschied?
Ich spürte Baekhyuns Hand auf meinem Bizeps und seine Berührung war wie Strom, der durch meinen Körper schoss. Ich hörte ihn Lachen und er zog an mir, seine Lippen direkt an meinem Ohr. „Lass uns tanzen." Und ich ließ mich in die Mitte des Wohnzimmers führen, die Musik wurde lauter gedreht und Baekhyuns Hände fanden ohne zu zögern meine Hüften. Er krallte sich an mir fest und ich seufzte vor Zufriedenheit. Wir rieben uns aneinander, ein Außenstehender hätte eventuell nicht mehr erkannt, dass wir uns tatsächlich noch zur Musik bewegten.
Wir kamen zu stehen, als ich Baekhyuns Hand über meine Vorderseite streichen spürte. Seine Bewegungen wurden immer langsamer, dann standen wir schließlich. Er lächelte mich an mit schwarzen Augen - seine Pupillen hatten seine gesamte Iris verschluckt. Ich spürte seine Hand in meinem Nacken, sah das Lächeln auf seinen Lippen und dann war er plötzlich zu nah und ich beugte mich nach vorne, um seinen Lippen entgegenzukommen. Ich wurde in Dunkelheit gebadet als ich die Augen schloss, doch meine Sinne waren übergespannt. Baekhyun schmeckte nach Alkohol und entfernt ein wenig Minze und die kurzen Haare an seinem Hinterkopf fühlten sich weich an, unter meinen Fingern. Er grinste in den Kuss hinein, dann presste er sich unmöglich enger an mich und ich verlor das Gleichgewicht. Wir stürzten zu Boden, aber spürten keinen Schmerz. Wir landeten wie in Schaumstoff. Seine Hände umrahmten mein Gesicht, lagen sanft und warm auf meinen Wangen und drehten mich in die Richtung, die er gerne hätte.
Der Kuss brach, als wir nach Sauerstoff ringen mussten und seine glasigen Augen bohrten sich in meine. Er schien etwas in ihnen zu suchen und ich war mir nicht sicher, ob er gefunden hatte, was er zu sehen erhoffte, doch er näherte sich erneut und fragte leise, ob wir Runde Zwei beginnen wollten.
Ich zog ihn näher, was Antwort meinerseits genug war, wurde jedoch aus dem Konzept gebracht, als meine Hosentasche zu vibrieren begann. Auch Baekhyun, der auf mir und zwischen meinen Beinen lag, blickte nach unten. Seine Hand fuhr über meine Seite und beförderte das nervige Teil aus meiner Hosentasche.
„Soo? Wer ist Soo? Die Freundin vom letzten Mal?" Er wackelte mit den Augenbrauen und ich prustete los. Ich nahm ihm das Handy aus der Hand und drückte ohne zu überlegen auf das grüne Telefon Zeichen, um den Anruf anzunehmen.
„Jongin." Es war ein Flüstern und kaum durch den Lärm der Musik zu verstehen. Mit wilden Arm Bewegungen versuchte ich Chen zu verstehen zu geben, die Anlage leiser zu drehen und tatsächlich herrschte kurz darauf erlösende Stille. „Du musst mir helfen."
Ich runzelte die Stirn, fühlte jedoch nichts. „Soo?"
„Bitte Jongin" Er machte eine Pause, lang genug das ich befürchtete er hatte aufgelegt, doch er setzte fort: „Kannst du herkommen?"
„Ich hab keine Zeit", antwortete ich und spürte wie Baekhyun sich auf mir zu bewegen begann. Der Blick den er mir dabei zuwarf, brachte meinen Gedankenfluss nur in noch mehr Unruhe.
„Es tut mir Leid, was in letzter Zeit vorgefallen ist, wirklich, aber bitte Jongin, ich brauche dich gerade wirk-"
„Ich brauche dich Jongin", schnurrte Baekhyun plötzlich und äffte damit den Fetzten meiner Konversation mit Kyungsoo nach, den er mitbekommen hatte.
„Du bist nicht allein." Es war keine Frage, also gab ich auch keine Antwort, für Baekhyun galt das jedoch nicht. „Nope, ganz und gar nicht allein", rief er und begann Muster mit den Fingerspitzen auf mein Shirt zu malen.
