Vorbei (2/ ?)

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Plötzlich war ein ganzes Stimmengewirr um mich herum. Etwas drückte in einem Rhythmus gegen meinen Brustkorb, ließ meine Lunge sich entspannen. Dann legte sich etwas auf meinen Mund. Sauerstoff strömte in meinen Mund hinein. Gierig sog meine Lunge ihn auf.
„Kelly.“, weinte die Stimme neben mir. „Bitte, es tut mir so Leid. Du darfst nicht sterben.“ Mühevoll drehte ich den Kopf zur Seite, doch ich konnte nicht erkennen, wer es war. „Melina kommt gleich, hörst du? Ich hab mit ihr geredet, sie ist gleich da.“ Meine Schwester,verkündete mein Unterbewusstsein. Was sagte sie? Melina würde kommen? Das war nicht möglich, sie wohnte zu weit weg...
„Geht nicht.“, murmelte ich. „Zuviel Kilometer zwischen uns... sie kann nicht kommen...“ Mir war schwindelig, ich wollte nur noch schlafen. Meine Augen fielen langsam zu...
„Nein, nicht jetzt! Bleib wach!“, flehte meine Schwester. „Sie ist gekommen, ist gestern hier angekommen um dich zu sehen! Bleib wach Kelly, bleib bitte wach.“
Ihre Worte sickerten nur langsam zu mir durch. Melina soll gekommen sein? Hierhin zu mir? Meine Müdigkeit verschwand nicht, doch sie verringerte sich. Ich schaffte es die Augen aufzuhalten und sah vor mir die verschwommene Gestalt meiner Schwester.
„Melina kommt?“, fragte ich mit schwacher Stimme.
„Ja, ja sie kommt. Du darfst nicht sterben, bitte.“ Sie weinte vor Erleichterung, als sie sah dass ich nicht einschlief.
„Melina kommt wirklich?“, wiederholte ich fragend. Dieser Fakt saß in meinem Kopf fest. Alles um mich herum drehte sich, mein Blick konnte sich auf nichts fixieren. Ich sah alles nur noch verschwommen.
„Sie wird kommen.“, versprach meine Schwester.
„Melina kommt.“, flüsterte ich. Jeder Herzschlag gegen meine Brust schmerzte und ich wollte nichts anderes, als endlich schlafen und nie wieder aufzuwachen. Doch dieser Gedanke, dass Melina kommt...  sie hielt mich davon ab zu schlafen. 
Melina. Ihr Name kreiste fortwährend in meinem Kopf. Wird sie tatsächlich kommen?

Ein Türschlagen ertönte und mein Herz gab einen freudigen Ruck von sich. War das Melina? Ich wandte meine Kopf in die Richtung, sackte dann jedoch enttäuscht zusammen. Es war nur eine Krankenschwester die meine Schwester bat, mit ihr zu kommen.
„Kelly, du darfst auf keinen Fall einschlafen okay?“, mahnte sie mich mit zitternder Stimme. „Denk dran, dass du gleich Besuch bekommst.“ Danach ging sie mit der Krankenschwester mit und ich war alleine.
Meine Kopf drehte sich, alles tat weh. Wie lange hatte ich noch? Wochen, Tage, Stunden oder womöglich nur Minuten? Würde ich den heutigen Tag noch überleben oder werde ich morgen bereits tot sein? Diese Ungewissheit war noch schlimmer als das Wissen, dass ich in Kürze dem Tod begegnen würde. Wie lange würde es noch dauern?
Zeit verging. Ich wartete und wartete, doch niemand kam. Es wurde immer schwieriger, wach zu bleiben. Sie würde nicht kommen. Tränen stiegen mir in die Augen und das Stechen in meiner Brust wurde schlimmer. 
Ich hatte so sehr gehofft, dass sie wirklich kommen würde. Doch offensichtlich war es nur eine leere Hoffnung gewesen. Ob meine Schwester die Wahrheit gesagt hatte? Oder wollte sie nur, dass ich einen Grund hatte, um wach zu bleiben?
Eine Frage nach der anderen stürmte in meinen Kopf, doch auf keine hatte ich auch nur eine einzige Antwort. Das Piepen neben mir wurde etwas langsamer. Oder bildetet ich mir das nur ein? Ich wusste es nicht und es war mir auch egal. Meine Sicht verschwamm, ich fühlte mich plötzlich komplett schwerelos.

