Prolog

1.3K 69 0
                                    

Langsam streifte sie sich den seidigen Stoff von den Schultern. Der rosafarbene Badmantel landete auf dem kalten Badezimmerboden. Vorsichtig, als hätte sie Angst, hob sie den Blick und sah in den Spiegel vor sich. Scharf zog sie die Luft ein. Ihr Gesicht sah schrecklich verquollen aus. Man sah ihr an, dass sie beinahe jeden Tag weinte. Ihre Augen waren stark gerötet und erschufen einen kränklichen Eindruck. Sie hasste sich selbst dafür, doch sie war machtlos. Egal was sie versuchte, nichts half. Nichts und niemand war dazu fähig ihr den Schmerz zu nehmen. Niemand konnte sie verstehen und ihr helfen. Sie wollte es nicht mehr. Sie wollte diesen zerstörerischen Schmerz nicht mehr mit sich tragen. Sie konnte nicht mehr. Der bloße Gedanke an diesen Moment fraß sie innerlich auf. Sein lebloses Gesicht hatte sich tief in ihr Gedächtnis gebrannt. Jedes Mal wenn sie die Augen schloss, sah sie es vor sich. Sein bleiches Gesicht, die glasigen, toten Augen, deren Licht langsam erlosch und seine bläulichen Lippen. Die Erinnerungen weigerten sich aus ihrem Kopf zu verschwinden und quälten sie jede Nacht – wieder und wieder. Seit Wochen hatte sie nicht mehr richtig geschlafen. Mit weniger als drei Stunden musste sie sich täglich zufrieden geben, denn länger hielt sie es nicht aus. Nacht für Nacht lag sie einfach nur still in ihrem Bett und starrte die Decke an.
Sie litt schrecklich. Keiner konnte sich den Schmerz vorstellen, den sie jeden Tag, Tag für Tag spürte.
Ein sanfter Windzug streifte ihre nackte Haut. Sie war bereit dazu. Der Schmerz hatte gewonnen und sie verloren. Mit kleinen Schritten tapste sie auf die Wanne zu. Sie war fast bis zum Rand gefüllt, würde aber nicht überschwappen, wenn sie sich hineinlegte. Zögernd, dennoch entschlossen, streckte sie einen Fuß rein. Gerade stellte sie sich hin und holte den Rest ihres Körpers nach. Sachte ließ sie sich nieder. Das warme Wasser umspielte ihre blasse Haut. Gebannt sah sie das schimmernde Wasser um sie herum an. Ihre letzten Momente, bis der Schmerz endlich verfliegen würde. Ein letzter Blick auf die Wanduhr im Zimmer verriet ihr die Uhrzeit.

20:38 Uhr

Ein zaghaftes Lächeln schlich sich auf ihre Lippen. Ein Lächeln zum Abschied.
Entschlossen legte sie ihre Hände an den Rand der Wanne. Tief atmete sie ein und wieder aus. Mit leerer Lunge spannte sie ihre Arme an und ließ sich sinken. Sie drückte sich bis an den Grund der Wanne. Ruhig schloss sie ihre Augen und genoss die Stille um sich herum. Alles fühlte sich wie in Zeitlupe an – jede Bewegung, jeder Gedanke. Zum ersten Mal seit langem nahm sie nichts als Ruhe war. Ihr Kopf war wie ausgeschalten. Keine Gedanken, keine Tränen, nichts. Endlich hatte es aufgehört. Die Last des Schmerzes fiel von ihr, wie ein Stein. Ihr Herz hörte auf zu bluten. Die Wunde begann zu heilen. Sie wusste, dass wenn sie aufhören würde, alles wieder zurückkommen würde. Wie ein Kartenhaus würden ihre Gefühle über ihr einstürzen und sie darunter begraben. Sie wäre für immer verloren. Ihr Frohsinn war schon lange verschwunden, doch so würde er niemals wiederkehren. Die Wunde ihres Herzens würde sich noch weiter und tiefer aufreißen. Sie würde daran zerbrechen.
Solange er nicht bei ihr war, würde sie für immer ihre Schmerzen erleiden müssen. Sie würden nie aufhören, nicht solange sie atmete. Er war genauso verloren wie sie, nur mit dem Unterschied, dass er nie zurückkehren konnte. Sie konnte sich noch stoppen, aber das wäre ihr Todesurteil. Sie hielt es nicht mehr aus und würde es auch nicht weiter schaffen. Sein Tod in ihren Armen war zu viel gewesen. Von ihm getrennt zu sein, war bereits kaum auszuhalten, doch der Gedanke ihn nie wieder sehen zu können und zu wissen er sei tot, zerriss sie. Stück für Stück zerriss sie sich selbst in tausend kleine Einzelteile. Für einen winzigen Augenblick hatte sie ihn zurück, doch dann wurde er ihr sofort wieder entrissen. So leblos und kalt, war er gewesen, dass sie sich nicht sicher war, ob er es auch wirklich war. Doch so sah die Realität aus. Er hatte ihre Welt verlassen – für immer.
Glitzer legte sich leicht über ihre bleiche Haut und ließ sie im Wasser funkeln. Ihre Gestalt offenbarte sich, doch durch ihre geschlossenen Augen konnte sie nichts sehen. Damit sie sich komplett verwandelte fehlte ihr noch ein letzter Schritt, der vermutlich niemals vollzogen werden würde. Sie war eine Sirene, das war sichtbar, doch sie war anders. Nicht wegen ihrer Person, sondern weil sie nicht in das gewohnte Bild passte. Sie litt stärker als alles andere, stärker als es eine Sirene jemals zustande bringen konnte. Ihre Emotionen waren stärker als die eines Menschen, um Längen stärker. Ihr Schmerz fraß sie direkt auf. Niemals hätte eine Sirene sich diese Demütigung gegeben. Sie waren kalt und gefühllos. Doch sie war das genaue Gegenteil. Sie lachte aus Freude, sie weinte aus Leid. Sirenen, wie die Welten sie kannten, hätten aus Leid gelacht und niemals geweint. Keine Sirene hatte jemals eine Träne vergossen, nicht einmal als sie dem Tod ins Auge blickten. Sie waren stets gefasst und immer bereit. Gefühle, wie sie sie gerade empfand, kannten Sirenen nicht einmal. Sie waren Wesen, die nur ihre eigene Freude im Sinn hatten, egal wer oder was dafür leiden musste.
Durch die Stille des Wassers verlor sie sich. Sie versank in ihren Gedanken und vergas vollkommen was sie tat. Ihre Arme umklammerten dennoch fest den Rand der Wanne und drücken sie weiterhin zu Grunde. Ihr Herz ging auf und ließ alles hinaus. Jede Last, die sie jemals getragen hatte stieg von ihr. Glück umringte sie. Freude auf ein Leben ohne Schmerz, oder was auch immer kommen würde.
Sie hatte sich darauf eingestellt und jeden Zweifel von Bord geworfen, doch ihr Plan sollte nicht aufgehen. Ohne, dass sie es bemerkte, stürme jemand zur Tür hinein. Sie bekam nichts davon mit, hielt sich einfach weiter unter Wasser gedrückt. Erst als sie von zwei starken Händen an den Armen gepackt wurde, kam sie zu sich. Schneller als sie schauen konnte wurde sie aus dem Wasser gezogen. Muskulöse Arme zogen sie an eine Brust, während eine tiefe Stimme sie anschrie. Genau Worte verstand sie nicht. Ihre Augen waren halb offen, doch sie war nicht ganz sie selbst. Immer noch war sie wie betäubt, durch das Wasser.
„Zoe!", war das einzige was sie wahrnehmen konnte. Sie spürte, wie ihr etwas um ihren nackten Körper gelegt wurde und jemand sie fest an sich drückte. Sie hatte keine Zweifel daran, wer es war. Steve. Sie wollte, konnte aber nicht in sein Gesicht sehen. Ihre Augen waren noch vom Wasser verschleiert. Wieder und wieder hörte sie ihn ihren Namen schreien. Mit seiner großen Hand strich er ihr immer und immer wieder über den Kopf und ihre Wange. Einer seiner Arme legte sich unter ihre Kniekehlen und der andere legte sich um ihren Rücken. Als wäre sie leicht wie eine Feder hob er sie an und trug sie rasch aus dem nassen Badezimmer. Samt dem Handtuch, das er um sie gewickelt hatte, legte er sie auf ein Bett. Ihr Blick war immer noch leer, als hätte sie kein Leben mehr in sich. Doch es war alles andere als das – sie war quick lebendig. Als er für eine Sekunde den Raum verließ, legte sie ihren Kopf ein Stück zur Seite, bewegte aber nicht mehr. Ihre Augen suchten eine Uhr und fanden schließlich eine über der Tür hängen.

20:56 Uhr

So ihr Lieben,
pünktlich wie versprochen der neue Teil meiner Reihe :) Ich hoffe sehr, dass euch der Prolog schon mal gefallen hat und ihr einen kleinen Vorgeschmack bekommen konntet ;) Ich freu mich wirklich riesig darüber, dass ich einen  3. Teil herausbringen kann :) Ich hätte niemals gedacht, das die Story so gut bei euch ankommt. Ein großes Dankeschön an euch♥♥

P.S: Samstags oder Sonntags kommt immer ein neues Kapitel ;)

Die letzte Sirene - The Winter SoldierWo Geschichten leben. Entdecke jetzt