Ich wurde von meinem Wecker um Punkt sechs Uhr geweckt. Eigentlich ganz normal. Wäre es kein verdammter Samstag! Ich seufzte resigniert auf und schwang die Beine aus dem Bett. Ein empörtes Maunzen sagte mir, dass ich wieder einmal auf meinem Kater Keks gelandet war. »Tschuldigung, Katze«, gähnte ich und kraulte ihn mit meinem Fuß. Dann stieg ich über ihn und tapste müde ins Bad.
Erst der morgendliche Schwall kaltes Wasser machte mir klar, welcher Tag heute war. Der 8. August, mein Geburtstag! Übermütig grinste ich mein Spiegelbild an und überlegte, ob ich mir was Schönes anziehen sollte. Ich entschied mich aber dagegen, ich war nicht so der Typ für Röcke und Kleider. Also zog ich meine übliche Kleidung aus größtenteils schwarzen Sachen an und ging nach unten.
Ich sollte wohl erklären, dass meine Eltern vor dreizehn Jahren gestorben sind. Ich wuchs bei meinen Adoptiveltern Karmatin und Tanira auf. Sie sind zwar nicht meine leiblichen Eltern, aber ich könnte mir keine besseren Eltern vorstellen. Ich weiß, ihre Namen sind seltsam, aber sie stammen aus einem fremden Land. Ich habe sie schon etliche Male gefragt, aus welchem, doch jedes Mal lautete die Antwort »Ach, das ist so weit weg, das kennst du sowieso nicht. « Oder sowas in der Art. Und jedes Mal könnte ich an die Decke gehen. Aber so sind Erwachsene nun mal.
Als ich nach unten kam, warteten Mom und Dad schon auf mich, zusammen mit einem riesigen Frühstück und vielen hübsch eingepackten Geschenken. Sie sangen »Happy Birthday« für mich und ich umarmte sie glücklich. »Mach das hier doch zuerst auf«, meinte Dad, aufgeregt wie ein Hund mit einer Wurst vor der Nase. Er zeigte begeistert auf ein kleines rotes Päckchen. Ich nahm es und fing an, es auszupacken. Dann grinste ich ihn schelmisch an. »Wir können aber auch erst ess...« »Jetzt mach schon!« Lachend riss ich das letzte Stück Papier weg und hielt ein Stück alte Zeitung in der Hand.
Mein Gesichtsausdruck muss phänomenal gewesen sein, auf jeden Fall machte Mom ein Foto. »Hey!«, beschwerte ich mich und bewarf sie mit dem Geschenkpapier. Ihre Hand schnellte vor und fing den Papierball aus der Luft. Dann streckte sie mir die Zunge raus und machte prompt noch ein Foto.
Ich inspizierte mein Geschenk und tat beeindruckt. »Wow, die Nachrichten von letzter Woche. Danke.« Dad lächelte und verstrubbelte mir liebevoll das Haar. »Die habe ich extra für dich aufgehoben. Aber du darfst es ruhig ganz aufmachen. Weißt du, es ist nämlich noch was anderes drin.« »Wirklich?«, sagte ich und machte große Augen. Doch dann siegte die Neugier und ich wickelte die Zeitung gespannt auseinander.
Darin lag eine wunderschöne, kleine Schachtel aus dunkelgrünem Samt. Ich klappte sie auf und fand in ihrem Inneren einen zierlichen Silberring, der unglaublich zerbrechlich aussah. Ein kleiner, rot leuchtender Stein war in die Mitte des Rings eingelassen.
»Der Ring hat deiner Mutter gehört, Kathessa«, sagte Mom. Meiner Mutter? Liebevoll strich ich mit dem Finger über den kleinen Stein. Eine Träne rollte über meine Wange. Dad strich sie weg und zog mich auf seinen Schoß, als wäre ich noch immer fünf Jahre alt. »Kathessa, deine Eltern wären bestimmt sehr stolz auf dich, wenn sie dich jetzt sehen könnten«, sagte er und drückte mich. Noch eine Träne rollte über meine Wange. »Aber sie können mich nicht sehen, weil sie nicht hier sind. Sie sind tot. Sie werden mich nie sehen, nie stolz auf mich sein können. Weder jetzt, noch irgendwann. Wieso mussten sie denn so früh sterben und mich allein lassen?«
Jetzt ließ ich den Tränen freien Lauf und schluchzte an Dad's Schulter gelehnt, bis ich keine Tränen mehr übrig hatte. Danach war sein Hemd leider durchnässt. »Tut mir leid«, schniefte ich leise und deutete mit dem Finger auf den nassen Fleck. »Ist schon gut. Willst du den Ring mal anprobieren?« Ich nickte und nahm die kleine Schachtel. Dann streifte ich mir den zierlichen Silberring über den Finger. Er saß wie angegossen. Ich bewunderte den rot leuchtenden Stein und sagte zu Dad: »Das ist ein Rubin, oder?« Er nickte anerkennend. »Wenn ich nicht aufpasse, wirst du bald schlauer als ich.« »Weißt du was, für mich bleibst du immer der Schlauste von allen«, meinte ich und gab ihm einen Kuss auf die Wange. Er lächelte mich liebevoll an.
Später ging ich in die Küche, um Keks zu füttern. Kaum hatte ich seinen Napf gefüllt, raste er auch schon um die Ecke und stürzte sich kämpferisch auf seine Beute. Das Tier hatte echt eine Macke. Er ging wohl immer noch davon aus, dass die Thunfischhäppchen weglaufen könnten. Ich rollte mit den Augen und ging hoch in mein Zimmer.
