Diesmal achtete ich auf meine Umgebung, einfach, um mich abzulenken. Der Baum hatte viele Fenster, erschreckenderweise alle ohne Glas, und bestand aus verschiedenen Etagen, die mit Treppen verbunden waren. Es herrschte ein unübersichtliches Gewusel, aber alle blieben kurz stehen und verbeugten sich, wenn Talaria an ihnen vorbeiging. Danach starrten die meisten uns von hinten an. Ein paar Male meinte ich ein gemurmeltes »Majoris« gehört zu haben.
Hin und wieder waren auf den einzelnen Etagen große Grasflächen angelegt, auf denen viele Leute saßen, standen und spielten. Ich sah auch tanzende Elfen, aber nach dem was ich erfahren hatte, fand ich sie nur noch halb so schön wie vorhin.
Nach einiger Zeit erreichten wir eine der obersten Stockwerke. Ich bemerkte, dass ich immer noch Talarias Hand hielt, aber mich störte es nicht. Ganz im Gegenteil: Die Nähe war angenehm, sowohl die körperliche als auch die geistige.
Wir standen auf einer Plattform außerhalb des Baumes, ich vermutete, dass es sich um einen Ast handelte.
Talaria stieß einen schrillen Pfiff aus und wie auf Knopfdruck schwebte ein gigantischer Adler über uns und landete ein paar Meter vor uns. Als ich ihn sah, wurde ich direkt an Kirion erinnert und mein Herz zog sich zusammen. Ich hatte ihn seit dem Gespräch mit Talaria nicht mehr gesehen.
»Jas? Was ist eigentlich mit Kirion? Er war gar nicht bei meinen Freunden.« Jas nickte. «Er hat den Baum verlassen, nachdem du weg warst. Aber er bleibt in der Nähe.« »Wieso bleibt er nicht hier?« »Das kann er dir selbst erzählen, wenn er will.«
Jetzt war ich neugierig. Was hatte er wohl gegen dieses Baumreich?
Talaria riss mich aus meinen Gedanken. »Kathessa. Du wirst jetzt einen besonderen Segen erhalten, der dir dabei helfen wird, Talena zu besiegen.«
Da war es wieder. Dieses beklommene Gefühl, diese Vorahnung, dass bald etwas Furchtbares passieren würde.
Die Herrscherin zeigte auf den riesigen Adler vor uns. »Er wird uns dort hinbringen, wo du den Segen empfängst.«
»Hat er einen Namen?«, fragte ich. Talaria stockte verdutzt und dachte nach. »Nein, nicht wirklich. Er ist einfach ein großer Vogel.« Ich sah ihn an. »Er braucht einen Namen.« Talaria nickte bestimmt. »Fällt dir einer ein?« Ungläubig zeigte ich auf mich selbst. »Ich soll ihm einen Namen geben?« Sie nickte.
»Nun gut, dann heißt er ab diesem Augenblick an... Roger.« »Roger?« Talaria sah mich noch ungläubiger an als ich sie gerade. Ich nickte. »Warum nicht? Das ist doch ein schöner Name.«
»Hm... Na gut, Roger. Du hast sie gehört. Finde dich damit ab.« Sie lachte vergnügt.
»Also dann. Wir müssen jetzt los.« Sie gab Jas einen Kuss auf die Wange und lief zu Roger. Jas umarmte mich fest. »Bis später Kleines«, sagte er und gab mir einen Kuss auf die Stirn. Ich nickte und folgte Talaria.
Ich hatte mir schon Sorgen gemacht, wie ich auf Rogers Rücken klettern sollte, ohne mich lächerlich zu machen, aber Talaria ging mir voran zu einem kleinen Balkon, der in etwa zwei Metern Höhe wie ein Ast an dem Baum befestigt war. Vielleicht war es ja wirklich ein Ast, schließlich befanden auch tatsächlich auf einem echten Baum.
Wir kletterten beide von der Plattform aus auf den Rücken von Roger und ich fühlte mich winzig, wie eine Ameise. »Kathessa, ein kleiner Tipp noch für den Start: Halt dich gut fest«, lachte Talaria und krallte sich in das Gefieder ihres Riesenadlers. Ich hielt mich ebenfalls wie sie fest, aber ich wollte dem Adler nicht wehtun. Böser Fehler.
DU LIEST GERADE
Das Reich der vier Mächte
FantasyParlos, das Reich der vier Mächte, schwebt in immer größerer Gefahr, und Kathessa, wie sollte es anders sein, ist mit seinem Schicksal eng verwoben. Denn Parlos war einmal das Reich der fünf Mächte. Die fünfte Macht hat sich abgewendet und wurde ve...