Vor meinem Fenster tobt es, als würde jeden Moment die Welt untergehen. Hagelkörne knallen hart gegen die Scheibe und laut auf die Autodächer. Blitze erhellen die Nacht, während Donner den Boden zum Beben bringt. Fest ziehe ich meine Decke bis zu meiner Nasenspitze hinauf. Angst habe ich keine, doch mein ganzer Körper zittert vor Kälte. Es ist bereits Frühling, doch die Nächte sind immer noch so frostig wie im Herbst. Mein grauer Pulli in Übergröße hält mich zwar oben war, doch die kurzen rosa Shorts sind kaum hilfreich. Bei solch einem Wetter würde ich normalerweise heizen, doch wie immer in diesem Haus, ist wieder einmal alles kaputt. Bereits vor einem Monat hatten wir zwei Stromausfälle für mehrere Stunden. Und davor gab es einen Wasserrohrbruch ein Stockwerk über uns, woran wir selbstverständlich auch teilhaben durften. Putzeimer standen überall in der Wohnung, damit unser Boden unbeschadet blieb. In der Nacht aufstehen und die Eimer wechseln war wahrlich kein Vergnügen. Unter meiner Decke ziehe ich meine Beine an, doch ich zittere immer noch als hätten wir minus dreißig Grad. Ein hitziger Gedanke steigt mir in den Kopf. Nein, das kann ich nicht machen. Sofort versuche ich mich auf etwas anderes zu konzentrieren. Wieder und wieder schweife ich zu meiner brillanten Idee ab. Ich schmunzle. Würde es ihm etwas ausmachen? Ohne richtig darüber nachgedacht zu haben, schwinge ich meine Beine aus dem Bett. Mit schnellen Schritten tapse ich aus meinem Zimmer. Vor Steves Tür bleibe ich stehen. Soll ich das wirklich machen? Der eisigkalte Windzug um meine Beine beschleunigt meine Gedanken. Ich öffne leise die Tür und trete ein. Seelenruhig liegt er in seinem Bett und schläft. Muss ich ihn wecken und fragen? Ich schüttle den Kopf. Vielleicht bemerkt er es erst morgen früh. Auf Zehenspitzen schleiche ich auf die freie Hälfte seines Betts zu. Glücklicherweise knarzt keine einzige Diele unter mir. Sachte hebe ich die Decke an und lege mich vorsichtig hinein. Sollte er aufwachen, habe ich einen neuen Top-10 -Peinlichkeitsmoment. Behutsam rücke ich ein Stück näher und spüre schon die Wärme, die von ihm ausgeht. Wie ein Baby schläft er tief und fest. Was für ein Glück. Aber wenn ihn die Hagelkörner nicht aufwecken können, warum sollte ich es dann? Ich drehe mich auf meine rechte Schulterseite und sehe ihn kurz an. Meine Gänsehaut ist vergessen und mein Zittern verschwunden. Langsam entspanne ich mich. Steves Wärme füllt mich komplett aus. Ich kuschle mich in die Decke und schließe meine Augen. Eine Welle seines Geruchs kommt mir entgegen, als ich mein Gesicht in der Decke vergrabe. Meine Bedenken sind wie weggeblasen. Angenehm vermischt sich sein Geruch mit meinem und lässt mich endlich müde werden. Ich komme ihm noch ein kleines Stück näher, sodass er nur noch wenige Zentimeter entfernt ist. Kurz bevor ich einschlafe, erklingt ein leichtes Räuspern vor mir. Auf der Stelle schlage ich meine Lider wieder auf. Steve dreht sich auf seine linke Schulterseite und könnte mir nun direkt in die Augen sehen, würde er sie öffnen. Die Spucke bleibt mir im Halse stecken. Möglicherweise war das doch kein guter Plan. So nah wie jetzt waren wir uns schon lange nicht mehr gewesen. Doch wesentlich intimer, wenn ich mich recht entsinne. Bei dem Gedanken an diesen einen Tag, steigt mir sofort wieder die Röte ins Gesicht. Ich schäme mich immer noch in Grund und Boden. Vor wenigen Monaten war ich an meinem persönlichen Tiefpunkt angelangt. Wäre Steve nicht gekommen, wäre wer weiß was passiert. Ich war am Boden, doch hätte ich diesen Fehler nicht begangen, stände ich immer noch im ungewissen. Ich habe Steve noch nichts davon erzählt, weil er über dieses Thema nicht sprechen wollte. Ich verstehe ihn zwar, aber mit irgendjemandem muss ich darüber reden. Schließlich ist er der einzige, der davon weiß. Mit der Bedingung, dass ich etwas dergleichen nie wieder versuche und ab jetzt keine Türen mehr verschließe, versprach er mir weder Nick noch sonst jemandem davon zu erzählen. Ich bin ihm dafür unendlich dankbar, denn Nick hätte sich vor lauter Wut wahrscheinlich nicht mehr einkriegen können. Und wenn er geschrien hätte, wäre mir eventuell noch etwas rausgerutscht. Wie die Kette um meinen Hals hüte ich dieses Geheimnis. Nicht einmal Steve habe ich davon erzählt. Die einzige die es weiß, bin ich und Clint vielleicht, sollte er sich noch daran erinnern. Dieses Risiko will ich allerdings nicht eingehen, sollte er es dann doch nicht mehr wissen. Ein-zwei Tage nach meiner Rückkehr stand Nick schon vor der Tür. Bevor es ihm gelang mich wegen meinem kleinen Ausflug runter zu machen, hat Steve ihn beruhigt und ihm die Lage erklärt. Ich konnte ihm seinen Ärger immer noch ansehen, als er in mein Zimmer kam, doch er sagte nichts, sondern tröstete mich stattdessen. Rückliegend betrachtet hätte er es auch lassen können, denn es hat kein Stück geholfen. Das einzige was half, war mein kleines Experiment, wie ich es lieber bezeichne. Alles klingt besser als die Tatsache.
