Elvira(X)

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Noch etwas schläfrig, wache ich auf. Leider wollen meine Augen nicht ganz ihre Funktion erfüllen, bis ich sie dazu zwinge, die Lider zu öffnen. Dazu sind sie ja auch gemacht, um die Umwelt zu erkennen und nicht, um die ganze Zeit geschlossen zu bleiben.

Ich habe gut geschlafen, obwohl es für mich nicht so üblich ist. Wahrscheinlich hat mich das ganze Gespräch mit Andre ausgeknockt und müde gemacht.

Plötzlich verspanne ich mich, da ich einen heißen Atem an meinem Hals spüre. Sofort reagiere ich, indem ich meine Augen schließe und still bleibe. Was ist los? Vorsichtig öffne ich ein Auge und dann das andere, um mich umzusehen. Ich versuche meine Beine zu bewegen, aber leider hat Andre seine Beine mit meinen verknotet. Ebenso ist sein Arm um meine Taille gewickelt, fest und besitzergreifend. Sein Körper ist dicht an meinem und sein Kopf neben meinem Hals. Ich spüre seinen Atem, seine Nähe, sogar seinen Geruch. Das wird mir zu viel. Er ist viel zu nah. Ich bekomme Panik.

Wie kann er nur hier mit mir zusammen sein? Ich bin in den Armen eines Fremden! Das alles hier verschlimmert sich nur. Ich schließe meine Augen. Zu nah. Zu viel von ihm. Das halte ich nicht aus.

Ich versuche, ohne ihn aufzuwecken, von ihm wegzurutschen, aber er hält mich sehr gut fest, als ob er Angst hätte, mich zu verlieren. So absurd. Ich bin seine Gefangene, egal, was für einen Quatsch er erzählt. In Wirklichkeit bin ich der Gefesselte und das im wahrsten Sinne des Wortes. Andre gibt mir ja keine Möglichkeit zum Atmen. Ich seufze. Er hat mich wirklich in seinen Klauen. Irgendwie ist es eine seltsame Situation, in seinen Armen zu liegen. Eigentlich müsste ich schreien und seine Augen wie eine Furie auskratzen, aber ich tue nichts derlei. Werde ich auch verrückt?

Er hat mich, so wie er es wollte. Ich bin in seinem Zuhause und lebe gezwungenermaßen mit ihm zusammen. Ist dies wirklich sein Traum gewesen? Ja, ich bin kritisch, aber was hofft er damit zu erreichen? Dass ich mich in ihn verliebe? Ist das nicht übertrieben? Ich verliebe mich doch nicht in einen durchgeknallten Psychopathen, oder etwa doch? Oh nein, bestimmt nicht...

Ich schaue mich wieder, um wie ich mich am besten von diesem Klammeraffen befreien kann. Doch dann spüre ich etwas Hartes an meinem Hintern... ein Schlüssel! Genau! Ich brauche den Schlüssel, um aus diesem Käfig auszubrechen.

Ganz vorsichtig lege ich seinen Arm zur Seite und befreie mich aus unseren verknoteten Beinen. Dann atme ich viel Luft ein, da es mich wirklich viel Energie gekostet hat, mich zu befreien. Es ist anstrengend, aber gleichzeitig schrecklich aufregend.

Mein Blick wandert wieder zu ihm. Seine Augen sind geschlossen, sodass ich das Blau nicht ertragen muss. Es wirkt immer so, als ob er mich mit einer Leichtigkeit durchschauen kann, anderseits können seine Augen solche Traurigkeit widerspiegeln, dass mir sogar das Herz schmilzt. Schrecklich.

Sein Mund ist etwas offen. Aus diesem Mund hat er solche kraftvollen wie auch emotionale Dinge ausgespuckt. Er weiß, wie man mit Worten umgehen muss, um seinen Gegenüber zu täuschen. Er ist schlau, gerissen und wirklich klug. Aber er kann mich nicht blenden.

Sein Körper wirkt frei, gelassen und entspannt. Er scheint es sich sehr gemütlich gemacht zu haben. Alles, was ich sehe ist ein großer, starker muskulöser Mann mit vielen Problemen. Gestern hat er noch gemeint, dass er sich gerne die Hände schmutzig macht. Jetzt frage ich mich, wie weit er gehen würde...würde er morden, um glücklich zu sein? Hat er seinen Vater wirklich getötet? Ist die Beziehung zu seiner Mutter wirklich so angespannt? Ich will nicht wissen, wie er die ganze Zeit gelebt hat, aber er scheint emotional sehr instabil zu sein.

Sein Herz... wie viel er wohl in seinem Leben erlebt hat? Ich bemitleide ihn, aber andererseits kann er sich nicht das Recht nehmen, solche ungewöhnlichen Dinge zu tun. Er sagt, dass er mich braucht, mich liebt, aber was versteht er wirklich darunter? Als ob er mich liebt... Er scheint mir jemand zu sein, der nicht alleine sein möchte. Er will keine Einsamkeit spüren, da er sie schon sein ganzes Leben lang kennt. Er braucht mich nicht, er braucht richtige Hilfe von jemandem, der sein Fach versteht. Ich bin nicht hilfreich für ihn. Ich hindere ihn nur.

Ich werde mich nie in ihn verlieben. Das wird nie geschehen, egal, wie sehr er es sich wünscht. Mein Herz wird nie für ihn schlagen; wenn, dann nur bluten und vor Schmerzen schreien. Ich ertrage es nicht, ihn anzusehen.

Deshalb greife ich nach dem Schlüssel in seiner Hosentasche und ziehe ihn langsam hinaus. Mein Herz rast und fast hätte ich vergessen zu atmen. Als ich endlich die Schlüssel in meiner Hand halte, laufe ich auf Zehenspitzen zur Tür. Mehrmals schaue ich hinter mich, um zu sehen, ob er noch schläft - und das tut er auch. Seine Augen sind fest geschlossen, trotzdem zittert mein ganzer Körper und ich muss mich enorm beherrschen ,nicht die Kraft in meinen Beinen zu verlieren. Ich drohe zu fallen.

Ich stecke den Schlüssel in das Schloss. Ein etwas lauter Ton entsteht. Ich halte die Luft an. Nichts. Ich höre seinen regelmäßigen Atem. Er ist noch in der Traumwelt. Mein Herz schlägt schneller, ich drehe schon fast durch. So nah an der Freiheit, so nah.

Ein letztes Mal drehe ich mich um, nur, um noch einmal diesen Mann zu sehen. Er hätte mir nicht vertrauen sollen. Andre wird einen schönen Tag haben, wenn er aufwacht. Ich drehe mich um und konzentriere mich auf den Schlüssel. Langsam drehe ich diesen nach rechts, es knackt. Mein Herz überschlägt sich. In meinen Ohren klingt alles viel lauter als in Wirklichkeit. Ich bin so schreckhaft.

Nun... dies ist mein Weg zur Freiheit und heraus aus seiner kleinen Welt.

UnheilWo Geschichten leben. Entdecke jetzt