11.Kapitel - Schuld

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Als wir zurück kamen, hatte sich Fines Zustand um einiges verschlechtert. Sie konnte kaum noch ihren Kopf halten und lehnte an Alessandro. Ihr Gesicht war leichenblass.

Jas kniete sich neben sie und redete leise mit ihr, doch sie antwortete ihm nicht. Dann stand er auf und sah uns an.

»Wir reiten sofort weiter, auch bei dem Gewitter. Das Risiko ist zu hoch. Kathessa, du musst Serafina mit zu Kirion nehmen, sie wird sich auf ihrem Pferd nicht halten können.«

Jas nahm sie vorsichtig in die Arme und Kirion drückte sich flach auf den Boden. Ich setzte mich auf seinen Rücken und schlang beide Arme um Fines zierlichen Körper. Die anderen stiegen auf ihre Pferde und Lou griff nach den Zügeln von Fines Stute.

Jas sah sich kurz um und trieb sein Pferd dann in eine Richtung durch den dichten Wald. Wir preschten hinter ihm her, sodass ich Mühe hatte Fine oben zu halten.

Nach einiger Zeit hatten wir den Wald wieder hinter uns gelassen und bekamen den Regen wieder voll ins Gesicht. Vielleicht lag es an unserer erhöhten Geschwindigkeit, aber es kam mir so vor, als wäre aus dem Wind ein Sturm geworden.

Irgendwann, mir schien es wie Ewigkeit, lenkte Jas sein Pferd direkt neben Kirion.

»KIRION!«, brüllte er durch den Wind. Trotzdem verstand ich es kaum. Genauso wenig wie das, was folgte. Für mich hörte es sich etwa so an: »...Osten...Retter...Pelz...« Oder so ähnlich.

Sofort wurde Kirion schneller und hängte die anderen mit Leichtigkeit ab. Anscheinend hatte er Jas verstanden. Oder er tat einfach so, damit ich dachte er wäre voll toll. Beunruhigender Gedanke.

»Keine Sorge, Kathessa. Wir erreichen Talaria schon rechtzeitig, um Serafina zu helfen.« Erstaunlicherweise redete er ganz normal und ich verstand ihn trotzdem. Das musste an seiner besonderen Art zu Sprechen liegen.

Inzwischen machte ich mir mit jeder Sekunde mehr Sorgen um Fine. Sie hing schlaff und vollkommen bewegungslos in meinen Armen. Um sie nicht fallen zu lassen, musste ich mich nur mit den Beinen an Kirions Körper klammern. Das wurde auf Dauer verdammt anstrengend. Immer mehr hoffte ich, endlich bei Talaria anzukommen, auch wenn ich ein bisschen Angst vor ihr hatte. Immerhin war sie ziemlich mächtig, ähnlich wie eine Königin, und so wie ich mich kannte, würde ich garantiert etwas Dummes machen.

Endlich erreichten wir einen Wald, der uns etwas Schutz vor dem prasselnden Regen bot. Kirion verlangsamte sein Tempo leicht und schlängelte sich geschickt durch die eng beieinanderstehenden Bäume. Dann steuerte auf einen großen, moosbewachsenen Felsen zu. Da war der Beweis. Der Löwe hatte sie nicht mehr alle.

Er blieb stehen und legte sich hin. Was lief denn jetzt? Kleine Pause, wir lassen Fine eben sterben? Wütend beugte ich mich vor und sah ihn an.

»Hatten wir es nicht eilig?«, schnauzte ich ihn an. Verwirrt sah er mich an. »Jas hat doch gesagt, wir sollten hier auf ihn warten.« Ups. Na dann hatte ich Jas wohl falsch verstanden.

»Äh, ach so. Tschuldigung.« »Ist nicht so wild. Im Fels ist eine Höhle, da drinnen können wir Schutz vor dem Wetter suchen.« Verlegen nickte ich und überlegte mir einen Plan, wie ich von Kirion rutschen könnte, ohne dass Fine runterfiel. Schließlich kletterte ich nach hinten und legte Fine auf den Rücken. Ich landete breitbeinig und mit schmerzenden Waden, wagte aber nicht, zu jammern. Wir hatten wirklich andere Probleme. Dann lief ich um Kirion herum und zog Fine seitlich von seinem Rücken. Sie wog fast nichts, obwohl mich alles andere bei ihrer zierlichen Statur auch gewundert hätte.

