Das mit der Würde verstand ich nicht, aber ich hatte keine Einwände, alles noch heraus zu zögern. Irgendwie hatte ich ganz leicht Bammel vor dieser Segnung. Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, was sie mit mir vorhatte. Ich hoffte nur, dass es keine Schmerzen verursachte.
»Wo sind wir hier?«, fragte ich, um mich abzulenken. Ich hatte es echt nicht nötig, mir einen Kopf zu machen, nur weil ich zu viel Fantasie hatte.
»Das ist sowas wie mein Garten. Ich verbringe gerne Zeit hier. Allein, ohne Andere. Nur wenige waren bereits hier. Jetzt bist du eine von ihnen. So wie dein Vater. Und dein Onkel.« Sie zwinkerte mir zu und ich musste grinsen. »Was war denn mit meinem Onkel?«, hakte ich nach und schämte mich nicht wirklich für meine Neugier.
»Das ist eine lange Geschichte.« Diese Antwort hatte ich erwartet, aber ich wollte sie unbedingt hören. Immerhin brachte mich das auf andere Gedanken.
»Nun, alles begann mit deinem Vater.« Erstaunt hob ich die Augenbrauen und Talaria lachte. »Schließlich musste auch er eine Ausbildung machen. Ich habe dir ja von dieser besonderen Ausbildung erzählt, oder?«, fuhr sie fort. »Nun, Semyar folgte dem Element Erde, folglich war ich für seine Ausbildung zum Magier verantwortlich. Die begann er mit 15 Jahren. Und mit ihm kam Jas hierhin. Sie waren beste Freunde, wie du vielleicht weißt.«
Erstaunt schüttelte ich den Kopf. Das hatte Jas nie erwähnt.
»Na also, jetzt weißt du es. Die beiden standen sich so nah wie Brüder. Es war fast unmöglich sie zu trennen. Also kam Jas mit hierher, um Semyar beizustehen und nebenbei das Kampftraining der Elfen zu absolvieren. Er wurde zur Wache ausgebildet, und das als erster Mensch.« Ich hörte den Stolz in ihrer Stimme und musste lächeln. »Und was hat das mit dir zu tun?«, fragte ich.
»Nun, mit der Zeit habe ich mich in Jas verliebt«, gestand sie und ihr Gesicht bekam einen Hauch Röte. Ich lächelte. »Du musst wissen, Jas war ein Ausnahmeschüler bei Lioran. Er war der Beste«, sagte Talaria bestimmt und ich lachte über den unüberhörbaren Stolz in ihrer Stimme. Dann fiel mir was ein. »Moment mal. Lioran, der Name kommt mir bekannt vor«, warf ich ein und runzelte nachdenklich die Stirn. Die Herrscherin nickte. »Lioran hat euch empfangen.«
Da erinnerte ich mich wieder. Er war der kantige Elf gewesen, den Jas vor dem Baum begrüßt hat.
»Soll ich weiter erzählen?«, schmunzelte Talaria und ich nickte verlegen. Dann würde ich einfach mal aufhören, sie zu unterbrechen. Mund abgeschlossen, Schlüssel weggeworfen, ich war bereit.
»Jas war damals 18 Jahre alt gewesen, also schon alt genug für die Ausbildung. Allerdings war er mit Abstand der jüngste und noch dazu ein Mensch, was auf wenig Verständnis traf. Ich erlaubte ihm trotzdem, es zu versuchen. Er hat mich vom ersten Moment an fasziniert. Doch ich hab es damals lange Zeit nicht verstanden. Ich hatte vorher nie jemanden auf diese Art geliebt, ich wusste nicht, was ich mit meinen Gefühlen anstellen sollte. Und du glaubst nicht, wer mir geholfen hat.« Ich sah sie gespannt an und sie lachte, versunken in Erinnerungen.
»Tatsächlich war es dein Vater, der mir gesagt hat, ich solle verdammt noch mal auf meine Gefühle hören und mit Jas reden. Er war sehr direkt, was Worte anging. Zu dem Zeitpunkt hatte Jas bereits seine Ausbildung abgeschlossen und war eine Wache meines Palastes. Ich machte mir also Gedanken, wann und wie ich mit ihm reden sollte. Schließlich hatte ich nicht vor, über das Wetter zu sprechen.« Ich lachte leise bei dem Vergleich.
»Eine Frage hab ich allerdings noch«, sagte ich und wartete höflich ab, ob ich sie stellen durfte. Die Frühlingsbringerin nickte mir zu. »Woher wusste mein Vater, dass du in Jas verliebt warst?«
Talaria lachte hell auf. »Ich schätze, es war offensichtlich. Ich hab es ihm nie gesagt, er wusste es einfach. Weißt du, irgendwie hat er es gespürt.« Ich lachte mit ihr und musste an meinen Vater denken. Anscheinend war er gar nicht so unsensibel wie ich ihn mir vorgestellt hatte. Nicht, dass ich immer gedacht hatte, mein Vater wäre ein unsensibler Klotz gewesen, aber irgendwie hatte ich die Gefühle immer auf meine Mutter abgeschoben und Semyar war für alles andere dagewesen.
