Psychose - Dienstag

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Das Telefon hat geklingelt!
Ich muss nach meinem Ausraster gestern vor Erschöpfung eingeschlafen sein. Ich bin zum Klingeln meines Handys aufgewacht und rannte ins Badezimmer, stellte mich auf die Toilette und klappte das an die Decke geklebte Telefon auf.
Es war Amy, weswegen es mir gleich besser ging. Sie hat sich wirklich Sorgen um mich gemacht und hat offenbar schon seit unserem letzten Gespräch versucht, mich zu erreichen.
Sie kommt jetzt her und ja, sie wusste, wo ich bin, ohne dass ich es ihr gesagt habe. Das ist mir dermaßen peinlich, ich werde dieses Journal definitv wegwerfen, bevor es irgendjemand sieht. Ich weiß nicht einmal, warum ich es gerade fortführe. Vielleicht weil es die einzige Form der Kommunikation ist, die ich seit wasweißich wie lang hatte.
Ich hab in den Spiegel geguckt, bevor ich hier reingekommen bin und ich sehe ziemlich furchtbar aus. Meine Augen sind eingesunken, meine Stoppel haben sich vermehrt und ich mache allgemein einen recht ungesunden Eindruck.

In meiner Wohnung sieht es aus wie bei Hempels unterm Sofa, aber ich habe keine Lust, sie aufzuräumen - die anderen sollen sehen, was ich durchgemacht habe. Dies letzten paar Tage waren definitiv NICHT NORMAL. Ich hab das alles nicht geträumt. Ich bin wohl eher das Opfer einer Verkettung unglücklicher Umstände. Ich habe eher ein Dutzend Gelegenheiten verpasst, andere Leute zu treffen, was kein Wunder ist, wenn man sich erst spät in der Nacht aus der Wohnung traut, oder mitten am Tag, wenn niemand da ist.
Alles ist vollkommen in Ordnung, das weiß ich jetzt. Außerdem hab ich letzte Nacht etwas im Schrank gefunden, das mir sehr geholfen hat: einen Fernseher!
Ich hab ihn aufgestellt, bevor ich angefangen habe zu schreiben und jetzt läuft er im Hintergrund. Das Fernsehen war für mich immer eine wunderbare Möglichkeit mich abzulenken und es erinnert mich daran, dass es auch außerhalb dieser dicken Mauern eine Welt gibt.

-

Ich bin froh, dass Amy vor allen anderen auf mein ausgeflipptes Rundschreiben letzte Nacht reagiert hat. Sie war schon immer meine beste Freundin. Sie weiß es nicht, aber für mich gehört der Tag, an dem wir uns getroffen haben, zu den glücklichsten Momenten meines Lebens.
Ich kann mich noch gut an diesen warmen Sommertag erinnern; von diesem dunklen, regnerischen, einsamen Ort aus betrachtet wirkt er wie eine andere Welt. Obwohl ich zum Spielen schon viel zu alt war,
hab ich gefühlt Tage auf diesem Spielplatz verbracht und nur mit Amy geredet. Ich erinnere mich gern an diesen Moment und er erinnert mich daran, dass dieses Loch hier nicht alles ist – endlich, jemand klopft an der Tür.

Es kam mir recht komisch vor, dass ich sie nicht durch die Kamera zwischen den beiden Getränkeautomaten sehen konnte. Ich vermutete, ich habe sie nicht richtig ausgerichtet, so wie ich kaum aus dem kleinen Fenster der Haustür sehen konnte. Ich hätte es mir denken können... Ich hätte es mir denken können! Nachdem es geklopft hat, rief ich im Scherz durch die Tür, dass ich eine Kamera zwischen den Getränkeautomaten versteckt hätte, weil es mir peinlich sei, dass ich mich von dieser Paranoia so weit treiben ließ. Gleich darauf sah ich ihr Bild, wie sie Richtung Kamera lief und darauf herunter sah.
Sie lächelte und winkte.

»Hey«, sagte sie fröhlich zur Kamera und sah sie schief an.

»Es ist verrückt, ich weiß«, sagte ich an das Mikrofon an meinem Rechner. »Die letzten Tage waren ziemlich verrückt.«

»Sieht so aus. Mach doch die Tür auf«, antwortete sie.

Ich zögerte.
Wie konnte ich sicher sein?

»Lass mir doch mal meinen Willen«, sagte ich ihr durch das Mikro. »Sag mir was über uns. Beweis mir einfach, dass du es bist.«

Sie blickte verwirrt in die Kamera.

»Äh, okay«, sagte sie nachdenklich. »Wir haben uns ab und zu auf dem Spielplatz getroffen, obwohl wir dafür schon zu alt waren!«

Ich seufzte erleichtert, als die Angst verflog und die Realität mich einholte. Gott, ich war so durcheinander. Natürlich war das Amy! Von diesem Tag wusste die Welt nichts, nur wir. Ich habe niemandem etwas davon erzählt, nicht aus Beschämung, sondern um ein Geheimnis zu haben und weil ich diesen Tag wiederhaben wollte. Wenn da eine unbekannte Kraft hinter mir her war, wie ich befürchtete, konnte sie sicher nichts von diesem Tag wissen.

»Haha, richtig. Ich erklär dir alles. Bin gleich da«. sagte ich ihr.

Ich rannte in mein kleines Bad und richtete meine Haare so gut her wie ich konnte.
Ich sah furchtbar aus, aber das würde sie schon verstehen.
Ich ging zur Tür, kichernd über mein unglaubliches Verhalten und den Saustall, den ich dabei angerichtet hatte. Ich hatte die Hand schon am Türknauf, als ich einen letzten Blick auf das Chaos in meiner Wohnung.
Wie lächerlich, dachte ich.
Mein Blick strich über das halb gegessene Essen auf dem Boden, den überlaufenden Mülleimer und das Bett, das ich umgestürzt habe, während ich wasweißich gesucht habe. Ich hatte die Tür fast geöffnet, als mir die Webcam auffiel. Die Webcam, die ich für diesen einen gruseligen Chat mit meinem Bekannten benutzt habe.

Sie lag, achtlos umgeworfen, auf der Seite und betrachtete den Tisch, auf dem dieses Journal lag. Ein überwältigender Schock überkam mich, als ich begriff, was man durch diese Kamera sehen konnte: Meine Erzählung über diesen einen Tag, die Antwort auf die Frage, die ich Amy gestellt habe und von der ich dachte, dass sie niemand kennt – aber es kannte sie.
ES KANNTE SIE DIE GANZE ZEIT! ES HÄTTE MICH DIE GANZE ZEIT BEOBACHTEN KÖNNEN!

Ich habe die Tür nicht geöffnet. Ich habe stattdessen geschrien. Ich schrie, wegen des unbeschreiblichen Terrors,
ich warf die Webcam auf den Boden und zertrat sie.
Die Tür bebte und jemand versuchte, den Türknauf zu drehen, aber ich hörte Amys Stimme nicht durch die Tür.
War die Kellertür zu dick?
Oder war Amy nicht da draußen? Was war es, das versuchte, hier hereinzukommen, wenn nicht sie? Was zur Hölle ist da draußen?
Ich sah sie auf meinem Rechner, ich hörte sie durch die Lautsprecher, aber war sie das wirklich?
Woher hätte ich das wissen können?
Sie ist jetzt weg – und ich hab nach Hilfe geschrien.
Ich habe mit allem, was in der Wohnung herumstand, die Tür verbarrikadiert.

- Fortsetzung folgt -

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