Kirion bedeutete mir, ihm zu folgen und lief in den Felsen hinein. Ich atmete tief ein. Dunkelheit war so gar nichts meins und der Fels sah nicht gerade gut beleuchtet aus. Aber ich konnte wohl schlecht draußen stehen bleiben und dort auf die anderen warten. Also stolperte ich ins Innere des Felsen und sah noch weniger als erwartet. Mist.

»Kirion, ich seh nichts«, flüsterte ich, um nicht irgendwelche in der Dunkelheit schlummernden Monster zu wecken. »Komm noch zwei Schritte nach vorne. Dann kannst du Serafina ablegen, sodass sie an mich gelehnt ist.« Ich gehorchte und spürte tatsächlich Kirions weiches Fell, als ich mich hinhockte, um Fine sanft auf die Erde zu legen. Dann setzte ich mich neben Kirion und legte Fines Kopf auf meinen Schoß. So verharrten wir eine schier endlose Zeit voller Sorgen, warten und Sorgen.

Draußen wütete der Sturm und der Regen peitschte gegen den Felsen. Ich fühlte mich elend. Wieso war ich überhaupt mitgekommen? Ich hätte mich einfach weigern sollen, als Jas mich mit nach Parlos genommen hatte. Ich wollte nach Hause, meine Eltern sehen und meine kleine Katze knuddeln. Blöd nur, dass die gerade neben mir saß und meine neue Freundin beschützte, weil diese ohnmächtig war. Und keiner wusste, wieso. Was machte ich hier überhaupt?

Ein lautes Schimpfen unterbrach meine Grübeleien. Als ich näher hinhörte, verstand ich auch Worte.

»Wenn der feine Herr sich mal bequemt hätte, das zu machen, was er sollte, dann wären wir jetzt schon längst bei den anderen!«

»Spinnst du? Es ist doch nicht meine Schuld, dass wir uns verirrt haben.«

»Du bist aber der Ältere von uns, folglich bist du verantwortlich.«

»Das ist der größte Schwachsinn, den ich je gehört hab. Immerhin bist du auch nicht mehr drei. Also hör auf zu heulen!«

»Du kannst mich mal!«

Genervt und leicht besorgt, dass ihnen gleich noch was Schlimmeres rausrutschte, ging ich dazwischen. »Klappe jetzt, alle beide!«, rief ich. Erstaunt sahen Alessandro und Lou mich an. »Kathessa, wir haben euch schon gesucht!«, rief Lou freudig. »Wir dachten schon, wir hätten die falsche Richtung erwischt.«

Ich nickte. »Hab ich gehört«, erwiderte ich trocken und ging wieder in den Fels. Ich hatte Fines Kopf nämlich notdürftig auf meinen Mantel gelegt und langsam wurde mir kalt.

Ich tastete mich nach vorn, bis ich ihre Haare spürte. Von der kurzen Zeit draußen hatten meine Augen sich noch nicht wieder an das Dunkle gewöhnt. Nach ein paar Minuten kamen die beiden Streithähne hereinspaziert und hatten komischerweise keine Probleme mit der Dunkelheit in dem Stein. Menno!

Allerdings hatte mein Eingriff nur vorübergehend gewirkt, denn sie stritten schon wieder. Und als ich hörte, was ihr derzeitiges Thema war, wurde ich sauer. So richtig sauer, eigentlich eher stinkwütend. Sie stritten nämlich darüber, wer an dem ganzen Mist Schuld war.

»Du musstest ja unbedingt erwähnen, dass wir auch in Gefahr seien. War ja klar«, maulte Lou.

»Du bist doch diejenige, die Kathessa auf keinen Fall allein lassen wollte.«

»Pah, stimmt gar nicht. Das sagst du doch nur, um von dir abzulenken. Du warst derjenige, der unbedingt eine Möglichkeit gesucht hat, mitzukommen.«

»Quatsch, ich wollte nur nicht wegen so einer Irren, die nur wegen Kathessa hinter uns her ist, sterben.«

Ich sah sie wütend an. »Ihr wisst, dass ich neben euch sitze und gute Ohren hab, oder?«

Daraufhin schwiegen sie. Aber wer wusste, wie lange das halten würde.

Das Reich der vier MächteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt