Vorbei (4/ ?)

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Ich wünschte, ich hätte ihre positive Einstellung. Doch dafür war ich einfach zu realitätsgebunden. Ich rechnete nicht damit, dass ich diesen Herzfehler leben überstehen würde. Doch ich wollte ihr nicht mehr widersprechen. Ganz ruhig und still genoss ich es einfach, bei ihr zu sein. 
Ich wusste nicht, wieviel Zeit verging, während wir einfach miteinander waren. Für mich hatte Zeit keine Bedeutung mehr. Mir blieb sowieso nicht mehr viel.
Wie sie wohl reagieren würde, sollte ich tatsächlich nicht überleben? Ich wollte es nicht wissen. Doch ich hoffte, dass sie auch ohne mich glücklich werden konnte. Aber beim Gedanken, dass sie sich wieder neu verlieben und ihr Herz einem anderen Mädchen schenken könnte, spürte ich einen tiefen Stich in meiner Brust. 
Überhaupt hielt dieses Stechen in meiner Brust schon seit einer ziemlichen Weile an. Was war das nur? Es war nicht schmerzhaft nur unangenehm. Das unregelmäßige Piepen nahm auch schon einen langen Zeitraum in Anspruch. Was war nur los mit mir? Oder besser gesagt mit meinem Herzen? Ich fühlte mich müde und ausgelaugt, als wäre ich einen Marathon gerannt. Eigentlich wollte ich nichts lieber als schlafen, doch ich würde es auf gar keinen Fall tun. Dafür war mir der Moment mit Melina viel zu kostbar.

Ein Geräusch unterbrach unserer Zweisamkeit. Eine Tür, die auf und wieder zugeschlagen wurde und Schritte, die danach folgten. Wer das wohl war?
Ich löste mich widerwillig von Melina und schaute zum Gang. Wer auch immer da kam, kam mit Sicherheit wegen mir.
Es war der Stationsarzt. Er nickte Melina kurz zu und wandte sich dann an mich. „Wie fühlst du dich?“
„Müde, ausgelaugt.“, antwortete ich wahrheitsgemäß. Ich war nervös, was unüberhörbar war. Das Piepen steigerte sich. Mit gerunzelter Stirn beobachtete der Arzt den Monitor und zog dann eine kleine Lampe aus seinem Kittel.
Er leuchtete mir kurz in die Augen. Danach griff er nach meinem Handgelenk und überprüfte den Puls. Was wurde das? Normalerweise blätterte er einmal kurz meine Akte durch und schaute sich höchstens noch den Monitor an. Eine Untersuchung hatte er noch nie gemacht.
Jetzt zog er noch ein Stethoskop hervor und bat mich, ruhig sitzen zu bleiben, während er mein Herz und meine Atmung abhörte. Das war doch vollkommen unnötig, zeigte diese Gerät neben mir nicht jeden meiner Herzschläge an? Warum musste er sie noch abhören?
Alen beobachtete die Untersuchung mit unergründlicher Miene. Was er wohl grade dachte? Wie gerne würde ich jetzt in seinen Kopf sehen können.

„Du darfst dich unter keinen Umständen mehr irgendwie aufregen.“, mahnte mich der Arzt und packte das Stethoskop wieder weg. „Dein Herzschlag ist schwächer geworden. Jede Aufregung könnte lebensgefährlich werden.“
Und wenn ich mich nicht aufrege, bleibe ich am Leben oder wie?Beinahe wäre mir das Satz herausgerutscht, doch ich kratzte noch im letzten Moment die Kurve. Schließlich konnte er nichts dafür. „Ja, ich gebe mir Mühe.“, sagte ich stattdessen.
„Gut. Hast du sonst noch irgendwelche Beschwerden?“, erkundigte er sich.
„Nur das ich sterbe, aber das ist Nebensache.“, murmelte ich so leise, dass keiner es hörte. Jedenfalls hatte ich das gehofft, doch es war so still im Zimmer, dass alle meine Worte mitbekamen. Sofort spürte ich, wie sich Melina's Arme um mich legten. „Rede nicht so.“ Sie streichelte meinen Rücken. Der Arzt schwieg.
„Führt daran kein Weg vorbei?“, fragte Melina den Arzt. Sein Tonfall klang leidend. „Kann man nicht irgendwie helfen?“
Der Stationsarzt warf zunächst mir einen Blick zu, als würde er meine Bestätigung brauchen, ehe er Melina etwas erzählte. Ich nickte ergeben und lehnte mich an Melina.
„Alles was wir hier machen können ist abwarten und auf ein Wunder hoffen. Doch die Wahrscheinlichkeit, dass dieses Wunder auch eintrifft liegt mittlerweile bei unter Zehn Prozent, da wir sie vorhin bereits beinahe verloren hätten. Wir müssen das Ende des Tages abwarten. Sollte noch so eine Infarkt eintreffen und sie überlebt ihn steigt wieder die Wahrscheinlichkeit, dass sie es übersteht, da wir dann eine Gewissheit haben, dass ihr Herz diesem Fehler gewachsen ist. Doch so leid es mir tut und so gerne ich helfen würde, im Moment kann ich nichts mehr für sie tun.“

