Kapitel 35

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Lucio blickte mich mit einem leichten Lächeln, das sein Gesicht immer noch nicht verlassen hatte, an. Man konnte in seinen Augen keine Gefühle ablesen. Doch eines wurde durch seine Körperhaltung und seinen Gesichtsausdruck klar: Genau wie ich zuvor, hatte er einen Plan. Und der würde mir vermutlich überhaupt nicht gefallen.

Eine gefühlte Ewigkeit, die in der Realität aber vermutlich nur etwa zwei Minuten gewesen waren, beobachtete Lucio mich. Ich hatte den Blickkontakt mittlerweile wieder abgebrochen und meinen Blick starr auf seine Brust gerichtet, um nicht nervös hin und her zu schauen. Was hatte er vor? Wollte er mich zu Tode langweilen? Oder wartete er darauf, dass er irgendwie mutierte und sich seine Augen in Laser verwandelten?!? Meine Nervosität stieg an, bis ich es irgendwann nicht mehr aushielt.

„Bist du irgendwann fertig?!", stieß ich hervor und mit einem Blick auf die Küchenuhr fuhr ich fort, „Ich hat noch ca. 30 Minuten, um mich fertig zu machen und zur Schule zu fahren!" Bevor ich Zeit hatte zu reagieren hing ich, genau wie an Silvester über seiner Schulter. „Lass mich runter! Machst du das eigentlich immer, wenn dir gerade nichts Besseres einfällt?!", fuhr ich ihn an. Vielleicht hatte Lucio deshalb Armmuskeln... Lily! Denk nicht über Muskeln nach! Du hast keine Ahnung, was er jetzt tun wird! Vielleicht wirft er dich aus dem Fenster?! Oder ertränkt dich in der Badewanne?! Dann hätte sich zumindest das mit dem Zuspätkommen zur Schule erledigt... Gerade als ich über das Thema Ertränken nachdachte, betrat Lucio das Badezimmer. Scheiße...

„Ähm Lucio... Ich bin sicher, wir können darüber reden... Vielleicht muss ich gar nicht so dringend zur Schule... Lass dir Zeit, oder so was, ok?", stotterte ich. Wenn ich jetzt schreien würde, würde er mich dann schneller ermorden, oder wären unsere Nachbarn zuerst hier, um mich zu retten? All unsere Nachbarn waren alt und vermutlich schwerhörig... Aber, welcher normale, alte Mensch, der nicht mehr arbeiten musste, war schon um halb 8 wach? Unsere 90-jährige Nachbarin von gegenüber müsste also erst einmal aufstehen und dann hier rüber kommen, wenn sie denn etwas hörte...Lucio stellte mich wieder auf meine Füße und sofort traf mich ein eiskalter Wasserstrahl. Ich schrie auf. Das hatte er jetzt nicht wirklich getan..... Ich stand samt Kleidung klitschnass unter der Dusche, während immer noch kaltes Wasser auf mich herunter regnete. „Ich hasse dich!", schrie ich und spuckte Wasser.

Lucio lachte: „Das beruht auf Gegenseitigkeit, Evangeline!" Bevor er merkte, was ich vorhatte, zog ich ihn zu mir und das kalte Wasser durchnässte ihn ebenfalls. Wenn Blicke töten könnten, wäre ich definitiv jetzt irgendwo unter der Erde vergraben. Ich versuchte zur Seite zu flüchten, doch Lucios Arm hielt mich zurück. Nun stand ich ganz gegen die Wand gepresst, um möglichst nicht noch nasser zu werden und um wenig Platz zwischen mir und einem leicht angepisst wirkenden Lucio zu schaffen. „Und was jetzt?", fragte ich, die Arme über der Brust gekreuzt, „Du hattest deinen Spaß! Jetzt lass mich normal duschen! Ich muss heute noch weg!" Ich rieb mir mit den Händen über die Arme, um ein Zittern zu unterdrücken, denn die Wassertropfen, die mich trafen waren immer noch eiskalt. Lucio grinste dreckig. „Stört es dich etwa, wenn ich hier bin? Wir stehen doch eh zusammen unter der Dusche!"

