12.Kapitel - Fremde Vertraute

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Nach einigen, scheinbar endlosen Minuten hörten wir ein Pferd durch den Wald traben. Alessandro stand auf und holte Jas zu uns. Er sah sehr ernst aus und hob Fine ohne ein Wort hoch. Dann bedeutete er mir, auf Kirion zu steigen. Wir verließen den Felsen und ich kletterte auf Kirions Rücken. Dann nahm ich wieder Fine vor mich. »Ich kenne den Weg zu Talarias Palast«, sagte Jas und ritt los. Die Brüder, die draußen gewartet hatten, folgten ihm und auch wir anderen setzten uns in Bewegung.

Der Regen war unnatürlich laut auf dem Blätterdach der eng beieinanderstehenden Bäume. Wir kamen nur langsam voran und für Kirion war es besonders schwer, seinen großen Körper unfallfrei durch den dichten Wald zu schaffen. Ich versuchte, Fines Puls zu fühlen, doch ich spürte ihn nicht. Hätte ich nicht gesehen, wie sich ihr Brustkorb leicht hob und senkte, hätte ich gedacht, sie wäre... Ich erlaubte mir nicht, den Gedanken zu Ende zu denken. Eine Träne der Verzweiflung mischte sich mit dem Regen auf meiner Wange.

Irgendwann verlor ich jegliches Zeitgefühl. Ich drückte einfach Fines leblosen Körper an mich und betete, dass wir bald da waren. Endlich hielten wir an. Ich sah auf und sah vor mir... Wald. Denselben verdammten Wald, den wir seit Stunden nicht verlassen hatten! Was war denn nur mit den anderen los? Oder hatte ich schon wieder was nicht mitgekriegt? Ich sah mich vorsichtshalber noch mal um, um mich zu vergewissern, dass nicht vielleicht doch irgendwo ein großer Palast stand oder ein Schloss oder immerhin eine Burg. Aber da war nichts. Nur viele große Bäume.

Gerade als ich Jas fragen wollte, warum wir stehen blieben sah ich, dass er die Augen geschlossen hatte und etwas vor sich hin murmelte. Hatte der Stress ihn jetzt irre gemacht?

Plötzlich tauchten rund um uns etwa 20 dunkle Gestalten auf. Sie schienen aus dem Nichts gekommen zu sein. Langsam umkreisten sie uns. Mir fielen ihre zahlreichen Waffen auf und tastete vorsichtshalber nach meinem eigenen Schwert an meiner Seite. Doch Kirion hielt mich zurück. »Lass das. Das sind die Wachen von Talaria. Sie tun nur ihre Pflicht. Und sie werden nicht ohne Grund angreifen, also liefer ihnen keinen. «

Verblüfft ließ ich meine Hand wieder sinken. »Woher weißt du das?«, fragte ich, aber er zuckte nur mit den Ohren und schaute nach vorn. dort hatte sich eine der Gestalten bewegt und entpuppte sich als hochgewachsener Mann mit einem kantigen Gesicht. Jas stieg von seinem Pferd und ging auf den Mann zu. »Lioran«, sagte er erfreut und schloss ihn kurz in die Arme. »Jascoban, wie schön, dich hier begrüßen zu dürfen«, antwortete Lioran mit einer Stimme, die genauso kantig klang wie sein Gesicht aussah.

Dann wandte er sich uns anderen zu. »Ich sehe, eine deiner Begleiterinnen ist schwach. Ich fühle es bis hierher.« Er machte eine Handbewegung und zwei seiner Männer kamen auf uns zu. Sie griffen nach Fine, was ich aus Reflex verhindern wollte, doch sie konnten ihr wohl eher helfen als ich. Außerdem sah Jas mich streng an. Die Männer legten Fine auf eine Trage, von der ich schwören konnte, dass sie gerade eben noch nicht da gewesen war.

Lioran drehte sich um und streckte die Arme theatralisch in die Höhe. Dann murmelte er einige unverständliche Worte und mein Blick fiel auf den großen Baum vor ihm. Also, der Baum war wirklich groß. Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass er größer war als Wolkenkratzer in New York. Da war ich nämlich mal mit meinen Eltern gewesen und hatte genug von denen gesehen. Und um das alles noch zu toppen, erschien in der Rinde des Riesenbaums eine breite Doppelflügeltür. Mir klappte die Kinnlade runter. Lioran schritt voran und Jas schwang sich wieder auf sein Pferd und folgte ihm. Auch Kirion lief hinter ihnen her und konnte gar nicht mehr aufhören zu staunen. Der Baum war innen hohl und wir befanden uns in einer Halle, von der aus viele Gänge weiter ins Innere des Baums führten.

Das Reich der vier MächteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt