10.Kapitel - Eine erschreckende Aufmunterung

27 5 0
                                    


»Was ist denn hier für eine Stimmung?«, fragte Justaru, der seine Wache gerade beendet hatte und sich auf Sontarus freigewordenen Platz setzte. »Wisst ihr was?« Er lächelte verschmitzt. »Ich glaube, ihr braucht eine Ablenkung.« Er griff nach seiner Tasche und holte ein zusammengeschlagenes Tuch hervor. Dann warf er es mir in den Schoß. Es war schwerer als es aussah.

Verwundert sah ich zu Justaro und faltete es vorsichtig auseinander. Darin befanden sich... ehrlich gesagt, ich hatte keine Ahnung, was es war. Die Gegenstände in dem Tuch sahen aus wie Kartoffeln, nur hatten sie nicht dieselbe Farbe. Kartoffeln waren ja bekanntlich gelbbraun, aber diese Dinger leuchteten in allen möglichen Farben, von pink über blau bis zu quietschgrün.

Entgeistert blickte ich auf. »Was zur Hölle ist das?« Justaro lachte auf. »Das sind Tesmarische Wurzeln. Eine Spezialität aus dem Osten. Ihre Blüten leuchten meist in derselben Farbe wie die Wurzeln. Nachts kann man das besonders gut sehen. Wenn man sie gut pflegt, hören sie nicht auf zu blühen. Außerdem sind die Wurzeln essbar.« »Echt?«, fragte ich, blöd wie ich war. »Ja echt. Iss eine.«

Ich zuckte die Achseln und griff nach der Pinken. Dann gab ich ihm den Beutel zurück. »Wollt ihr anderen auch eine?«, fragte er und sie nickten, wenn auch leicht skeptisch. Er warf ihnen jeweils eine zu und da saßen wir mit unseren leuchtenden Kartoffeln. Keiner traute sich, anzufangen.

Schließlich gab Alessandro sich einen Ruck und biss vorsichtig in seine knallig gelbe Wurzel. »Und?«, fragte Fine ungeduldig. Er kaute ein bisschen darauf herum und schluckte sie nach einer gefühlten Ewigkeit endlich runter. Dann riss er plötzlich die Augen auf und kippte hinten über. Lou schrie auf und beugte sich über ihn. Voller Angst erstarrte ich. Justaro hatte doch gesagt, die Wurzeln wären essbar. Wieso war denn dann sowas passiert?

Doch auf einmal war alles vorbei. Alessandro setzte sich auf, als wäre nichts gewesen und alle starrten ihn verwundert und leicht geschockt an. »Ich hab euch nur verarscht«, grinste er. »Das Zeug schmeckt voll gut.« Er machte Anstalten, nochmal von seiner Wurzel abzubeißen, doch bevor er dazu kam, traf ihn meine Ohrfeige. Erstaunt sah er mich an.

»Sag mal, geht's noch?!«, schrie ich. »Kannst du dir eigentlich vorstellen, was für einen Schrecken du uns eingejagt hast? Wehe dir, du machst das nochmal! Stell dir vor, das wäre nicht gespielt gewesen! Das war überhaupt nicht lustig! Du...« Ich unterbrach mich, bevor mir noch Worte entwichen, die mir später leidtaten. Auch wenn ich das bezweifelte.

Meine Hand kribbelte. Entweder von dem Schlag gerade oder weil ich kurz davor war, ihn nochmal zu schlagen. Er sah mich aus seinen wundervollen Schokoladenaugen reuevoll an. Toll, jetzt konnte ich ihm nicht mehr böse sein. »Du hast Recht. Ich werd es nicht nochmal machen, versprochen.« Ich schnaubte. »Allerdings wirst du das nicht noch mal machen.«

Bevor alles wieder gut war und er grinste, traf ihn allerdings die zweite Ohrfeige. Diesmal von Lou. Die Standpauke folgte und enthielt etwa dasselbe wie meine, nur mit ein paar Ergänzungen wie »Warte, bis Dad das hört«, »Was sollte ich denn ohne dich machen« und »Du hast mindestens drei Wochen Süßigkeiten-Verbot«. Anschließend heulte sie fast vor Erleichterung und Wut und er nahm sie beruhigend in den Arm.