Gleichzeitig ertönte das Freizeichen. Kyungsoo hatte einfach aufgelegt ohne ein weiteres Wort zu sagen. Ich runzelte die Stirn, blinzelte durch den Nebel, der sich um mich herum ausbreitete. In meinem Kopf pulsierte noch immer der Bass und ich hatte schon vergessen, worüber ich gerade noch mit Kyungsoo gesprochen hatte.
Baekhyun war in nu wieder auf Augenhöhe mit mir, sein gesamtes Gewicht lag auf mir, doch ich spürte auch das nicht. Er lächelte und beugte sich dann wieder nach vorne, um seine Lippen auf meine zu pressen und ich erwiderte den Druck ohne zu zögern. Meine Hand fand in seinen Nacken und ich drückte ihn enger an mich, gleichzeitig schlang mein Arm sich um seine schmale Taille, ich hielt ihn fest und mit einem Ruck drehte ich mich zur Seite, so dass Baekhyun plötzlich unter mir lag. Sein Kopf kollidierte mit dem Boden, doch er lachte nur lauter, seine Finger fanden in mein Haar und zogen an den Strähnen. Auch ich lächelte, aber mein Herz fühlte sich schwer in meiner Brust an.
Als ich dieses Mal die Augen schloss und warme Lippen sich auf meine pressten, dachte ich an schwarzes Haar und Augen wie der Sternenhimmel. Ich dachte an Lachen das nur für mich reserviert war, nur für mich völlig Sorgenfrei klang. Ich dachte an lange Tage, die wir gemeinsam verbrachten und Nächte an denen wir umschlungen nebeneinander lagen. Ich küsste Baekhyun, aber sah Kyungsoo vor mir. Ich drehte den Kopf zur Seite.
Baekhyun blinzelte mich an, als wäre er aus einem Traum erwacht. Enttäuschung stand ihm ins Gesicht geschrieben und er konnte meinem Blick nicht begegnen. „W-was ist das gerade für eine Situation?", fragte er betont gelassen, doch seine Stimme stolperte über die Worte.
„Ich muss gehen", flüsterte ich. „Ich muss wirklich."
So etwas wie Erleichterung wusch über Baekhyun hinweg, doch er hatte sich schnell wieder unter Kontrolle und setzte ein schiefes Grinsen auf. „Zu deiner Freundin?"
„Das war nicht meine Freundin."
„Du bist auf Droge Jongin, du kannst nicht einfach gehen."
Ich rutschte von Baekhyun runter und versuchte mich aufzusetzen. „Soo braucht mich."
„So wirst du niemandem eine Hilfe sein." Jetzt runzelte Baekhyun die Stirn. Genervt. „Hilf ihr morgen Jongin."
Ich schüttelte den Kopf. „Ich muss. Jetzt." Ich stand auf und taumelte. Als ich fiel, landete ich erneut auf Wolken.
„Du brichst dir noch alle Knochen, ohne es zu bemerken!"
„Es geht schon..." Baekhyun packte mich am Kragen und schlug unsere Münder wieder aufeinander, so dass unsere Zähne heftig gegeneinander schlugen. Ich wollte protestieren, doch er ließ mir nicht genug Luft, um es auch nur zu versuchen.
Letztlich landeten wir wieder in der gleichen Position wie am Anfang. Baekhyun auf mir, wir beide auf dem Boden, irgendwo zwischen Flaschen voll Wodka und halbvollen Chipstüten. Ich hatte den Grund für meinen Wunsch zu Gehen wieder vergessen, er war in weite Ferne gerückt, wie der Lärm, den mein Gehirn völlig ausblendete.
Kurz bevor ich einschlief, Baekhyun in meine Seite gerollt, sein Kopf auf meiner Brust, flüsterte er mir leise ins Ohr: „Ich hab dir wahrscheinlich das Leben gerettet."
‚Nein', widersprach eine leise Stimme in meinem Inneren. ‚Du und Sehun, ihr habt es zerstört.' Die Stimme starb und ich...ich schlief ein.
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Ich hoffe ihr seid alle schön empört über Jongins Verhalten :D Ich selbst zumindest bin es sehr, ich hoffe trotzdem es hat euch gefallen und ihr seid gespannt auf alles weitere, dass noch passieren wird.
Liebe Grüße  

DiamantenstaubWo Geschichten leben. Entdecke jetzt