„Nein.“, flüsterte Melina. „Nein, das darf nicht sein.“ Ich drehte mich zu ihr und sah, dass ihr alle Gesichtszüge entglitten waren. Nacktes Entsetzen spiegelte sich in ihren Augen wieder.
„Melina.“ Ich wollte irgendetwas tun oder sagen, wollte ihr irgendwie helfen, sodass diese Trauer aus ihren Gesicht verschwand.
„Nein.“, wiederholte sie. Ich sah, wie ihre Augen sich mit Tränen füllten und ihr über die Wangen liefen. Automatisch streckte ich die Hand aus, um sie wieder wegzuwischen doch ich dazu kam hatte sie ihr Gesicht an meinem Hals vergraben und zu meinem Entsetzen musste ich hören, dass sie schluchzte. Seine Tränen befeuchteten meinen Hals.
„Melina.“, sagte ich erneut, auch den Tränen nahe. „Bitte, wein nicht.“
„Du darfst nicht gehen. Das kannst du nicht tun, bitte.“, flehte sie.
„Ich wünschte ich könnte irgendetwas dagegen tun.“, sagte ich bedrückt, während auch ich nun zu weinen anfing.
„Du musst hierbleiben Kelly. Du hast es mir versprochen. Du...“ Ihre Worte gingen in dem Schluchzen unter, dass ihren Körper durchschüttelte. Ich konnte nichts anderes tun außer sie zu umarmen und festzuhalten. 
Es ist beinahe so, als wären unsere Rollen vertauscht, dachte ich mir. Eigentlich müsste ich hier am Weinen sein, denn ich war es, die nicht mehr lange zu leben hatte. Doch im Moment machte mir mein bevorstehender Tod gar nichts aus, ihre Tränen erschienen mir sehr viel schlimmer.

Ich legte meine Hände an ihr Gesicht und zog es so, dass sie gezwungen war, mich anzusehen. „Ich gehe nicht ganz weg.“, sagte ich und legte eine Hand auf ihr Herz. „Weißt du noch? Da bin ich doch noch drin richtig? Oder wirst du mich etwa vergessen?“
„Niemals!“ Sie legte ihre Hand auf meine, sodass ich ihr Herzschlag noch fester unter meiner Hand spüren konnte. „Das wird immer nur dir gehören.“
„Und meins immer nur dir. Also wird ein Teil von mir immer bei dir sein.“ Ich lächelte unter Tränen. „Tot ist man erst, wenn sich niemand mehr an dich erinnert. Solang ich in deinem Kopf bin, selbst wenn es nur als Erinnerung ist, werde ich weiterleben.“
„Wie könnte ich mich nicht an dich erinnern? Du bist so tief in mein Herz gebrannt, dass wird sich mein Leben lang nicht ändern.“ Sie streichelte über meine Wange und ein unglücklicher Miene zierte ihr Gesicht. „Ich liebe dich Kelly.“
„Ich liebe dich auch.“

Kaum hatte ich diese Worte ausgesprochen, geschah es plötzlich. Ich fühlte mich als würde mir jemand mit gewaltiger Wucht gegen meine Brust schlagen.  Keuchend krümmte ich mich zusammen und versuchte Luft zu holen. Ich bekam grade noch mit, wie das ständige Piepen zu durchgehenden Ton wurde. Dann zog mich die Dunkelheit in sich.

Kellina OSWo Geschichten leben. Entdecke jetzt