War es das jetzt? Würde ich jetzt sterben? Ich fühlte mich nicht so, als hätte ich noch die Kraft, einen weiteren Tag zu überleben. Müde... ich war so schrecklich müde. Meine Augen fielen langsam zu, mein Atem wurde flacher... sollte ich einfach loslassen? Es hatte doch alles eh keinen Sinn mehr...
Kurz glaubte ich, ein Geräusch zu hören, doch danach herrschte wieder Totenstille, also hatte ich mich vertan. Auf meine Sinne war auch kein Verlass mehr, alles ließ mich im Stich... vor meinen Augen schien es beinahe schon zu flackern, meine Sicht verdunkelte sich leicht.
Es wäre so schön gewesen, Alen einmal gesehen. Aber das würde wohl doch nur ein unerfüllter Wunsch bleiben.
Eine Träne lief mir über die Wange. „Melina.“, murmelte ich vor mir hin. „Ich wünschte, ich hätte dich hier.“

Plötzlich umschloss eine warme Hand die meine und streichelte sanft über meinen Handrücken. „Ich bin doch da.“, flüsterte eine mir bekannte Stimme in die Stille hinein.
Ich schreckte überrascht zusammen, das Piepen neben mir machte ebenfalls einen hastigen Doppelklang. Zitternd drehte ich meinen Kopf und sah ein Mädchen neben meinem Bett stehen. Genau konnte ich sie nicht sehen, meine Sicht war immernoch leicht verschwommen. Doch mein Kopf erkannte sie trotzdem sofort. Ich sah die braunen Haare, die warmen Gesichtszüge, den zarten Körperbau und die blauen Augen, die mich musterten. Melina.
„Du bist wirklich da.“, sagte ich leise. Meine Augen füllten sich erneut mit Tränen. So oft wie heute hab ich noch nie geweint. 
„Natürlich bin ich hier. Denkst du, ich lass dich so einfach gehen?“ Ich spürte, wie sich ihre Finger mit meinen verschränkten. War das Wirklichkeit? Oder träumte ich nur? Aber es fühlte sich so verdammt real an.
„Kelly.“ Ihre Stimme war nur ein leises Flüstern. „Bitte sag mir, dass das nicht wahr ist.“ Ihre Stimme zitterte. Sie hörte sich an, als ob sie den Tränen nahe war. „Bitte sag mir, dass alles wieder gut wird.“
Ich konnte ihre bittenden und flehenden Gesichtsausdruck nicht ertragen und wandte den Kopf ab. Vorsichtig richtete ich mich auf. Ihre Anwesenheit hatte mir meine Müdigkeit geraubt und mir meine Kraft zurückgegeben. Doch sie anzusehen brachte ich nicht übers Herz.
„Ich wünschte es, doch es ist nicht so.“
„Nein.“ Ihre Finger schlossen sich so fest um meine, dass es beinahe schmerzhaft war. Ihre andere Hand legte sich an meine Wange und zwang mich, sie anzusehen. Sie war blass und in ihren Gesicht spiegelte sich Trauer, Enttäuschung und Hoffnung. Unglücklich musste ich feststellen, dass auch ihre Augen in Tränen schwammen. „Das darf nicht sein.“ Sie ließ sich auf das Bett sinken, als würde sie auf einmal alle Kraft verlassen. 
Ich ließ ergeben den Kopf sinken. „Ich wünschte ich könnte etwas dran ändern.“
„Nein!“ Sie rief es so laut aus, dass ich erschrocken zusammen zuckte. Vollkommen unglücklich sah sie mich an und nahm mein Gesicht in ihre beiden Hände. „Du hast es mir versprochen. Weißt du noch? Du und ich.“, erinnerte sie mich und ich stellte todunglücklich fest, dass ihr Tränen über die Wangen liefen. „Du hast mir versprochen, dass du immer nur meine bist.“
„Das bin ich doch auch.“, erwiderte ich voller Trauer.
„Aber du gehst einfach! Du lässt mich hier einfach allein.“ Sie lehnte ihre Stirn gegen meine und machte ergeben die Augen zu. Ich konnte ihren Atem auf meinem Gesicht spüren. 

Kellina OSWo Geschichten leben. Entdecke jetzt