„Zoe?", reißt mich plötzlich Steves Stimme aus meinen Gedanken. Erschrocken halte ich den Atem an. Verwirrt stützt er sich angewinkelt auf seinen linken Arm. „Was machst du hier?" Beschämt versuche ich ihm nicht in die Augen zu sehen.
„In meinem Zimmer ist es kalt, also dachte ich..." Ich stoppe und kaue auf meiner Unterlippe. Nur langsam versteht er.
„Wieso hast du mich nicht geweckt?", fragt er.
„Ich wollte deinen Schlaf nicht stören", antworte ich mit hitzigen Wangen. Boden, bitte öffne dich so schnell wie möglich.
„Ist dir immer noch kalt?", hakt er nach.
Ich schüttle meinen Kopf. „Nur noch ein bisschen." Prüfend sieht Steve mich an. Wie ein Schutzschild habe ich die Decke um mich geschlungen.
„Das muss dir nicht peinlich sein", kommentiert er mein vermutlich knallrotes Gesicht. „Mein Bett steht dir jederzeit offen." Automatisch weiten sich meine Augen. Steve bemerkt seine Schlechte Wortwahl und lacht.
„Ich meine, wenn du frierst kannst du mich ruhig wecken", korrigiert er sich und schmunzelt. Hoffentlich werde ich diese Gesichtsfarbe jemals wieder los.
„Soll ich wieder gehen?", frage ich trotz seiner Aussage. Ich will wirklich nicht, dass er sich unwohl fühlt. Zu mindestens nicht wegen mir.
„Nein", antwortet er mit ruhiger Stimme. Sanft streicht er mir eine Strähne hinter mein Ohr, ohne mich dabei aus den Augen zu lassen.
„Dreh dich auf die andere Seite", verlangt er dann. Verwirrt sehe ich ihn an. Langsam folge ich seiner Anweisung und drehe mich auf die andere Schulterseite. Hinter mir höre ich das Rascheln der Decke. Wie ein Boot auf hoher See, bewegt sich die Matratze. Meine Decke wird ein kleines Stück angehoben. Wie aus dem Nichts legt Steve seinen Arm an meinen Bauch und zieht mich an seine Brust. Die Decke schmiegt sich wieder an uns. Ohne zu wissen was ich tun soll bleibe ich still. Was soll ich jetzt auch schon machen? Ihn vielleicht wegstoßen und zulassen, dass dadurch unsere Freundschaft womöglich zu Grunde geht? Eher fange ich mir eine Kugel ein.
„Dir müsste nun warm werden", murmelt er in mein Ohr. Warm? Ich glühe als würde ich in Lava baden! Auch wenn mir gerade noch so kalt wie am Nordpol war, ist mir jetzt so heiß wie im Sommer Miamis. Und sein heißer Atem an meinem Nacken macht es nicht gerade einfacher. Unbehagen breitet sich in mir aus, doch irgendwie finde ich es auch angenehm. Versehentlich stoße ich gegen sein nacktes Bein. So genau wollte ich es zwar nicht wissen, doch er schläft wohl auch in Shorts. Meine Güte, was war das nur für eine selten dumme Idee! Ich versuche mich zu entspannen, aber seine Hand an meinem Bauch macht es mir unmöglich. Und die Hitze in meinem Nacken treibt mich gleich in den Wahnsinn, wenn ich nichts unternehme. Es passt kaum noch ein Blatt durch uns hindurch, doch Steve schafft es mich noch ein Stück näher an sich zu ziehen. Bis jetzt gab es nur einen Mann, der mir jemals so nahe war, aber da hatte ich keine Bedenken und war auch vollkommen entspannt. Aber das hier fühlt sich einfach nur seltsam an.
„Ich war achtzehn Minuten unter Wasser", platzt es aus mir heraus. Das Thema wollte ich eigentlich für einen anderen Zeitpunkt aufsparen, aber mir fällt gerade nichts ein.
„Was?", fragt er sichtlich irritiert.
