Die Angst (1-6)

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So leise sie konnte, schlich sie sich durch die Dunkelheit wieder zurück zum Bett, hob die Decke an und schob sich endlich wieder rückwärts in das warme, weiche Nest.
Sie hatte sich gerade wieder eingekuschelt, wollte sich umdrehen, als auch schon etwas an sie heranrückte. Ein Lächeln schlich sich auf ihre Lippen bei diesen warmen Körper und der verschlafenen Stimme: „Wo warst du solange?"
Kelly schien immer zu bemerken, wenn sie das Bett verließ. Egal zu welcher Uhrzeit, egal wie leise und vorsichtig...
„Im Badezimmer", wisperte Melina zurück, legte ihre Hand auf Kelly's, die sie auf ihre Schulter gelegt hatte, während sie fast ganz an sie herangerückt war.
Kelly gab erst nur einen Laut von sich, dann fragte sie leise: „Warum bist du so eisig kalt?"
Melina lief kurz eine Gänsehaut über den Körper, aber sie antwortete ausweichend: „Im Badezimmer ist das Fenster offen."
Wieder gab Kelly nur einen schwachen Laut von sich und dann merkte Melina, wie sie sich hinter ihr plötzlich aufrichtete und mit wacher Stimme sagte: „Okay, ich komme mir mit meinen Fragen fast wie Rotkäppchen vor, die gleich vom bösen Wolf gefressen wird, aber... Warum zitterst du so, Melina?"
Natürlich hatte Kelly es bemerkt. Und natürlich könnte und würde Melina nicht behaupten, es läge an der Kälte im Badezimmer, dass sie noch immer zitterte. Sie wollte mit Kelly darüber sprechen. Obwohl Kelly lieber schlafen sollte, wollte Melina ihr gerne wissen lassen was los war.
Langsam richtete sie sich ebenfalls auf und drehte sich zu Kelly. Nur schwach waren ihre Umrisse in der Dunkelheit zu erkennen.
Tief atmete Melina durch, bevor sie leise erklärte: „Ich weiß nicht, was mit mir los ist, Kelly, aber ich fühle mich ganz schrecklich. Ich bin seit fast einer Stunde wieder wach und... Ich weiß es nicht. Ich habe das Gefühl, ich müsste mich übergeben."
Sie waren erst kurz vor Mitternacht ins Bett gegangen. Melina hatte noch auf die Uhr gesehen, wie der nächste Tag angefangen hatte, und kurz danach war sie eingeschlafen. Um zwei Uhr morgens war sie schweißgebadet aufgewacht und seitdem konnte sie nicht mehr einschlafen.
„Das klingt, als würdest du krank werden", stellte Kelly sanft fest, fuhr ihr dabei mit der Hand durchs Haar wie einem Kind, das sie umsorgen musste.
Und Melina konnte es darauf belassen, aber sie wollte, dass Kelly es verstand. „Das ist es nicht. Ich fühle mich unwohl, aber nicht im sinne das ich krank werde. Ich... Ich habe einfach Angst. Irgendwie habe ich einfach Angst." Sie konnte nicht die riesige Hilflosigkeit beschreiben, die sie fühlte, nicht diese Machtlosigkeit, diese... Ohnmacht.
Aber Kelly schien auch so zu verstehen, zog sie an sich, und Melina liebte die warmen Arme ihrer Freundin, vergrub sich darin.
„Du hast sicher schlecht geträumt. Aber du musst keine Angst haben. Es ist alles in bester Ordnung."
Und Melina wünschte sich, sie könnte das auch so fühlen, aber da war diese Angst in ihr und... Abrupt löste sie sich von Kelly und sprang auf. „Ich gehe nur kurz auf die Toilette ", erklärte sie und schon hatte sie den Raum verlassen. Während sie auf der Toilette war und sie in den Spiegel sah, wurde ihr klar, vor was sie Angst hat. Sie hatte keine Angst das ihr was passiert oder jemanden aus der Gang . Die große, unnatürliche Angst, die sie nun fühlte, galt der Frau, die sie im Schlafzimmer zurückgelassen hatte.
Als sie dorthin zurückkam, saß Kelly aufrecht im Bett, hatte die Nachttischlampe eingeschaltet und rieb sich müde die Augen.
„Geht's dir gut?", fragte sie sofort, kaum hatte sie Melina bemerkt.
Und natürlich nahm sie Melina Angst ernst genug. So irrational sie war, Kelly konnte sich natürlich vorstellen, dass es einen wahren Grund für sie gab.
Melina nickte schwach, setzte sich wieder aufs Bett und ohne Umschweife sorgte Kelly dafür, dass sie auch wieder unter der Decke war.
„Ich weiß nicht, was los ist", gestand Melina dann abermals leise und sah Kelly in die Augen, die ihr immer Halt gaben. Die Angst umklammerte plötzlich eiskalt ihr Herz. Wie lange würde sie noch in diese wunderschönen Augen gucken können?
Ihr stiegen die Tränen in die Augen wenn sie dran denkt das sie die Liebe ihres Lebens verlieren könnte. „Kelly. Irgendetwas wird heute passieren. Ich habe das Gefühl, dass heute etwas ganz Schlimmes passieren wird." Mit dir, fügte sie in Gedanken hinzu, aber sie konnte es nicht aussprechen. Die Angst würde nur noch realer werden, würde sie es so genau definieren.
Schon zog Kelly sie wieder an sich, zog sie wieder in ihre Arme. „Alles wird okay sein, Melina", wisperte sie. „Es wird nichts passieren."
Und Melina wünschte sich doch nichts mehr, als es genauso fühlen zu können, stattdessen konnte sie nicht anders, als sich bei Kelly festzuklammern, als würde es eventuell das letzte Mal sein, als hätte sie nur diese Chance, als müsste sie Kelly festhalten, damit sie nicht verschwinden würde.
Und Kelly hielt sie einfach, still und fest.
Sie blieben lange so und Melina schlief sogar fast ein, aber das Gefühl in ihr hielt sie wach. Kelly dagegen schlief irgendwann ein.
Als Melina es bemerkte, löste sie sich von ihr, schob sie in eine liegende Position und schaltete das Licht aus gab ihr noch ein sanften liebevollen Kuss auf die Wange, bevor sie sich wieder eng an sie kuschelt.
Solange sie beieinander waren, konnte keinem von ihnen etwas passieren.

Kellina OSWo Geschichten leben. Entdecke jetzt