Dort setzte ich mich an den Schreibtisch und nahm einen Bleistift in die Hand. Ich war künstlerisch sehr begabt und Mom sagte immer, das läge mir im Blut. Mein Vater konnte auch sehr gut zeichnen, und ich war froh, etwas mit ihm gemein zu haben. Gerade als ich den Stift ansetzte, hörte ich ein lautes Rumpeln und gedämpfte Flüche. Eine fremde, gebieterisch klingende Stimme fragte etwas in einer melodischen Sprache. Eine andere Stimme antwortete in derselben Sprache. Es dauerte einen Moment, bis ich begriff, dass Mom geantwortet hatte. Sie klang eiskalt, noch schlimmer als wenn sie mit mir schimpfte. Augenblicklich war ich froh, dass sie nicht mit mir sprach. Plötzlich verstummten die Stimmen und jemand kam die Treppe hoch. Dann klopfte es an meiner Tür und Mom rief: »Kathessa? Kommst du bitte mal runter. Hier ist jemand, der dich sprechen möchte.« Überrascht stand ich auf und ging zur Tür. Mom's sonst so warme Augen glitzerten gefährlich. Innerlich duckte ich mich, doch sie legte mir einen Arm um die Schultern und führte mich nach unten.
Im Wohnzimmer standen drei fremde Männer. Sie trugen alle drei tiefblaue Samtumhänge, die von einer silbernen Brosche gehalten wurden. Erschrocken fiel mir auf, dass jeder von ihnen mindestens eine Waffe trug. Der Mittlere trat einen Schritt vor und verneigte sich leicht. »Miss Kathessa, es ist mir eine große Ehre und wenn ich sagen darf, auch eine große Freude, sie kennenzulernen«, sagte er und seine dunkle Stimme nahm mir mit einem Mal jede Angst. »Äh...Ja. Hallo«, stammelte ich und fühlte mich plötzlich ganz müde und schwer. Ich hatte Mühe, hier nicht einfach einzuschlafen. Neben mir meinte ich, Mom seufzen zu hören, aber ich war mir nicht sicher. Ich kämpfte immer noch mit dieser schweren Müdigkeit. »JAS! Lass es! Hör sofort auf damit.« Das war jetzt eindeutig Mom. Gerade als ich dachte ich würde tatsächlich einschlafen, ließ es nach.
Mit einem Schlag war ich wieder wach und starrte erschrocken auf den Mann vor mir. Was war hier los? Hatte er das gemacht? Aber das konnte ja nicht sein. Bitte wie hätte er denn dafür sorgen können, dass ich auf der Stelle einschlief? Vielleicht hatte ich mir das ja nur eingebildet. »Verzeihung. Ich wollte nur ganz sicher sein, dass sie auch tatsächlich zuhört«, lächelte er und sah dabei ziemlich seltsam aus. Ich war mir noch nicht sicher, ob sein Lächeln eher attraktiv oder gemein aussah. Mom entschied sich eindeutig für die zweite Variante und sah so aus als ob sie ihm gleich an die Gurgel sprang. »Sie hört dir zu. Vorausgesetzt, du lässt sie.«
Genervt ging ich dazwischen und murrte: »Könnt ihr mal aufhören, über mich in der dritten Person zu reden? Ich steh direkt neben euch.« Dafür bekam ich einen Blick, der wohl zerknirscht aussehen sollte. Allerdings verzerrte ihre Wut diesen in eine Fratze. Ich unterdrückte ein Grinsen und zog eine Augenbraue hoch. Sie seufzte auf und warf dem Mann noch einen letzten warnenden Blick zu. Dieser rollte mit den Augen und wandte sich an mich. »Kathessa. Ich heiße Jascoban Moneglis und bin der erste Offizier der königlichen Garde von Parlos. Tanira ist meine Schwester und das macht mich wohl zu deinem Onkel.«
Er lächelte mich freundlich an und dafür bewunderte ich ihn, denn ich hatte den leisen Verdacht, dass ich echt blöd guckte. Aber ich hatte halt noch nie Familienbesuch bekommen und schon gar nicht von einer königlichen Garde von irgendwo. Ich versuchte, mich zusammenzureißen.
»Du bist mein Onkel? Okay, wenn du das sagst. Und wieso kenne ich dich nicht? Ich meine, ich sehe dich heute zum ersten Mal. Obwohl ich auch selber drauf hätte kommen können. Du siehst Mom sehr ähnlich.« Er lachte kurz und meinte: »Das sagt man mir häufig. Übrigens, nenn mich bitte Jas. Das machen alle meine Freunde.« Ich nickte und so langsam wurde er immer sympathischer.
»Warum bist du hier?«, fragte ich und kam mir direkt unhöflich vor. Er sah nervös zu Mom und meinte schließlich: »Das klären wir später. Das sind übrigens Justaro und Sontaru Mergon. Sie sind Brüder.« Die beiden nickten uns freundlich zu und langsam gewöhnte ich mich an ihren ungewöhnlichen Aufzug. Bevor ich nachhaken konnte, warum sie tatsächlich da waren, warf Mom ein, dass wir eine Tasse Tee trinken könnten, bis Dad wieder da war.
DU LIEST GERADE
Das Reich der vier Mächte
FantasyParlos, das Reich der vier Mächte, schwebt in immer größerer Gefahr, und Kathessa, wie sollte es anders sein, ist mit seinem Schicksal eng verwoben. Denn Parlos war einmal das Reich der fünf Mächte. Die fünfte Macht hat sich abgewendet und wurde ve...