»Nun, ich will dich nicht mit Details langweilen, auf jeden Fall habe ich Jas meine Gefühle gestanden. Genau da.« Talaria zeigte auf eine kleine Terrasse zu unserer rechten, leicht versteckt zwischen Blättern und Ranken. In der Mitte stand eine eiserne Bank, die unglaublich alt, aber auch wunderschön und romantisch aussah. Ich konnte das Liebespaar förmlich vor mir sehen, wie sie sich an den Händen hielten und sich in die Augen sahen, die Welt um sie herum vergaßen, nur diesen Augenblick wahrnahmen mit demjenigen, den sie liebten. Talaria entfuhr ein kleiner Seufzer und als ich sie ansah, meinte ich eine kleine Träne in ihrem Augenwinkel schimmern zu sehen. Aus Respekt vor ihrer Privatsphäre sah ich weg, wieder zu der Bank.
Nach einigen Minuten hatte die Herrscherin sich wieder gefasst und winkte mich weiter. Sie machte keine Anstalten, weiter zu erzählen und ich drängte sie nicht dazu. Stattdessen konzentrierte ich mich auf unsere Umgebung. Der Garten, so wie Talaria ihn genannt hatte, glich eher einem riesigen Park, hier und da waren kleine Terrassen verteilt, solche wie die, die ich eben schon gesehen hatte.
Was allerdings meine Aufmerksamkeit komplett auf sich zog, war ein Baum. Nicht irgendein Baum, der Baum hatte ein Gesicht! Mir klappte der Mund auf und ich blieb abrupt stehen. Die Herrscherin sah mich erstaunt an und folgte dann meinem Blick. »Was ist das?«, fragte ich entgeistert und zeigte auf den seltsamen Baum. Sie lachte. »Das ist ein Baum, das siehst du doch.« Ich sah sie schräg an. Das war doch jetzt bitte nicht ihr Ernst. Der verdammte Baum hatte ein Gesicht!
»Das ist ein Baum mit Gesicht«, wandte ich ein. Sie nickte belustigt. »Stimmt, gut erkannt. Dieser Baum ist alt, fast so alt wie Parlos. Er ist sehr weise. Ein guter Gesprächspartner, falls dir mal langweilig ist. Seine Geschichten sind unübertroffen.« »Dass er ein Gesicht hat, soll ich mal ganz konkret außer Acht lassen?«, fragte ich skeptisch. Talaria schmunzelte. »In deiner Welt gibt es tatsächlich kaum Magie, was?« Ich nickte zustimmend. »Genau genommen gibt es gar keine Magie. Ich kann so viele Sachen, die hier passieren, gar nicht glauben. Es kommt mir alles so surreal vor.«
Die Herrscherin sah mich interessiert an. »Ich glaube, ich muss dir bald nochmal zeigen, was Magie wirklich ist«, schmunzelte sie. »Aber erstmal haben wir noch etwas zu erledigen.«
Sie winkte mich wieder weiter und ich spürte ein Kribbeln im Bauch. Das war vermutlich die Aufregung. Allerdings breitete sich die Aufregung langsam in meinem ganzen Körper aus. Selbst meine Zehen fingen an zu kribbeln, was echt kitzelte. Verwirrt sah ich rüber zu Talaria und rieb über mein rechtes Ohr. Dieses Gefühl von tausend kleinen Ameisen auf meiner Haut war echt nerv tötend. Dann kam mir ein Gedanke.
»Wir sind schon fast da«, sagte ich aus einem Impuls heraus. Das Kribbeln wurde immer stärker, je weiter wir liefen. »Ja, du hast Recht. Woher weißt du das?«, antwortete Talaria. Ich zuckte mit den Schultern und kratzte mich an der Nase. »Mein ganzer Körper kribbelt wie verrückt«, erklärte ich und rieb über meine Arme, um das unangenehme Gefühl zu vertreiben.
Tatsächlich liefen wir nach einigen Metern über eine kleine Holzbrücke und befanden uns dann auf einem kreisrunden Podest aus Erde. Irgendwie passend, wenn man bedachte, dass ebenjene Herrscherin mich gleich segnen würde. Sie bedeutete mir, mich in die Mitte zu stellen und drehte sich dann so herum, dass wir zueinander gewandt standen. Sie war ein kleines Stück größer als ich, doch ich konnte ihr noch problemlos in die Augen blicken. Sie wirkten noch heller als bisher.
Die heitere Stimmung war verschwunden. Es herrschte eine ernste, fast schon epische Stille und die Worte, die aus Talarias Mund kamen, machten die Situation auch nicht normaler.
»Kathessa Majoris, Letzte des königlichen Geschlechts, Erbin der Herrschaft über die Menschheit von Parlos, bist du dir bewusst, weshalb du dich hier befindest?« Ich nickte und fügte sicherheitshalber noch ein leises: »Ja.« hinzu. »Und bist du bereit, den Segen des Frühlings anzunehmen und den Weg deiner Bestimmung zu gehen?« Ich überlegte. War ich tatsächlich bereit, mein Schicksal zu erfüllen und die Herrschaft über Parlos an mich zu nehmen? Andererseits, hatte ich denn eine Wahl? Ich konnte mich meinem Schicksal nicht entziehen. Also antwortete ich. »Ja, das bin ich.« Und ich hoffte sehr, dass ich die Wahrheit sagte.
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Das Reich der vier Mächte
FantasyParlos, das Reich der vier Mächte, schwebt in immer größerer Gefahr, und Kathessa, wie sollte es anders sein, ist mit seinem Schicksal eng verwoben. Denn Parlos war einmal das Reich der fünf Mächte. Die fünfte Macht hat sich abgewendet und wurde ve...