Ich lächelte über sie und wandte mich dann meiner eigenen Tesmarischen Wurzel zu. Sie war zwar zäh, schmeckte aber süß und irgendwie buttrig. »Die ist wirklich lecker«, sagte ich und Alessandro nickte. »Hab ich doch gesagt. Wie Karamell.« Verdutzt blickte ich ihn an. »Karamell?« Er nickte. »Meine schmeckt aber nach Butter«, entgegnete ich. Wir tauschten unsere Wurzeln. Seine schmeckte tatsächlich nach Karamell. »Lou, wonach schmeckt deine?«, fragte ich und sie probierte ihre Wurzel. Dann verdrehte sie genießerisch die Augen. »Erdbeeren mit Schlagsahne« Alessandro und ich griffen gleichzeitig danach, aber ich war schneller und schnappte mir die Erdbeere. Äh, die Wurzel. Himmlisch!

Ich wollte gerade nach Fines Geschmack fragen, als ich ihren Gesichtsausdruck sah. Sie hatte die Augen angewidert zusammengekniffen und zog die Nase kraus. »Pfefferminz«, erklärte sie. »Ich hasse, hasse, hasse Pfefferminz.« Sie bot mir die Wurzel an, aber ich streckte abwehrend die Hände vor mich. Minze konnte sie gerne behalten. »Gib sie mir«, sagte Lou und hielt die Hände auf. Fine lehnte sich vor, um sie Lou zu geben, verlor aber ihr Gleichgewicht und konnte sich gerade noch rechtzeitig abstützen.

Leider (oder glücklicherweise) fiel dabei die Wurzel in den Matsch. »Oh nein. Tut mir leid, das wollte ich nicht«, sagte sie betreten. »Macht nichts«, beruhigte ich sie. »Das war nur Minze.« Sie wollte sich wieder hinsetzen, doch ihr linker Arm versagte den Dienst und sie fiel noch weiter nach vorne. Ängstlich sah sie uns an. »Leute, könnt ihr mir helfen?« Alessandro packte sie an den Armen und setzte sie wieder auf. »Glaub mir, Fine, wenn das nur gespielt ist, dann hau ich dich. Auch wenn du nicht mein Bruder bist«, prophezeite Lou, aber Alessandro schüttelte den Kopf. »Sie simuliert nicht. Sie hat wirklich kaum noch Kraft«, widersprach er. »Wir sollten Jas holen.«

Ich sprang auf und lief in den Wald. »Jas!«, rief ich und sah mich suchend um. Wo steckte er bloß? So weit entfernt konnte er doch gar nicht sein.

Plötzlich hörte ich ein Geräusch. Es klang wie ein erschöpftes Keuchen. Vorsichtig lief ich in die Richtung, aus der es kam. Zwischen den Bäumen regte sich etwas. Ich wagte es nicht, noch einmal nach Jas zu rufen, aus Angst, mich könnte noch jemand, oder etwas, anderes mich hören. Ich sah weiterhin zu der Stelle, an der ich eine dunkle Gestalt zu sehen geglaubt hatte.

Auf einmal packte eine Hand meine Schulter. Ich schrie auf, doch eine zweite Hand legte sich über meinen Mund. Kurz bevor ich nach hinten treten oder mein neues Schwert hervorholen konnte (Keine Ahnung, was ich damit gemacht hätte), hörte ich allerdings eine vertraute Stimme sagen: »Reg dich ab, du schreist noch den ganzen Wald zusammen.«

Ich entspannte mich erleichtert und Jas ließ mich los. »Was machst du hier?«, fragte er vorwurfsvoll. »Du solltest besser bei den anderen bleiben.« »Ich weiß, schon klar. Aber ich sollte dich holen. Fine geht's schlecht. Sie hat gar keine Kraft mehr und...« Er ließ mich nicht ausreden, sondern zog mich schnell wieder zurück zu den anderen.

Das Reich der vier MächteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt