Elvira(X)

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Steh auf! Rappel dich auf! Du musst einen Ausweg suchen! Beeilung! Er kommt gleich! Er wird dich sonst schnappen.

Liege im nassen Gras, dreckig und erfüllt von Schmerzen. Ich schüttele meinen Kopf, stehe langsam auf und blicke mich um. Ich habe den Garten noch nie genau betrachtet und das ist wohl ein Fehler gewesen. Ich muss einen Ausweg finden, aber der Garten ist von zahlreichen großen Bäumen und Hecken umrundet, die mir die Sicht auf die Straße verbergen und mir meine Flucht erschweren. Es scheint quasi unmöglich. Trotzdem muss ich mich beeilen und nach einer Lösung suchen. Ich habe keine Zeit.

,,Elvira", ruft eine tiefe Stimme und lässt mich erstarren. Diese Ruhe in der Stimme... als ob er nichts befürchtet und keine Angst hat. Mein Puls steigt, meine Hände sind schweißgebadet, mein Kopf füllt sich mit einem einzigen Gedanken. Ich muss weg!

Ich renne zu den Hecken, suche nach einem Ausweg, um zu entkommen, aber es gestaltet sich schwerer als gedacht, da alles miteinander verwachsen ist. Grüne Blätter, die jede Stelle verdecken und mir keinen Platz lassen. Als ich eine enge Lücke finde, drehe ich mich noch einmal kurz um, um nach Andre Ausschau zu halten. Doch es ist ein Fehler... Er läuft langsam zu mir. Zehn Meter entfernt und mit einem Messer in der Hand. Ich schlucke. Drehe mich um und versuche, mich durch diese Enge zu quetschen. Der Versuch schlägt fehl...

,,Elvira... Du machst einen großen Fehler und verbrennst dich noch dabei", sagt er. Ich spüre ihn in meiner Nähe. Die Panik steigt, und deshalb schreie ich so laut wie ich kann, aber es ist zu spät. Andre zieht mich nach hinten, verdeckt meinen Mund mit seiner großen Hand und erstickt meine Laute. Ich weine, zappele herum, kratze ihn, aber nichts hilft. Er ist viel zu stark.

Er beugt sich über meinen Körper, nimmt jedoch seine Hand nicht von meinem Mund. Seine Augen blicken mich kalt an, beobachten und durchbohren meine Seele. Er ersticht mich mit seinen Augen und das schafft er mit einer Leichtigkeit. Mein Herz entzweit sich schmerzhaft.

,,Du hast dieses Spiel begonnen. Du...", er verschluckt die letzten Wörter und nimmt seine Hand von meinem Mund, schnappt meine Handgelenke, die ihn schlagen wollten und hält sie über meinen Kopf. Ich bin mir sicher, dass er fluchen wollte. Er kommt mir näher; ich spüre seinen Atem an meiner Haut, der mir eine Gänsehaut verschafft. Sein Körper strahlt seine Wärme in meine Richtung. Vorsichtig atme ich aus, dabei strömt mir sein Geruch in die Nase. Diese Nähe bringt mich um und zerstört mich. Es ist ein einziger Alptraum.

Er löst seine rechte Hand von mir und streicht mit seinem heißen Finger über mein Gesicht. Streicht sanft über meine Wange, berührt meine Unterlippe und wendet nicht einen Moment den Blick von mir. In Zeitlupe legt er seine feuchten Lippen auf meine. Ich senke meine Augenlider und genieße diesen letzten Kuss mit ihm. Ein trauriger und kurzer Abschied.

,,Du bist meine Liebe, mein Glück, meine Erlösung, mein verdammter Engel... Elvira", zischt er und legt seine Stirn auf meine. Ich spüre seine Gefühle, jedoch kämpft er ständig dagegen an. Er will mir seine emotionslose Seite zeigen und sich verstecken.

,,Warum willst du mich nicht?", fragt er gequält, schließt seine Augen und beißt seine Zähne zusammen. Er ist wütend, oder? Deprimiert? Ich lasse weitere Tränen heraus. Warme Flüssigkeit rinnt über mein Gesicht und macht mich schwach. Ein innerer Kampf findet statt und breitet sich unglaublich schnell in mir aus. Mein Herz hämmert, mir tut die Brust weh. Es scheint, dass mein Herz aus meiner Brust springen und frei von meinem Körper sein möchte. Meine Gefühle spielen verrückt, ein Schluchzer entweicht mir. Bei jedem seiner Worte breche ich zusammen.
Er küsst mich erneut, doch diesmal leidenschaftlich und drängender. Er will mich nicht hergeben, ich spüre und sehe es eindeutig, aber ich muss gehen. Meine Entscheidung ist getroffen.

Ich liebe Andre. Ich liebe ihn so sehr. Dennoch kann ich nicht bei ihm bleiben. Mein Herz hat die Antwort gewusst, obwohl sie solche grausamen Folgen mit sich zieht. Die Klarheit kann einen zerstören. Es kann mit uns nicht funktionieren und das hat er mir bewiesen. Es ist zu viel... Zu viel von ihm. Er ist anders. Zu krank. Zu besitzergreifend. Ich bekomme keine Luft, fühle mich beengt und eingesperrt. Trotzdem weiß ich, dass er mich bedingungslos liebt. Aber es tut uns beiden nicht gut. Wir sind nicht füreinander bestimmt, wir haben zu viele Baustellen in unserer Beziehung. Wie sollen wir all diese Probleme bekämpfen? Ein Mensch kann sich nicht so einfach verändern. Wir schaffen es nicht. Ich bin kein Engel... Ich bin ein Feigling. Manchmal ist der richtige Weg, das Gegenteil zu tun.

,,E-Es t-tut mir soo L-Leid", sage ich weinend. Meine Stimme ist brüchig und rau. ,,Andreee..." Ich blicke ihn an, sehe Trauer und Angst, aber gleichzeitig so viel Liebe. Der Druck wächst immer weiter und ich halte es bald nicht mehr aus. Alles, was ich tue, fühlt sich falsch und dreckig an. Ich hätte rennen sollen, als ich die Chance dazu hatte. Seine Mutter hat mich gewarnt, sogar mein Verstand, aber ich habe nichts wahrgenommen und wollte es nicht glauben. Es ist meine Schuld. Ich habe uns beiden Leid verursacht. Es wird eine blutige Trennung. Ich muss endlich aus diesem Traum aufwachen und handeln.

Ich schreie. Schreie so laut, wie ich kann. Mein Hals schmerzt und brennt. Ab und zu bricht meine Stimme, dennoch höre ich nicht auf. Andre hält seine Hand auf meinen Mund, aber ich verteidige mich. Ich beiße fest zu, bis ich Blut schmecke, aber er lässt nicht locker. Ich werde nicht aufhören, ich kämpfe für meine Freiheit, auch wenn es ein schwerer Kampf wird. Wir müssen uns trennen.

Plötzlich höre ich eine laute Sirene. Meine Augen weiten sich und ich schreie noch lauter. Kämpfe weiter, aber Andre ändert seine Strategie. Er befreit meinen Mund, greift nach hinten und dann bemerke ich das Messer, das er nun in der Hand hält.
Er hat die Töne bemerkt und wählt die drastische Methode überhaupt, um als Sieger aus diesem Spiel rauszukommen. Ich schreie und heule gleichzeitig und ich denke nicht daran, zu stoppen. Es kommt mir vor, als ob ich nun meinem Tod nahe bin. Mein Geliebter will mich töten.

Andre versucht das Messer in mein Herz zu stechen, aber ich halte seine Hand gut fest. Adrenalin steigt, durchströmt meinen Körper und ich ziehe daraus meine Kraft. Ich fühle mich schrecklich. Mein Herz will langsam nicht mehr, mein Körper wird immer schwächer. Ich sehe alles verschwommen und höre nichts mehr. Vor meinen Augen sehe ich alles, was ich in der Vergangenheit erlebt habe, fühle alles... Ich sterbe...

Mit einem verschleierten Blick sehe ich in seine Augen und erkenne Wut, Trauer, Angst, Lust und Enttäuschung, aber wahrscheinlich täusche ich mich da nur. Ich will nicht sterben. Ich will nicht sterben. Ich will nicht...

UnheilWo Geschichten leben. Entdecke jetzt