„Das hättest du wohl gerne! Da hast du dich so sehr bemüht, mich hierher zu bekommen und ich gebe dir einen Korb. Muss tragisch sein, dass nicht jedes Mädchen dich mag!", zischte ich spöttisch. Lucio lächelte mich an. „Du hast Recht, nicht jedes Mädchen mag mich. Es gibt tatsächlich einige, die gegen mich immun sind", flüsterte er. Dann nahm Lucio einen Arm, stütze sich mit einer Hand neben meinem Kopf ab und lehnte sich näher zu mir. Mein Puls beschleunigte. Was tat er da?! Mit seiner anderen Hand schob er mir eine nasse Haarsträhne aus dem Gesicht und mein Atem stockte. „Aber du gehörst nicht dazu, Evangeline!", lachte er, stieß sich von der Wand ab und schaltete die Dusche aus.

Dieser Mistkerl! Er hatte mich testen wollen. Er hatte mit mir gespielt und ich hatte ihn gewinnen lassen. Jetzt stand ich triefend nass in der Dusche und hatte meinen Stolz verloren... Immer noch lachend drehte Lucio sich um und wollte die Dusche verlassen. Bevor ich Zeit hatte mehr darüber nachzudenken, schaltete ich die Dusche wieder an und schoss Lucio den kalten Wasserstrahl gegen den Hinterkopf. Dann schaltete ich die Dusche aus und steckte den Duschkopf zurück. Jetzt war er zumindest genauso nass, wie ich. Langsam drehte sich Lucio um. Seine sonst immer zurück gegeelten Haare hingen ihm jetzt im Gesicht. Er schüttelte sich, wie ein Pudel, um zumindest einen Teil des Wassers zu entfernen. Ich musste mir eine Hand vor den Mund halten, um nicht laut loszulachen.

Vorsichtig machte Lucio ein paar Schritte auf mich zu, bis wir wieder beide in der Dusche standen. Doch dieses Mal wich ich nicht vor ihm zurück, sondern grinste ihn an. „Du hast doch die gemeinsame Dusche vorgeschlagen! Ich dachte, ich mach mal den Anfang!", lachte ich. Er knurrte nur, machte dann auf dem Absatz kehrt und verließ das Badezimmer. Dabei hinterließ er eine Spur von Tropfen.

Ebenfalls triefend nass lief ich in mein Zimmer zurück, schnappte mir Jeans und ein T-Shirt und betrat danach wieder das Bad. Diesmal, um wirklich zu duschen. Danach trocknete ich schnell das Badezimmer und den Weg zur Haustür, aus der Lucio anscheinend verschwunden war. In Rekordgeschwindigkeit föhnte ich mir die Haare. Dann blickte ich auf die Uhr. Viertel vor 8. Um bei Celia mitzufahren hätte ich ihr Bescheid sagen, oder beim Café auftauchen müssen. Der Bus war seit zwei Minuten weg. Perfekt, Lily... Direkt am ersten Tag nach den Ferien zu spät... Was für einen genialen Eindruck ich damit wohl machte... Nachsitzen wegen Zuspätkommen direkt am ersten Tag... Abgesehen davon, dass ich nun zur Schule rennen musste...

Ich schlüpfte in meine Schuhe und griff nach meiner Tasche. Als ich die Wohnungstür hinter mir abschloss seufzte ich. Wenn Lucio mich schon die ganze Zeit nervte, hätte er wenigstens so lange bleiben können, um mich dann wirklich zur Schule zu fahren... Er hatte wenigstens ein eigenes Auto... Irgendjemand da oben hörte meinen Wunsch anscheinend, denn als ich aus dem Gebäude trat, sah ich Lucio, der, typisch in Lederjacke gekleidet an seinem Lamborghini lehnte. Er sah aus, wie der Antiheld in einem Film. Es fehlte nur noch die Pistole, doch so, wie ich ihn kannte, hatte er die sogar auch dabei.

„Was machst du noch hier?", fragte ich ihn genervt, da ich jetzt gerade nicht wirklich viel Lust auf arrogante Italiener hatte. Vermutlich würde er mir sogar, während ich mich auf dem Weg zur Schule abhetzte, hinterher fahren und mich dabei auslachen. Das wäre ja mal wieder so typisch... Vielleicht sollte ich ihn einfach nett fragen, ob er mich nicht zur Schule fahren will? Aber das hätte bei ihm vermutlich keinen Sinn...


Mafioso to goWo Geschichten leben. Entdecke jetzt