Kapitel 21

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Als die ersten fremden Passagiere sich neben sie setzten, schreckte sie hoch. Hatten sie den Flieger schon verpasst? Schlief Emile noch? Sie drehte sich zu ihm um. Mit einem Kaffeebecher in der Hand sah er aus dem riesigen Glasfenster mit Blick über die Start- und Landebahnen hinaus.

Als sie ihn an der Schulter antippte, fuhr er blitzschnell herum. ,,Gott hast du mich erschreckt!", er begann zu lachen, ,,Hier dein Kaffee." Er überreichte ihr ebenfalls einen Kaffeebecher. Sie nahm ihren Koffer und setzte sich neben Emile. Nun sahen sie gemeinsam den Flugzeugen beim Starten und Landen zu.

Eine halbe Stunde war vergangen, als endlich die Durchsage für ihren Flug erklang. Sie brachten ihre Koffer weg und wollten durch die Kontrolle direkt zu ihrem Gate. Jedoch piepte es, während Emiles Rucksack auf dem Band lag und gerade durchleuchtet wurde. Jule wurde es ein wenig Angst zumute.

Plötzlich standen auch schon drei Polizeibeamte vor ihnen, die Emile mit in einen anderen Raum nahmen. Was hatte er nur eingepackt? So schlimm konnte es doch nicht sein! Widerwillig stolperte Jule aber weiter, denn sie durfte auf keinen Fall den Flug verpassen. Wenn sie in Marseille angekommen war, würde sie ihn sofort anrufen. Sicher gab es einen Anschlussflug.

,,Tomatensaft oder Sprudelwasser?", wollte die Stewardess wissen. ,,Ehm ein Wasser und ein belegtes Brötchen mit Käse bitte." ,,Sehr gerne.", sie legte ihr das Bestellte auf den Klapptisch vor ihrem Sitz und schob ihren Wagen zur nächsten Sitzreihe.

Jule biss in ihr knuspriges Brötchen. In Gedanken war sie stets bei ihrer Großmama. Ab und zu rollte eine winzige Krokodilsträne über ihre Wange, die sie jedoch schnell weg wischte. Interessierte und zu gleich besorgte Blicke ihrer Sitznachbarin musste sie allerdings hinnehmen.

Sie schloss die Augen. Sie konnte schon alles bildlich vor ihr sehen. Ihre Mutter die sie seit 8 Monaten nicht gesehen hatte, irgendwelche Tanten und Onkel 7. und 8. Grades die sie noch nie in ihrem Leben gesehen hatte und ihre geliebte Großmutter, die sie nun zum letzten Mal sehen würde. Aufgebahrt und hübsch gemacht in einem offenen Sarg.

Die Vorstellung ließ ihr einen eiskalten Schauer über den Rücken laufen. Sofort bekam sie Gänsehaut. Andererseits musste sie ständig an Emile denken. Was würden Sie nur mit ihm machen? Was hatte er nur so schlimmes an sich, dass sie ihn direkt dort behalten mussten? Sie konnte es einfach nicht verstehen.

Sie beugte sich vorsichtig über die Beine ihrer Sitznachbarin, welche eingenickt war, um einen kurzen Blick aus dem Fenster zu werfen. Noch immer keine Lavendelfelder. Der Flug kam ihr so unvorstellbar lang vor. Jule entdeckte eine Zeitung in der Rückenlehne des Sitzes vor ihr. Sie entschied sich den Rest des Fluges in der Zeitschrift zu lesen, anstatt sich über alles mögliche den Kopf zu zerbrechen.

Sommer im Lavendel | #Wattys2016Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt