2.Kapitel - Aufbruch

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Als wir am Tisch saßen, wandte ich mich an Jas und fragte: »Also, warum bist du jetzt hier?« Doch bevor er überhaupt den Mund aufmachen konnte, herrschte Mom mich an. »Jas sagte doch bereits, dass wir das später klären.« Ich rollte genervt mit den Augen und maulte: »Wann bitte soll das sein?« »Wenn dein Vater wieder da ist.«

Da platze einer der Brüder, Justaro, dazwischen. »Ich hörte, ihr habt heute Geburtstag, Miss Moneglis. Herzlichen Glückwunsch.« Verblüfft starrte ich ihn an. »Ja...Ääh, vielen Dank. Woher wissen sie das?« »Sir Jascoban hatte es erwähnt.« Woher wusste er das ? »Oh ja! Wie konnte ich das jetzt vergessen. Das ist für dich«, rief Jas und zog ein Schwert aus seinem Mantel. Ernsthaft, ein Schwert! Aber anstatt mich zu fragen, wieso er sowas in der Tasche mit sich rumtrug, bewunderte ich die glänzende Waffe.

Der Griff bestand aus poliertem, dunklem Holz und die Klinge war schlank und mit goldenen Zeichen verziert. Es lag perfekt in meiner Hand und war federleicht. »Wahnsinn«, staunte ich und blickte Jas mit großen Augen an. »Aber damit kann ich doch gar nicht umgehen. Außerdem ist es doch bestimmt wertvoll, oder?« »Es ist ein altes Familienerbstück«, winkte er ab. »Und das Kämpfen lernst du noch«, ergänzte Dad, der gerade zur Tür hereinkam. In seinen Händen hielt er ein unförmiges Bündel. Er nickte den anderen zu und setzte sich mit an den Tisch. Dann schob er das Bündel zu mir. Von Nahem sah es aus wie ein Klamottenhaufen. »Zieh sie bitte an. Sie müssten etwa deine Größe haben«, meinte er. Als ich ihn fragend ansah, lächelte er.

Also ging ich auf mein Zimmer und faltete die Sachen auseinander. Nebenbei fragte ich mich, was wir jetzt vorhatten. Aber ich vertraute meinem Vater und begutachtete die Kleider. Hervor kam ein blauer Mantel wie der von Jas und eine dunkle Hose. Darunter lag ein ziemlich dicker Gürtel. Da er echt unbequem aussah, legte ich ihn erst zur Seite und sah mir den Rest an. Dieser Rest entpuppte sich als schwarzes, langärmeliges Shirt, das schon eher meinem Stil entsprach. Neugierig probierte ich es an und es schmiegte sich eng an meinen Körper, war jedoch nicht erdrückend. Es saß perfekt, genau wie die Hose, die danebenlag. Ich schnallte den Gürtel daran fest und mir wurde bewusst, dass das ein Waffengürtel war.

Erschrocken hielt ich die Luft an. Was hatten sie nur mit mir vor? Doch ich schluckte meine Angst runter und griff nach den letzten Teilen. Es waren ein paar bequemer Stiefel mit einer weichen Fütterung und eine Schwertscheide. Ich steckte sie an meinem neuen Waffengürtel fest und band mir die Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen. Dann legte ich mir den Mantel über den Arm und ging nach unten. Mit meinen neuen Stiefel lief ich fast lautlos. Ich wollte schon fröhlich in die Runde grinsen, als mir auffiel, dass die Szene sich radikal verändert hatte.

Dad hielt eine schluchzende Mom in den Armen und Jas stand mit verschränkten Armen neben ihnen. Schräg hinter ihm redeten die Brüder leise miteinander. Mein Onkel bemerkte mich als erstes und winkte mich zu ihm.

»Kathessa, du hast dir vermutlich schon gedacht, dass du diese Sachen nicht einfach so bekommen hast. Weißt du, mein Auftrag war, dich mit nach Parlos zu nehmen. So wollte es mein Herr.« »Was ist Parlos?« »Das ist das Land aus dem ich komme.« Ich zog eine Augenbraue hoch. Er dachte doch wohl nicht ernsthaft, dass ich ihm das abkaufte.

»Und wie kommt dein Herr ausgerechnet auf mich? Ich glaub dir ja nicht mal, dass es Parlos wirklich gibt. Nichts für ungut, aber es ist so. Also warum sollte ich da mitmachen?« Dad räusperte sich leise und strich mir sanft übers Haar. »Schätzchen, deine leiblichen Eltern sind von dort. Deine Mutter und ich kommen von dort. Und du stammst auch aus Parlos. Du wurdest dort geboren. Parlos liegt in einer Parallelwelt neben unserer. Es war der Auftrag von Tanira und mir, dich hier großzuziehen. An deinem vierzehnten Geburtstag solltest du zurückkehren. Und das wirst du tun. Nimm Keks mit. Jas wird dich begleiten und beschützen.«

Sprachlos sah ich ihn an. Er meinte das ernst. Er wollte mich tatsächlich in eine andere Welt schicken. Ich sollte gleich schon aufbrechen. Und es hörte sich so an, als ob ich nicht so schnell wiederkommen würde. Ich rannte zu Dad und umarmte ihn. Es war mir egal, wie kindisch das war. »Ich will nicht weg«, flüsterte ich. »Nana, wer wird denn gleich traurig?«, fragte Dad. »Wir sehen uns bald schon wieder. Versprochen.« Er lächelte und ich gab ihm einen Kuss auf die Wange. Dann drehte ich mich zu Mom um. Sie stand da und sah unglaublich verloren aus. Dann gab sie sich einen Ruck und lächelte mich traurig an. »Mein Liebling, vergiss niemals wie sehr ich dich liebe, okay? Vergiss das niemals.« Sie nahm mich fest in den Arm und erinnerte mich nochmals, Keks nicht zu vergessen. Dann drehte ich mich zu Jas, der mir aufmunternd zulächelte.

Wie auf Knopfdruck raste mein Kater durch die Tür und sprang mit einem Satz auf meinen Arm. »Komm her. Wir müssen für die Reise einen Kreis bilden. Halt dich gut fest«, sagte Jas. Ich nahm seine Hand. Sie fühlte sich warm und trocken an.

Mit dem freien Arm nahm ich Keks ein bisschen fester in den Arm. Sontaru stellte sich neben mich und umfasste meinen Arm mit seiner großen Hand. Jas fing an, eine leise Melodie zu summen und nacheinander stiegen die Brüder mit ein. Nach einer Weile wurde das Summen zu einem Gesang in einer fremden Sprache. In der Mitte unseres Kreises erschien ein kleines, strahlendes Leuchten. Es wurde immer heller und heller, schließlich so hell, dass ich die Augen schloss.

Tief in meinem Herzen wusste ich, dass ich mir das nicht nur einbildete. Ich wusste, dass ich jetzt in eine andere Welt gelangen würde. Doch ich hatte keine Angst. Ich empfing die Welt und fühlte mich so geborgen wie noch nie. Dort gehörte ich hin und dort wollte ich auch sein. Das war mein Zuhause.

Nach einer scheinbar endlosen Zeit spürte ich einen warmen Sonnenstrahl auf meinem Gesicht. Ich lächelte und öffnete die Augen. Und dort lag Parlos.

Das Reich der vier MächteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt