Parlos war bei Nacht genauso schön wie am Tag. Die sonst grün leuchtenden Wiesen schimmerten geheimnisvoll im Sternenlicht und ich sah fast ständig zum Himmel hinauf. Es war kaum bewölkt und man konnte so gut wie alle Sterne sehen. Hier waren keine Industrien oder Autoabgase, die den Himmel verdunkelten. Ich suchte nach einem bekannten Sternzeichen, aber ich konnte keines finden. Entweder war hier ein anderer Himmel als zu Hause zu sehen oder ich war schlicht und ergreifend zu blöd um eins zu finden.
Irgendwann tat mir vom vielen Sternegucken der Nacken weh und ich begnügte mich damit, meine Begleiter zu beobachten. Jaaa gut, eigentlich nur einen Begleiter. Und wieder einmal bemerkte er meinen Blick. Verdammt! Er lenkte sein Pferd zu mir rüber und lächelte mich aufmunternd an. »Na, wie geht's dir so bei der ganzen Geschichte?«, wollte er wissen.
»Naja, Augen zu und durch«, antwortete ich, versucht locker. Doch auf einmal sprudelte alles nur so aus mir heraus. »Ich hab eigentlich total Angst. Aber nicht um mich, sondern um euch. Schließlich ist es meine Schuld, dass ihr in Gefahr seid. Wäre ich nicht gewesen, dann wärt ihr jetzt noch in Sicherheit, zu Hause und würdet ganz normal eine Mondnacht feiern. Das tut mir alles so schrecklich leid.«
Alessandro sah mich ungläubig an. »Ist das dein Ernst? Du gibst dir die Schuld an alledem?« Jetzt war ich verwirrt. »Wem denn sonst? Schließlich bin ich die einzige...« »Jetzt halt mal die Luft an!«, unterbrach er mich ärgerlich. »Du kannst nichts dafür, dass dich irgendeine Irre umbringen will. Hast du schon mal dran gedacht, dass es ihre Schuld ist? Du hast sie doch nicht darum gebeten, alle in deiner Nähe zu bedrohen!«
Ich wollte etwas erwidern, aber Kirion unterbrach mich. »Er hat Recht. Du solltest auf deinen Freund hören. Du solltest wirklich aufhören, dir an allem die Schuld zu geben. Die einzige, die hier an irgendetwas Schuld hat, ist die Frau aus deiner Vision.« Ich dachte kurz über ihre Worte nach und gab ihnen widerwillig Recht. »Stimmt, du hast Recht«, sagte ich sowohl zu Alessandro als auch zu Kirion. Beide nickten bestimmt und Alessandro lächelte mich nochmals aufmunternd an.
Dann drängte sich Lou zwischen uns und Alessandro zog ab, um mit Fine zu reden. »Mir ist noch ein schlagendes Argument eingefallen«, prahlte sie und ich sah sie verständnislos an. »Er hat dir zugezwinkert, weißt du noch? Gestern, als wir bei mir Zuhause waren. Und gerade eben hast du ihn voll verträumt angestarrt.« »Hab ich nicht! ... Gut, vielleicht. Oh Mann, du bist so nervig«, erwiderte ich und verschränkte trotzig die Arme vor der Brust. Sie lachte.
Plötzlich spürte ich etwas Kaltes im Nacken. Dann nochmal. Mir ging auf, dass es anfing zu regnen. Schon nach einigen Sekunden wurde aus dem Regen ein undurchsichtiger, nasser Teppich und ich sah kaum noch, wohin wir ritten. »Wir reiten in den Wald dort und warten, bis das Unwetter vorbei ist!«, rief Jas uns zu und deutete nach rechts, wo ein dunkler Schatten auf einen Wald hindeutete. Wir erreichten den Wald pitschnass und unter den Bäumen war es nicht wirklich trockener, aber immerhin war es hier windstill.
Jas suchte einen besonders großen Baum aus und stieg von seinem Pferd. »Bindet eure Pferde an einen Baum. Wir bleiben erstmal hier.« Ich zitterte vor Kälte und mir lief ein Schauer über den Rücken, als ich mich in dem dunklen Wald umsah. »Müssen wir Angst vor Werwölfen haben?«, fragte ich Jas. Sein Blick beantwortete meine Frage. »Ich mein ja nur«, murmelte ich vor mich hin. Ich rutschte von Kirions Rücken und landete prompt in einer Pfütze.
»Hättest du dich nicht einen Meter weiter links hinstellen können?«, grummelte ich und Kirion lachte. Das hörte sich echt lustig an. »Du kannst dich hier hinsetzen, hier ist es trocken.« Ich sah ihn böse an. »Wenn ich mich jetzt in eine Pfütze setze, geb ich ausnahmsweise mal nicht mir die Schuld.« Tatsächlich war es aber trocken und Kirion legte sich hinter mich, sodass ich mich an sein weiches Fell kuscheln konnte.
So saßen wir eine gefühlte Ewigkeit da und warteten darauf, dass der Regen aufhörte. Jas und die Brüder hielten abwechselnd Wache und wir Jugendlichen langweilten uns. »Mach dir keine Sorgen, Kathessa. Talaria wird eine große Hilfe sein. Sie ist sehr weise.« Verwundert blickte ich auf und sah Sontaru neben mir hocken. Ich lächelte und nickte. »Ich weiß. Ich hab nur ein bisschen Angst, dass euch etwas passieren könnte.« Er sah mich ernst, aber auch verständnisvoll an. »Du erinnerst mich sehr an deine Mutter«, sagte er. Ich zuckte mit den Schultern. »Liegt bestimmt an der Erziehung. Weißt du, ich durfte als kleines Kind nie...« »Nicht Tanira. Ich meine deine leibliche Mutter, Sieilla.«
Ich verstummte. Noch nie hatte man mich mit Sieilla verglichen. Klar, Zuhause kannten sie nur Mom und Dad, aber die sprachen nicht über meine Eltern. Ich räusperte mich. »Wie war sie denn so?«, wollte ich wissen. Sontaru lächelte. »Sie war eine sehr sanfte junge Frau. Immer wenn man ein Problem hatte, war sie für einen da. Sie folgte dem Element Wasser, also dem ruhigsten von allen vieren. Ich habe nie erlebt, dass sie wütend war oder laut wurde.«
»Und mein Vater?«, fragte ich neugierig. So viel hatte mir noch niemand über meine Eltern erzählt. »Semyar. Das war sein Name. Ja, der Gute war ganz anders als Sieilla. Ständig in Schwierigkeiten, immer war irgendwer sauer auf ihn. Es gab keinen Tag, an dem er nicht irgendeinen Mist gebaut hatte.« Ich lachte. Das klang ganz nach mir.
»Wer hat ständig Mist gebaut?«, mischte sich Fine ein und rutschte zu uns rüber. »Mein Vater«, antwortete ich und grinste. »Das ist besser als jeder DNA-Test.« Ihren Gesichtsausdrücken nach hatten sie beide keine Ahnung, was ein DNA-Test war. Auch egal.
»Was ist mit deinem Dad?«, fragte ich Fine. »Der ist gestorben, bevor ich auf die Welt kam.« Betroffen legte ich einen Arm um sie und drückte sie tröstend. »Oh Fine, das tut mir ehrlich leid für dich. Ich weiß, wie du dich fühlst.« Sie räusperte sich. »Weißt du zwar nicht, aber trotzdem Danke.« Ich runzelte die Stirn. »Glaub mir, wenn ich sage, ich wüsste wie das ist, dann weiß ich es auch. Meine Eltern sind beide gestorben, als ich nicht mal ein Jahr alt war.«
Sie sah mich verwirrt an. »Aber ihr habt doch gerade über deinen Vater geredet.« Ich nickte. »Sontaru kannte ihn und hat mir was über meine Eltern erzählt.« »Ach so«, meinte Fine und seufzte leicht. Ich seufzte ebenfalls und dachte an meine Eltern Zuhause.
Was sie wohl gerade machten? Vielleicht schliefen sie schon. Oder Dad sah sich ein Fußballspiel an. Er liebte Fußball, auch wenn er die Regeln nicht verstand. Vermutlich gab es sowas in Parlos nicht. Allerdings kommentierte er trotzdem lautstark jedes Spiel. Ich vermisste das. Wie gern hätte ich jetzt Fußball gesehen, auch wenn ich sonst immer in mein Zimmer flüchtete. Mir lief eine Träne über die Wange. Verstohlen wischte ich sie weg, bevor jemand sie sah. Das war das allerletzte, was ich jetzt gebrauchen könnte.
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Hallihallo,
ich weiß, es ist ein kurzes Kapitel, aber in der Kürze liegt die Würze, nicht wahr? Ich hoffe, es gefällt euch bis hier.
LG,
the beast :)
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Das Reich der vier Mächte
FantasyParlos, das Reich der vier Mächte, schwebt in immer größerer Gefahr, und Kathessa, wie sollte es anders sein, ist mit seinem Schicksal eng verwoben. Denn Parlos war einmal das Reich der fünf Mächte. Die fünfte Macht hat sich abgewendet und wurde ve...