Diamant

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Knapp vierzehn Stunden standen zwischen mir und Kyungsoo. Vierzehn Stunden bis ich diesen blöden Club in Beijing stürmen könnte, mir ‚den Butcher' zur Brust nähme und dann mit Kyungsoo Hand in Hand auf nimmer Wiedersehen aus diesem Drecksloch verschwände.

Vierzehn Stunden noch. Meine Nerven waren zum Reißen gespannt. Die Uhr an der Wand gegenüber dem Esstisch bewegte sich zu langsam und jedes Ticken des Sekundenzeigers dröhnte in meinen Ohren.

„Jongin", flüsterte Baekhyun sanft. Ich spürte seine Hand auf meinem Oberschenkel und sah zu im herüber.

„Du bist abgedriftet", erklärte er und deutete mit dem Kinn nach unten. „Du solltest etwas essen."

Ich sah noch einmal flüchtig zu ihm zurück, nickte, vergewisserte mich darüber dass es noch immer erst halb neun war und griff anschließend wieder nach meinem Besteck. Der Fahrer ihrer Limousine hatte wohl nicht übertrieben als er gesagt hatte, dass Luhans Mutter ihr Personal aus den Betten geklingelt hatte um das Haus für sie vorzubereiten. Nachdem sie eine Weile über die Villa gestaunt hatten, wurden sie hereingebracht und dort von zwei Reihen Butler empfangen, die sie mit einem Gruß und einer Verbeugung herzlich willkommen hießen. Das alles hätte eins zu eins von einem Film, oder einem Anime, übernommen sein können und ich wusste ganz genau das Kyungsoo bei dem Anblick genau dasselbe gedacht hätte.

Unsere Sachen wurden uns abgenommen (zumindest von denjenigen, die etwas mitgebracht hatten) und anschließend ins Speisezimmer gebracht, wo die Dienstleute ein westliches Buffet aufgestellt hatten mit Käse- und Fleischplatten, Rühreiern und Spiegeleier, die noch leise zischend in ihren Pfannen brutzelten, frisch aufgebackenen Brötchen, Croissants, Pain au Chocolats, Konfitüren in Hülle und Fülle, Müsli, Milch, Joghurt, Gemüse und Obst... Ich hatte für eine Sekunde das Gefühl in einem Hotel dieser vielen Reiseagentur-Werbungen zu sein, die mit preiswerten Europareisen prahlten.

Während dieser ganzen Geschehnisse, die wir alle mit viel Staunen in uns aufnahmen, hatte Luhans Mutter keine Sekunde davon abgelassen ihrem Sohn das Ohr abzunagen. Sie trällerte vor sich hin, zog ihn am Arm wohin sie ihn haben wollte (und ich bemerkte das war immerzu weit von Minseok entfernt) und nahm kaum Atem zwischen ihren verhätschelnden Worten und den brutalen Schimpftiraden. Nein aber ehrlich, ich fand Luhans Mutter sollte einen Preis dafür bekommen Sätze ohne merkliche Abstände, Kommata oder Punkte aussprechen zu können. Wahrscheinlich konnte sie außerdem stundenlang die Luft anhalten.

Jetzt gerade sprach sie während sie an einer Tasse Kaffee nippte (irgendwie bekleckerte sie sich dabei nicht) und sah Luhan dabei zu, wie er etwas von dem Rührei aß und immer wenn sein Teller etwas Platz bekam, schob sie ihm etwas Neues darauf. Mehr Rührei, Gemüse, ein Brot. Luhan sah ihr nur müde dabei zu.

„Lange hält Luhan das nicht mehr aus", flüsterte Chen auf meiner anderen Seite. „Siehst du die Ringe unter seinen Augen? Ich denke sie saugt ihm seine Energie auf. Wie ein Staubsauger oder so."

Ich sah zu Minseok herüber, der noch kein einziges Wort gesagt hatte, seit sie das Haus von Luhans Eltern betreten hatten. Er schien sich mindestens so unwohl zu fühlen, wie Luhan selbst aber zumindest blieb er von Luhans Mutter ignoriert so lange er sich ihnen nicht näherte. Ich verstand Luhans Theater auf dem Flughafen nun und wusste es wirklich zu schätzen, dass sie für Kyungsoo und mich dennoch eingewilligt hatten hierher zu kommen. Wirklich zu schätzen.

Luhans Mutter räusperte sich plötzlich und der ganze Tisch hielt unweigerlich den Atem an als sie sich in ihrem Stuhl aufrichtete und sich zu Minseok umwandte.

Vierzehn Stunden noch und es wäre schön gewesen, wenn in dieser Zeit niemand verletzt würde aber natürlich war das zu viel verlangt gewesen.

DiamantenstaubWo Geschichten leben. Entdecke jetzt