„Als ich..." Ich suche die passenden Worte. „In der Wanne. Ich habe auf die Uhr gesehen." Steve schluckt schwer, als er versteht. Ich merke sofort wie er sich anspannt. „Loki hat mir mal erzählt, dass Sirenen sich an Land und im Wasser aufgehalten haben." Kaum hörbar seufzt Steve. Trotz seines festen Griffs schaffe ich es mich zu ihm zu drehen.
„Ich weiß, dass du darüber nicht reden willst. Aber es liegt mir schon so lange auf der Zunge, ich kann nicht mehr den Mund halten." Er presst seine Lippen zusammen und sieht mir still in die Augen.
„Ich glaube, egal wie lange ich mich runter gedrückt hätte, mir wäre nichts geschehen", flüstere ich. Es auszusprechen ist ein merkwürdiges Gefühl.
„Willst du es nochmal versuchen?", fragt er spöttisch. Sein Argwohn ist kaum zu überhören.
„So meinte ich es nicht", fange ich an, doch er lässt mich nicht aussprechen.
„Du hast versucht dich umzubringen, Zoe", unterbricht er mich mit erhobener Stimme. „Und das nur wegen ihm. Er hat es nicht verdient, das du so darunter leidest." Steves Verachtung gegen Loki ist größer als seine Wut auf mich.
„Wieso hast du das getan? Erkläre es mir endlich." Ich beiße die Zähne zusammen damit ich nicht direkt losheule.
„Es fühlte sich an als...als würde mir jemand mein Herz zerdrücken und mir meine Lunge zuschnüren", wispere ich. „Es war schrecklich. Ich konnte keine Sekunde an etwas anderes Denken, geschweige denn fühlen. Ich wollte, dass es aufhört." Meine Tränen lassen sich nicht länger zurückhalten und kämpfen sich frei. „Du hast keine Ahnung wie es war. Nacht für Nacht, jedes Mal wenn ich meine Augen geschlossen habe, sah ich ihn vor mir, tot. Ich wollte das nicht mehr, ich hielt es einfach nicht mehr aus." Ich schluchze vor mich hin und lasse meinen Tränen freien Lauf. Zu tausenden strömen sie in Steves Kissen. Sein Arm schließt sich wieder um mich und drückt mich fest an seine Brust.
„Es tut mir leid, das wollte ich nicht", murmelt er und küsst meinen Schopf. Er hat die Wunde zwar nicht wieder aufgerissen, aber ich kann nicht an Loki denken, ohne losheulen zu müssen. „Es tut mir leid", wiederholt er sich. Meine Hände liegen flach an seiner Brust, während ich mein Gesicht in seinem Shirt vergrabe. Gefühlte Stunden verbringen wir so. Wieder und wieder streicht er mir sanft über den Kopf.
„Ich habe über reagiert", flüstert er mir ins Haar. „Es war einfach nur-" Steve unterbricht sich. Ich strecke meinen Kopf zu ihm hoch und sehe ihn nach langer Zeit an. Er legt seine warme Hand an eine nasse Wange und sieht mir verloren in die Augen.
„Dich so zu sehen, das war zu viel, Zoe. Ich dachte für einen Moment du seist tot", fährt er fort.
„Ich wollte das nicht." Nervös beiße ich mir auf meine Unterlippe. Bis jetzt habe ich nur so einiger maßen offen mit Thor über Loki gesprochen, doch das auch vor seinem... Ein kalter Schauer legt sich über meinen Rücken. Ich will nicht darüber nachdenken. Aber wie soll ich das Verhindern?
„Ich glaube wir sollten jetzt schlafen", mein Steve, dessen Hand immer noch auf meiner Wange ruht.
„Ja", gebe ich zurück, rühre mich aber kein Stück. Seine Finger streichen mir eine Strähne hinter mein Ohr und bleiben an der Stelle haften. Immer noch starrt er mir eindringlich in die Augen. Kaum merklich kommt sein Kopf ein wenig näher zu mir. Panik breitet sich in mir aus.
„Gute Nacht", hauche ich und drehe mich zurück auf meine linke Schulterseite. Ich höre wie Steve laut ausatmet, fast so als wäre er enttäuscht. Jedoch hält ihn das nicht davon ab, dass er seinen Arm zurück auf die vorherige Stelle legt. Mit seinem heißen Atem in meinem Nacken schlafe ich nach einer gewissen Zeit ein.Na wie hat es euch gefallen? ;) Viele von euch sind ja eher Steve-Anhänger, weshalb ich hoffe, dass ich euren Herzen einen Gefallen getan habe :D
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Die letzte Sirene - The Winter Soldier
FanfictionNach dem Tod von Loki, schaffte es Zoe nur schwer zurück in den geregelten Alltag. Sie musste einiges ertragen und verarbeiten, doch dank Steve und ihren Freunden schaffte sie es sich aus ihrem Loch zu befreien. Normalität kehrte zurück, wenn auch n...